Biopic | USA 2018 | 122 Minuten

Regie: Chris Weitz

Die Suche eines israelischen Sonderkommandos nach Adolf Eichmann, dem NS-Architekten der „Endlösung der Judenfrage“, der sich nach dem Ende des Dritten Reiches 15 Jahre lang unter falschem Namen in Argentinien versteckt hielt. Im Stil eines 1950er-Jahre-Dramas inszeniert, integriert der Film die Figur Eichmanns und die Frage nach dessen persönlicher Schuld in den Kontext eines Genrefilms, der zwar publikumswirksam ist, angesichts der Ungeheuerlichkeit der behandelten Thematik aber auch fragwürdige Aspekte besitzt. Dank guter Darsteller und pointierter Dialoge wird das Geschehen aber in vertiefender Perspektive reflektiert, sodass sich der Film doch als Grundlage für weiterführende Diskussionen anbietet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
OPERATION FINALE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Automatik Ent./MGM
Regie
Chris Weitz
Buch
Matthew Orton
Kamera
Javier Aguirresarobe
Musik
Alexandre Desplat
Schnitt
Pamela Martin
Darsteller
Oscar Isaac (Peter Malkin) · Ben Kingsley (Adolf Eichmann) · Mélanie Laurent (Hanna Elian) · Lior Raz (Isser Harel) · Nick Kroll (Rafi Eitan)
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Historienfilm | Thriller
Externe Links
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Reflektierter Historien-Thriller um die Suche eines israelischen Sonderkommandos nach Adolf Eichmann und die Durchführung seiner Entführung aus Argentinien, inszeniert im Stil eines 1950er-Jahre-Dramas.

Diskussion
Adolf Eichmann, der NS-Architekt der „Endlösung der Judenfrage“, ist posthum zu einer Art Filmstar geworden. Nicht allein die Ungeheuerlichkeit seiner Funktion und seiner Taten, sondern vor allem die Unbegreifbarkeit seiner bloßen Existenz und seines Denkens haben nach Eichmanns Hinrichtung zu einem Boom von Spiel- und Dokumentarfilmen geführt, ohne dass man dadurch schlüssige Einsichten in die Psyche jenes Massenmörders bekommen hätte, dessen Organisationstalent die Vernichtung von sechs Millionen Juden erst ermöglichte. So drehte beispielsweise William A. Graham 1996 den Spielfilm „Der Mann, der Eichmann jagte“, Robert Young einen schlicht „Eichmann“ (2007) betitelten Film oder der Publizist Erwin Leiser bereits im Jahr 1961 die viel diskutierte Dokumentation „Eichmann und das Dritte Reich“ (fd 10 239). Diese Filme sind nur die Spitze des Eisbergs. Keiner von ihnen ist einer Antwort auf die Frage, ob Eichmann mehr auf Geheiß oder aus Überzeugung gehandelt hat, auch nur einen Schritt nähergekommen. Dabei haben sich alle ausführlich mit der Schuldfrage beschäftigt und nicht nur den Prozess in Jerusalem, sondern auch die mit Eichmann geführten Gespräche berücksichtigt. Das gilt auch für „Operation Finale“ von Chris Weitz, der immerhin den Vorteil zweier hervorragender Darsteller hat: Oscar Isaac stellt einen der Mossad-Agenten dar, die Eichmann in seinem argentinischen Versteck aufspürten, und Ben Kingsley spielt Eichmann. Ähnlich wie die meisten der Vorgänger folgt auch „Operation Finale“ den geradezu abenteuerlichen Ereignissen in Buenos Aires, nachdem den Mossad glaubwürdige Kunde von Eichmanns Aufenthalt erreicht hat. 15 Jahre lang lebte der Mann, der Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat, nach dem Ende des Dritten Reiches bescheiden und unauffällig mit seiner Familie in einem ziemlich armseligen Haus am Rand der argentinischen Hauptstadt. Mit der Präzision eines Uhrwerks ging er täglich seiner Arbeit in einer Autofabrik nach und hielt sich von der Öffentlichkeit fern. Ohne in allzu viele Details abzuweichen, beleuchtet der Film die Umstände, die Eichmann das Untertauchen ermöglichen: die antisemitische Kultur einflussreicher argentinischer Kreise, mit der auch Eichmanns erwachsener Sohn sympathisierte. Raum gibt es auch für moralische Diskussionen unter den Mossad-Agenten, wie man mit einem Gefangenen wie Eichmann umgehen könne und dürfe. Wie Steven Spielbergs thematisch verwandter Film „München“ (fd 37 431) muss sich auch „Operation Finale“ dem Dilemma zwischen Actionfilm und moralischem Essay stellen. Chris Weitz, dessen frühere Filme wie „New Moon – Biss zur Mittagsstunde“ (fd 39 630) und „Der goldene Kompass“ (fd 38 491) ihn keineswegs von vornherein als idealen Regisseur für einen Eichmann-Film erscheinen ließen, versucht einen Mittelweg. Die von den überlieferten Fakten nur geringfügig abweichende Geschichte der Suche nach dem Verschwundenen und dessen Verschleppung nach Israel wird ziemlich konsequent im Stil eines dramatischen Films der 1950er-Jahre inszeniert, mit vielen Zwei-Personen-Szenen und zahlreichen Großaufnahmen. Auf diese Weise integriert Weitz die geradezu detektivischen Handlungsabläufe publikumswirksam in eine Filmperiode, die der Zeit der behandelten Ereignisse entspricht. Sogar ein paar Zitate aus Douglas Sirks „Solange es Menschen gibt“ (fd 8391) fehlen nicht. Der reale Eichmann wird dadurch allerdings zur historischen Filmfigur. Die „Banalität des Bösen“, an der sich schon so viele Eichmann-Biografien abgearbeitet haben, muss im Kontext eines Genrefilms neu aufgeblättert werden, worum sich Weitz nach Kräften bemüht. Mancher Zuschauer mag diese Konzeption für nicht opportun halten, aber sie funktioniert über weite Strecken. Hier kommen auch die Darsteller und die historischen Verweise, teils in nachinszenierten Szenen, mit oft irritierender Unmittelbarkeit ins Spiel. Insbesondere Ben Kingsley fasziniert, der mit geringen, aber wirkungsvollen Mitteln das eiskalte Porträt eines Mannes entwickelt, der das Böse wie hinter einer Maske verbirgt. Im Umfeld des stilistisch retrospektiven Films wirkt seine Eichmann-Figur ganz wie jener undefinierbare Fremdkörper, als der er seinen Zeitgenossen zur Zeit der Anklage und Verurteilung erschienen sein musste und dessen Psyche niemand, auch Hannah Arendt nicht, entschlüsseln konnte. Es ist zu vermuten, dass sich die historisierende Patina, um die sich die Inszenierung bemüht, erstaunlich gut als „Cover“ für ein Publikum eignet, das zwar neugierig ist, aber längst nicht mehr allein deshalb ins Kino geht, um etwas über Eichmann und das Dritte Reich zu erfahren.
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