Im Namen des Vaters (1993)

Drama | Irland/Großbritannien/USA 1993 | 127 Minuten

Regie: Jim Sheridan

Vier junge Iren und ihre angeblichen Helfer werden 1975 Bombenanschläge auf Londoner Pubs vorgeworfen. Sie werden durch Folter "geständig" gemacht und teils zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Im Gefängnis nehmen Vater und Sohn, unterstützt von einer engagierten Rechtsanwältin, den Kampf gegen das Fehlurteil auf. Der in die Skandalchronik der britischen Justiz als der "Guilford Four"-Fall eingegangene Prozeß dient als Hintergrund für einen für Gerechtigkeit und Verständnis plädierenden Film, der durch große emotionale Kraft berührt. In Inszenierung, Kamera, Schnitt und schauspielerischen Leistungen gleichermaßen beeindruckend. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IN THE NAME OF THE FATHER
Produktionsland
Irland/Großbritannien/USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Hells Kitchen/Gabriel Byrne/Universal
Regie
Jim Sheridan
Buch
Terry George · Jim Sheridan
Kamera
Peter Biziou
Musik
Trevor Jones
Schnitt
Gerry Hambling
Darsteller
Daniel Day-Lewis (Gerry Conlon) · Pete Postlethwaite (Giuseppe Conlon) · Emma Thompson (Gareth Peirce) · John Lynch (Paul Hill) · Mark Sheppard (Paddy Armstrong)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Politthriller | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl., DD2.0 dt.)
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Diskussion
Ohnmächtige Wut überfiel einen, als man Ende der 60er Jahre Costa-Gavras Polit-Thriller (u. a. "Z", "Das Geständnis") sah, in denen aufrechte Menschen physisch und psychisch zerbrochen wurden. Daß die Täter Diener autoritärer östlicher Staatssysteme oder westlicher Militärdiktaturen waren, beruhigte nur im Hinblick auf das eigene gesellschaftliche Umfeld, dessen Rechtsverständnis man solche Exzesse nicht zutraute. Aber auch ein Rechtsstaat ist offensichtlich nicht gegen hysterische Überreaktionen gefeit. Daß aber einer der größten Justizskandale ausgerechnet im Mutterland der Demokratie passiert, erschreckt, besonders im Hinblick darauf, daß die bis in höchste Regierungskreise zu suchenden Schuldigen bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Die zur Zeit so vielfach beklagte Polit-Verdrossenheit bekommt somit eine "Adresse".

Belfast 1974: Gerry Conlon und Paul Hill, zwei irische Arbeitersöhne, schlagen sich mit kleinen Diebstählen durchs Leben, provozieren fahrlässig die britischen Besatzungstruppen und bringen dadurch die IRA in Gefahr. Die IRA droht, ihnen als Strafe die Kniescheiben wegzuschießen, aber Gerrys Vater Giuseppe kann sie noch einmal heraushauen. Um sie aus dem Schußfeld zu nehmen, schickt er sie nach England, wo sie in einer Londoner Hippie-Kommune unterkommen, in der auch Gerrys Freund Paddy Armstrong und dessen Freundin Carol leben. Ohne Job und ständig abgebrannt, steigt Gerry eines Nachts in die Wohnung einer Prostituierten ein und findet eine Menge Geld, mit dem sie sich chic und auffällig einkleiden und nach Belfast zurückfahren. Das bringt die Polizei auf ihre Spur - denn in derselben Nacht wurden bei zwei Attentaten auf Londoner Pubs mehrere Personen getötet. Sie werden, wie Paddy und Carol, verhaftet und auf Grund eines gerade erlassenen "Anti-Terror-Gesetzes" sieben Tage lang ohne Rechtsbeistand verhört, körperlich und seelisch gefoltert, bis sie vorgefertigte "Geständnisse" unterschreiben. Selbst Gerrys Tante, deren Kinder und sein Vater werden verhaftet, der Konspiration angeklagt und verurteilt. Gerry kommt mit seinem Vater in eine Zelle, was ihnen Kraft gibt, den Schikanen der voreingenommenen Mithäftlinge und korrupter Gefängniswärter zu trotzen und schließlich ihren Kampf gegen das Skandalurteil aufzunehmen - denn der wirkliche Attentäter Joe McAndrew sitzt im selben Gefängnis und hat auch vor der Polizei nie ein Hehl aus seiner Täterschaft gemacht. Aber erst unter dem Druck einer breiten Öffentlichkeit und durch das Engagement der mutigen Rechtsanwältin Gareth Peirce, die durch Zufall an eine die Ermittlungsbehörden belastende Akte gerät, wird der Fall nach 15 Jahren wieder aufgerollt: Ein Penner hatte damals der Polizei bestätigt, daß Gerry und Paul während der Bombenanschläge kilometerweit entfernt vom Tatort mit ihm auf einer Parkbank übernachtet hatten.

