Maniac (2018)

Drama | USA 2018 | 386 (zehn Episoden) Minuten

Regie: Cary Joji Fukunaga

Ein Mann und eine Frau melden sich freiwillig für eine dubiose Arzneimittelstudie, weil sie sich von dem angeblichen Wundermittel Heilung von ihren diversen psychischen Problemen erhoffen. Die Testphase geht aber freilich ganz und gar nicht wie versprochen ohne Komplikationen vor sich. Angesiedelt in einem retrofuturistisch-setlsamen New York in Beton und kühlen Neontönen und in ulkigen „Seelenlandschaften“ der Figuren, entfaltet die Serie einen reizvollen, tragikomischen Psychotrip ins „Mindlantis“ zweier beschädigter Seelen - und eine Odyssee durch die Absurditäten einer Leistungs- und Spaßgesellschaft, die solche Beschädigungen unbedingt wegoptimieren will. Sehenswert dank einer atmosphärischen Inszenierung und guter Darsteller. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MANIAC
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Anonymous Content/Paramount Television
Regie
Cary Joji Fukunaga
Buch
Amelia Gray · Patrick Somerville · Mauricio Katz · Caroline Williams · Cary Joji Fukunaga
Kamera
Darren Lew
Musik
Dan Romer
Schnitt
Pete Beaudreau · Tim Streeto
Darsteller
Emma Stone (Annie Landsberg) · Jonah Hill (Owen Milgrim) · Gabriel Byrne (Owens Vater) · Sonoya Mizuno (Dr. Fujita) · Justin Theroux (James Mantleray)
Länge
386 (zehn Episoden) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Komödie | Science-Fiction | Serie

Schräge Science-Fiction-Serie um zwei Probanten eines dubiosen Medikamententests.

