Drama | Polen 2018 | 452 (acht Episoden) Minuten

Regie: Agnieszka Holland

Achtteilige polnische Thriller-Serie um eine dystopische Welt, in der der Kalte Krieg nie zu Ende gegangen ist. Im Jahr 1983 stoppt ein Terroranschlag in Warschau die polnische Freiheitsbewegung um die Gewerkschaft Solidarność; in der Folge kommt es nie zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Serie beleuchtet die Folgen dieser Entwicklung im Jahr 2003 und fokussiert auf einen idealistischen Jurastudenten und einen Polizisten, die einer Verschwörung auf die Spur kommen, welche hinter den Ereignissen von 1983 stecken könnte. Mit hohen Schauwerten, viel Spannung und psychologischem Gespür bindet die Serie den dystopischen Plot an die historischen Erfahrungen aus den totalitären 1980er-Jahren zurück und verknüpft handwerklich präzise Science-Fiction-Topoi mit dem polnischen „Kino der moralischen Unruhe“. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
1983
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
House Media Company/The Kennedy/Marshall Company
Regie
Agnieszka Holland · Olga Chajdas · Agnieszka Smoczynska · Kasia Adamik
Buch
Joshua Long · Dariusz Glazer
Kamera
Tomasz Naumiuk · Arkadiusz Tomiak
Musik
Antoni Lazarkiewicz
Schnitt
Jaroslaw Kaminski
Darsteller
Robert Wieckiewicz (Anatol Jaanów) · Maciej Musial (Kajetan Skowron) · Michalina Olszanska (Ofelia Ibrom) · Andrzej Chyra (Wladyslaw Lis) · Zofia Wichlacz (Karolina Lis)
Länge
452 (acht Episoden) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Serie

Achtteilige polnische Thriller-Serie um eine dystopische Welt, in der der Kalte Krieg nicht zu Ende gegangen ist.

Diskussion

Was wäre, wenn? „1983“ ist eine achtteilige Verschwörungsthriller-Serie aus dem „Alternate History“-Genre, in dem der autoritäre Sozialismus nie zu Ende gegangen ist. „1983“ pendelt mit hohen Schauwerten, Spannung und psychologischem Gespür zwischen totalitärer Vergangenheit und Dystopie und mischt dabei „Big Brother“-Motive mit Science Fiction und der Tradition des polnischen „Kinos der moralischen Unruhe“.

1983 führen mehrere Terroranschläge in Warschau dazu, dass die Aktivitäten von Solidarność im Sande verlaufen. Die Regierung festigt ihre Macht, die Freiheitsbewegung schwappt nicht auf die anderen Ostblock-Staaten über, der Eiserne Vorhang bleibt stehen. Das Szenario von Joshua Long spielt in einem mittlerweile perfektionierten Überwachungsstaat, in dem jeder Angst vor jedem hat und über allem der übermächtige Staatssicherheitsdienst „SB“ schwebt, ein Staat im Staate, der Regierung, Polizei und Justiz kontrolliert. Hier rollen ein renitenter Kommissar (Robert Wieckiewicz), der von der Chefetage in einen problembehafteten Bezirk strafversetzt wurde, und ein Jurastudent einen Kriminalfall auf, der sie auf die Spur einer groß angelegten, brandgefährlichen Verschwörung bringt.

Beide teilen die Auffassung, dass das Recht der Wahrheitsfindung dienen sollte, und geraten darüber mit dem totalitären System, aber auch mit den jungen Leuten in Konflikt, die im Untergrund einen verzweifelten Freiheitskampf führen.

Das Drehbuch wandelt motivisch zunächst auf bekannten Politthriller-Science-Fiction-Pfaden: einsame Helden, die in ihrem abgeklärt-zynischen oder idealistisch-naiven Kampf gegen das Unrecht zwischen Gut und Böse geraten. Doch „1983“ spielt in Polen, und so erhält die Geschichte von Anfang an eine andere Glaubwürdigkeit. Zumal die Vorlage von einem vielversprechenden Regie-Gespann umgesetzt wurde: Mit Olga Chajdas („The Fugue“), Agnieszka Smoczyńska („The Lure“) und Kasia Adamik arbeitet die Produzentin Agnieszka Holland mit drei jungen Filmemacherinnen zusammen, die in den letzten Jahren mit inhaltlich und formal innovativem Kino auffielen.

„1983“ kreuzt immer wieder die Grenze zwischen Autoren- und Genrefilm. Während die Uniformen der „SB“-Mitarbeiter an jene der „dunklen Seite der Macht“ aus den „Star Wars“-Filmen erinnern, herrscht im revolutionären Untergrund eine kämpferische Geschäftigkeit wie in den Polit-Klassikern von Costa-Gavras. Sicherheitsdienst und Chefermittler residieren in hochtechnisierten Designer-Büros, die Streifenwagen in den Straßen stammen dagegen aus den späten 1980er-Jahren. In der Gegenwart des Jahres 2003, in dem die Serie spielt, hat sich die Macht in protzigen Glaspalästen verbunkert, während draußen der Putz von den Gemäuern fällt. Mit ihrem aus der Zeit gefallenen Set-Design brechen Holland und ihre Regisseurinnen den spekulativen Charakter des Plots auf eine historisch verortete Authentizität herunter. Hier das Volk, dort der perfektionierte Überwachungsstaat mit einer zwielichtigen Funktionärskaste, die sich durch ihren Hang zum Savoir-Vivre angreifbar macht: eine Doppelmoral, von der die Strippenzieher des „SB“ profitieren. Doch das Regime aus Zuckerbrot und Peitsche mag zwar bei opportunistischen Karrieristen und Duckmäusern funktionieren, aber nur bedingt bei Kriminologen, die nichts zu verlieren haben und denen das Demutsgebot vor der Macht im Staate deshalb ziemlich egal ist.

Das ist eine dramaturgische Grundkonstellation, aus der die Filmemacher mit faszinierender handwerklicher Präzision viele Spannungs- und Überraschungsmomente schlagen. Mit ihrer Herkunft aus dem polnischen Autorenkino und dessen sensibler Beobachtung systemischer Machtkonstellationen und deren Folgen für die „condition humaine“ hat Holland die internationale Film- und Fernsehlandschaft mit psychologisch grundierter Genre-Ware wie der Mini-Serie „Burning Bush – Die Helden von Prag“ oder dem Spielfilm „Die Spur“ bereichert. Dass sie ihre Kreativität mit „1983“ jetzt an die nachfolgende Generation weitergibt, spricht für sie: Auch wenn einem viele Motive bekannt vorkommen, setzt diese Fernsehserie Maßstäbe. Auch, weil sie das Publikum sensibilisieren möchte, wie die Anti-Helden von „1983“ die Wahrheit über dem Recht und hinter irreführenden Hierarchien und Fake-News einzufordern.

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