Giuseppe erlebt den Freispruch nicht mehr, er stirbt an einer Lungenentzündung im Krankenhaus-Gefängnis, nachdem alle Versuche der Anwältin, für den Todkranken ein Gnadenersuchen zu erwirken, gescheitert waren. Aber Gerry wird "Im Namen seines Vaters und der Wahrheit" weiterkämpfen für den Beweis von dessen Unschuld.

Eine kraftvoll inszenierte und furios montierte Exposition wirft den Zuschauer mitten hinein in die aggressive und beängstigende Stimmung einer besetzten Stadt. Eine unbedachte provozierende Geste von Gerry löst eine hysterische Reaktion der britischen Soldaten aus, die ihn und Paul wie Schwerverbrecher durch die Schlupfwinkel der IRA-Leute jagen. Da spürt man hautnah die Angst, den Haß auf beiden Seiten, aber auch die Solidarität unter jenen, die nicht über ihr eigenes politisches Schicksal entscheiden dürfen, von einer anonymen Macht ohne historische, geschweige denn moralische Legitimation unterdrückt werden. Sheridan sucht aber keine Erklärung für diese Situation, sondern konzentriert sich nach einem nostalgisch-ironischen Schlaglicht auf die Hippie-Zeit auf die menschenverachtenden Verhörmethoden und den Prozeß. Daß auch in demokratischen Ländern Geständnisse unter Druck erpreßt werden, darüber hat man sich schon lange keinen Illusionen mehr hingegeben. Daß aber ein ganzer Justizapparat und die so viel beschworene Medien-Öffentlichkeit auf beiden Augen blind sein können und die offensichtlichen Widersprüche im Verfahren nicht erkennen, das ist schier unglaublich. Trotz aller "bösen Buben" im Polizeidienst und auf der Richterbank dämonisiert Sheridan seine Personen nicht, zeigt auch bei manchen von ihnen aufkommende Zweifel, die aber dann dem Erfolgsdruck und einer falsch verstandenen Staatsräson geopfert werden. Wenn Sheridan dann dieses zynische Spiel um "Gerechtigkeit" verläßt, die Ebene des Polit-Thrillers um die eines Annäherungsprozesses erweitert, bekommt der Film eine menschliche Dimension, die ein wenig Hoffnung macht, daß sich die in der Realität immer noch verhärteten Fronten der (politischen) Gegner doch noch aufweichen lassen, wenn man einmal zum Kern der Ursachen vorstößt: Gerry muß im Gefängnis und in den Gesprächen mit seinem Vater erkennen, daß seine aus Wut gegenüber dem Fehlurteil erweckte Sympathie für die Terroristen letztlich jener oberflächlichen Faszination entspringt, die viele zu unfreiwilligen Tätern und auch bewußten Mördern werden läßt. Der weise Umgang des Vaters mit seinem Schicksal, sein stiller, aber unermüdlicher Kampf gegen das Unrecht, lassen Gerry sich letztlich auch von der im Gefängnis verübten Gewalt des Attentäters Mc Andrew distanzieren. Er verrät zwar nicht dessen Mordversuch an einem brutalen Aufseher, zeigt ihm aber, daß er einen anderen Weg der Auseinandersetzung gehen will. Daß Daniel Day-Lewis ein ausgezeichneter Schauspieler ist, hat er mit "Mein linker Fuß" (fd 28 104) und zuletzt in "Zeit der Unschuld" (fd 30 532) bewiesen. Die Wandlungsfähigkeit, mit der er hier seinen Weg vom rotzigen "Prolo" über den Möchtegern-Hippie, den an sich und den ihn quälenden Menschen Verzweifelnden bis zum um sein Recht kämpfenden Häftling spielt, das ist so glaubwürdig, als sei ihm selbst dieses Unrecht geschehen. Die zurückgenommene, aber intensive Schauspielkunst seines "Film-Vaters" Pete Postlethwaite setzt dazu einen in sich ruhenden Gegenpol, der das Zusammenspiel der beiden zu einem anrührenden Erlebnis macht. Emma Thompson fügt sich wie all die anderen prägnant ausgesuchten Nebendarsteller unauffällig und ohne Starallüren in diesen Film ein, der aufrüttelt, ohne larmoyant zu sein und beiden Seiten die Tür zur Versöhnung offen läßt. Schade nur, daß die einen die Chance nicht genutzt und die damals Schuldigen freigesprochen haben. Daß ist nämlich jene Saat, die die Konflikte immer mehr aufpeitscht, anstatt sie zu begrenzen. Denn nur wer Reue zeigt, beweist wahre Größe. Das gilt auch für den Staat, der ja von Menschen gebildet wird. Nur scheint "er" das manchmal zu vergessen.
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