Diskussion

Wenn kleine Roboter die Straßen von Hundekot freihalten können, indem sie die ekligen Häufchen in eine aparte blaue Flüssigkeit umwandeln – wäre es da nicht großartig, wenn sich auch der ganze seelische Mist, den man als Menschen mit sich herumschleppt, so einfach neutralisieren ließe? Tatsächlich geht ein Pharmakonzern in dem etwas seltsamen, dezent retrofuturistischen New York, in dem „Maniac“ spielt, davon aus, genau das geschafft zu haben: Eine auf drei Pillen basierende Therapie, die sämtliche psychischen Leiden kurieren soll, befindet sich gerade in der Testphase. Dafür werden nun freiwillige Probanden benötigt. Eine Chance für Leute, denen es so schlecht geht, dass sie nicht mehr viel zu verlieren haben. Leute wie Owen Milgrim (Jonah Hill), dessen Tränensäcke gefühlt bis zum Knie reichen und der vor Lebensmüdigkeit förmlich erstarrt zu sein scheint. Er stammt zwar aus einer reichen Unternehmer-Familie, ist aber deren schwarzes Schaf, leidet an schizophrenen Schüben, in denen ihm ein nicht vorhandener Bruder von Owens angeblicher Berufung erzählt, die Welt zu retten, und bekommt bei seinen Versuchen, sich jenseits des elterlichen Domizils eine Existenz aufzubauen, kein Bein auf den Boden. Bei seiner Bewerbung für den Medikamententest begegnet er Annie Landsberg (Emma Stone), die auch an dem Programm teilnehmen will und eine sogar noch verkorkstere Vergangenheit mit sich herumschleppt als Owen. Was diesen genauso wenig wie Annies Bissigkeit davon abhält, von Anfang an von ihr fasziniert zu sein: Owen meint, in ihr jene Frau zu erkennen, die ihm in seinen schizophrenen Phasen als Partnerin für die bevorstehende Weltrettung in Aussicht gestellt wurde. Was aber natürlich genau die Art von Wahnsinn ist, von der Owen nun geheilt werden soll – oder auch nicht? Der Supercomputer, der neben den drei Pillen ein essentieller Bestandteil der Wunder-Therapie ist, hat dazu seine eigenen Ansichten. „Maniac“ stammt aus der Feder des Schriftstellers Patrick Somerville, der sich dabei auf das Vorbild einer norwegischen Serie von Hakon Bast Mossige und Espen PA Lervaag stützt; inszeniert hat die zehn Folgen der Miniserie Cary Fukunaga, der sich u.a. für „Jane Eyre“ und „Beasts of No Nation“, vor allem aber für seine Regie bei der großartigen ersten Staffel von „True Detective“ einen Namen gemacht hat. Der Stoff, an dem er sich in „Maniac“ austobt, ist völlig anders; erkennbar bleibt aber Fukunagas unbedingter Stilwille: Jenseits der Handlung leben die zehn Episoden von ihrem Look, von der Kreation einer Erzählwelt mit ganz eigener Atmosphäre, die hier wie in „True Detective“ melancholisch geprägt ist, auch wenn statt sumpfiger Südstaatenlandschaft eine unterkühlt wirkende, von Beton und Neontönen geprägte Stadtlandschaft der Hauptschauplatz ist. Allerdings gibt es darin zahlreiche humoristisch-absurde Aufhellungen – wie den eingangs erwähnten Hundekotbeseitigungs-Roboter, der nur eins von vielen schrägen Details ist, die „Maniacs“ Welt von unserer unterscheiden. Vom Tonfall und den Themen her erinnert „Maniac“ gelegentlich an Michel Gondrys „Vergiss mein nicht“ und Park Chan-Wooks „I’m a Cyborg, But That’s OK“: eine absurd-tragikomische Reflexion zur menschlichen Empfindungs- und Bindungsfähigkeit, die einerseits das Einfallstor von seelischen Schmerzen und Beschädigungen ist, andererseits aber auch das einzige, was einem Halt gibt. Dabei ist die Dramaturgie, die sich hier über zehn Episoden zieht, mehr schweifend als straff gespannt und führt, nachdem in den ersten Folgen erst einmal Owens und Annies Vorgeschichten erzählt sind und die Situation in dem Test-Labor etabliert ist, in immer ulkigere surreale Räume: Die beiden werden in der zweiten Testphase mental in diverse traumartige Szenarien versetzt, die eigentlich jeder Probant für sich alleine erleben sollte, die sich bei Annie und Owen aber hartnäckig überschneiden – sei es nun in einer überzeichneten 1980er-Jahre-Welt, in der die beiden als All-American-Durchschnittspaar einen Lemuren vor illegalen Tierhändlern retten wollen, in einer Mittelerde-mäßigen Fantasy-Welt oder in einem noblen Anwesen während einer Séance in den 1920er-Jahren, in dem die beiden ein dubioses verschollenes Kapitel des „Don Quixote“ stehlen wollen. Letzteres kommt nicht von ungefähr: Cervantes’ tragikomischer Ritterroman, an dessen Ende sich die Frage stellt, ob der „Ritter von der traurigen Gestalt“ nach der Heilung seines „Wahns“ wirklich besser dran ist als zuvor, zieht sich als roter Faden durch die Handlung. Auch in „Maniac“ hat man von Anfang an berechtigte Zweifel am Sinn des pharmazeutischen Feldzugs gegen das seelische Leiden – schon weil die Wissenschaftler, die das neue Wundermittel betreuen, selbst ziemlich prekäre Existenzen sind, die sich vor dem Verletzungspotenzial, das der Wust zwischenmenschlicher Beziehungen parat hält, in die sterile Sicherheit der Isolation geflüchtet haben: Statt nach getaner Arbeit in eine heimische Wohnung zurückzukehren, schlafen sie in schubladenartigen Bettkojen im Labor; Dr. Muramoto ereilt in einer Folge ein verfrühter Tod, weil er selbst eines der Medikamente missbraucht hat, und als Dr. Fujita kurz darauf den Erfinder der Therapie James Mantleray – der mit einem massiven Mutterkomplex kämpft – wieder mit an Bord holen will, findet sie ihn beim einsamen Cyber-Sex vor. Die Odyssee quer durchs „Mindlantis“ zweier verstörter Seelen – und quer durch die Absurditäten einer Leistungs- und Spaßgesellschaft, die solche Verstörungen unbedingt wegoptimieren will – funktioniert nicht nur dank Fukunagas Inszenierung, sondern auch dank Darstellern, die ihre Figuren pointiert am Rande zur Überzeichnung, aber nie so weit darüber hinaus verkörpern, dass man nicht doch auch Mitgefühl mit ihnen haben kann. Neben dem Gegensatzpaar Jonah Hill-Emma Stone – er die verkörperte Apathie, sie mit einer aus Schmerz geborenen Aggressivität, die sie wie eine elektrische Ladung umgibt – gilt das auch für diverse Nebenfiguren, wie etwa die um Gabriel Byrne gescharten Darsteller der Milgrim-Familie, deren affektiertes „Denver-Clan“-Getue es absolut plausibel erscheinen lässt, dass Owen die Flucht in den Wahn angetreten hat. Eine Serie, die durchaus dieselbe süchtig-machende Wirkung hat wie die trügerischen kleinen Pillen, die diesen Psycho-Trip ins Rollen bringen.

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