Fly Rocket Fly - Mit Macheten zu den Sternen

Dokumentarfilm | Deutschland/Belgien 2018 | 90 Minuten

Regie: Oliver Schwehm

In den 1970er-Jahren gründete der Stuttgarter Luftfahrt-Ingenieur Lutz Kayser die erste private Raumfahrtfirma und ließ in dem zentralafrikanischen Staat Zaire ein Testgelände errichten, da Raketentests in Deutschland verboten waren. Der kuriose Dokumentarfilm rekonstruiert die größtenteils vergessene oder von Mythen und Legenden überwucherte Geschichte der „Orbital Transport und Raketen Aktiengesellschaft“ (OTRAG) mit einer Fülle erstaunlicher Originaldokumente und Archivmaterial. Nach ersten Erfolgen rückte die frühe Liaison von Tüftlergeist und privatwirtschaftlicher Initiative aber in den Fokus der Weltmächte, die das Unterfangen hintertrieben. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Belgien
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Lunabeach TV und Media/Novak Prod.
Regie
Oliver Schwehm
Buch
Oliver Schwehm
Kamera
Hermann Sowieja
Musik
Heiko Maile
Schnitt
Helmar Jungmann
Länge
90 Minuten
Kinostart
27.09.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Verleih DVD
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Die Geschichte der ersten privaten Raumfahrtfirma, die in den 1970er-Jahren in Deutschland gegründet wurde, um dann in Zaire ein Testgelände zu errichten, als kurioser Dokumentarfilm mit einer Fülle von Archivmaterial.

Diskussion
Nach etwas mehr als drei Minuten Film hat man bereits Bilder von der Mondlandung, einer Ausgabe des „Penthouse“-Magazins, Männer in gelben Overalls oder Hotpants mit Sandalen, Bilder aus Afrika und schwäbelnde Talking Heads Revue passieren lassen. Es fallen Begriffe wie „OTRAG“ und CIA, Namen wie Zaire und Mobutu; dazu erklingt sanft groovende elektronische Musik. Der lässige Aberwitz der Montage von kodierten Informationen und sattsam bekannten Bildern lässt an eine Mockumentary denken. Oder, wie es das Presseheft vollmundig formuliert, an eine wahnwitzige Mischung aus Abenteuergeschichte, Politthriller, Lausbubenstreich und Wirtschaftskrimi mit viel Zeit- und Lokalkolorit. Diese Trash-Anmutung ist kein Zufall: der Filmemacher Oliver Schwehm hat sich bereits der Welt der Bahnhofskinos, den Filmen der Edgar-Wallace-Reihe, Winnetou und der Popband Milli Vanilli gewidmet. Jetzt also eine filmische Rekonstruktion der Geschichte der „OTRAG“, der Orbital Transport und Raketen Aktiengesellschaft, die 1975 als „Start-up“ von Lutz Kayser initiiert wurde. Die Geschichte führt zurück ins Nazi-Deutschland, als Ingenieure die V2-Rakete entwickelten, bevor die Alliierten das „deutsche Raketenwissen“ als Kriegsbeute unter sich aufteilten. Fortan konnte man zwar wie Lutz Kayser in Deutschland Luft- und Raumfahrttechnik studieren, doch der Handlungsspielraum war durch die Pariser Verträge (1955) streng begrenzt. Schon die Gründung der OTRAG geschah in einer Art Notwehr, weil die deutschen Forschungsgelder ab 1974 in die europäische „ESA“ flossen. Kayser und sein Team, das erfolgreich an einer kostengünstigen Do-it-Yourself-Rakete gearbeitet hatte, setzten fortan auf die privatwirtschaftliche Initiative. Der Film lässt die NS-Connection der in Baden-Württemberg angesiedelten Raumfahrt-Forschung zwar nicht unerwähnt, zielt aber viel mehr auf die Seltsamkeiten von Zeit- und Lokalkolorit und baut auf ganz erstaunliches und erstaunlich zahlreiches Archivmaterial. Die Geschichte der OTRAG dient der Inszenierung auch als Beispiel für den schwäbischen Tüftlergeist und die schwäbische Sparsamkeit, die bei der Raumfahrttechnik nicht auf High Tech, sondern auf niedere Kosten und eine große Portion Pragmatismus setzte. Aus einfachsten technischen Mitteln wurde eine funktionstüchtige Rakete entwickelt, die man allerdings in Deutschland nicht erproben konnte. Hier kommen der afrikanische Staat Zaire (heute: Demokratische Republik Kongo) und dessen Präsident Mobutu ins Spiel, der der OTRAG einen Landstrich von der Größe der DDR zur Verfügung stellte; im Gegenzug erwartete er sich die Hilfe der Firma, um eigene Satelliten ins All zu schicken. Auf einem Hochplateau entstand eine Art Weltraumbahnhof, beseelt vom Geist der 1970er-Jahre. Die Deutschen setzten auf Selbstversorgung, reisten mit eigenem Metzger an, bauten einen Flugplatz, Marihuana und Gemüse an. Die Bilder lassen an einen Abenteuerurlaub erwachsener Männer denken, die sich manchmal als Ingenieure verkleiden, wenn sie sich in ihre knallgelben Overalls werfen und für die Kamera posieren. Da Lutz Kayser sich mit Fischstäbchen-Koteletten und weit geöffnetem Hemd gerne als Playboy präsentierte, strahlt der Weltraumbahnhof Kapani Tono stets das Flair eines James-Bond-Films aus. Wenn die OTRAG auf dem Hochplateau weiter vor sich hingewerkelt hätte, wäre daraus vielleicht sogar ein Beitrag zum Afrofuturismus mit deutscher Ingenieurskunst entstanden. Doch die Weltläufte entschieden sich dagegen. Es kam zu politischen wie diplomatischen Verwerfungen. Nach einem gelungenen Raketenstart im Mai 1977 wurde die Arbeit der OTRAG international argwöhnisch beobachtet. Weder die USA noch die UdSSR, aber auch nicht die ESA waren an Volksraketen für die Dritte Welt interessiert. Als Präsident Mobutu persönlich einem weiteren Startversuch beiwohnte, fiel der so jämmerlich aus, dass er das Interesse an dem Prestigeobjekt verlor. 1979 endete die zentralafrikanische Episode der OTRAG recht abrupt. Sofern die Geschichte der OTRAG nicht völlig vergessen wurde, scheint sie von zahlreichen Mythen und Legenden umstellt zu sein. Bastelten die Deutschen im abgelegenen Dschungel an einer eigenen Atombombe? Wollten die Monopolisten der Raumfahrt verhindern, dass Dritte via Satellit Aufklärung betrieben? War mit internationalem Widerstand nicht zu rechnen? Forschergeist, gepaart mit politischer Blauäugigkeit! Hätte Oliver Schwehm den Luft- und Raumfahrtingenieur Lutz Kayser, der sich mit seiner Frau auf ein Atoll auf den Marshallinseln zurückgezogen hatte, nicht kurz vor dessen Tod im November 2017 vor die Kamera geholt, könnte man durchaus glauben, dass es sich bei „Fly Rocket Fly“ um ein verfilmtes Fotoalbum aus längst vergangenen Zeiten handelt. Skurril, aber reine Fiktion.
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