Dokumentarfilm | Großbritannien/USA/Sri Lanka 2018 | 100 (TV auch: 53) Minuten

Regie: Steve Loveridge

Auf spannende Weise widersprüchlicher Porträtfilm über die tamilisch-britische Hip-Hop-Musikerin, Filmemacherin und Aktivistin Mathangi „Maya“ Arulpragasam, der zu weiten Teilen auf von ihr selbst gedrehten Aufnahmen beruht, ergänzt um ein paar aktuelle Interviews, Archivmaterial und einen Off-Kommentar der Protagonistin. Musikalisch zeugt die eigentümliche Karriere von M.I.A. von der Diversität aktueller globaler Popmusik. Gleichzeitig aber muss die Künstlerin sich des Vorwurfs erwehren, ihr radikales politisches Engagement als „radical chic“ mit Pop-Glamour zu kombinieren. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MATANGI/MAYA/M.I.A.
Produktionsland
Großbritannien/USA/Sri Lanka
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Cinereach/Hard Working Movies/Doc Society
Regie
Steve Loveridge
Buch
Steve Loveridge
Musik
Dhani Harrison · Paul Hicks
Schnitt
Marina Katz · Gabriel Rhodes
Länge
100 (TV auch: 53) Minuten
Kinostart
22.11.2018
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation
Externe Links
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Diskussion

Auf spannende Weise widersprüchlicher Porträtfilm über die tamilisch-britische Hip-Hop-Musikerin, Filmemacherin und Aktivistin Mathangi „Maya“ Arulpragasam, der von ihr selbst gedrehte Aufnahmen mit Interviews und Archivmaterial verbindet.

„Neu in der Musikszene ist Maya Arulpragasam aus Sri Lanka. Ihr Vater war bei den Tamil Tigers. Ihre Mutter floh mit ihr nach England, wo sie in einem Ghetto lebten. Heute nennt sich die Hip-Hop-Musikerin M.I.A.“ Mit diesen Worten wird die Musikerin, Produzentin, Filmemacherin und Aktivistin Mathangi „Maya“ Arulpragasam 2003 in der Musikszene begrüßt, als ihr mit „Galang“ auf Anhieb ein kleiner Underground-Hit gelang.

Dieses Image ist eine Marketing-Bombe: Sri Lanka, der Vater Terrorist oder je nach Perspektive ein Freiheitskämpfer, aber eben kein Tamil Tiger, die Mutter wie die Tochter Flüchtlinge, die vor dem Bürgerkrieg ins Metropolen-Ghetto nach Brixton fliehen – um dann zu einem internationaler Popstar werden, der mit einer hybriden Musik die Diversität aktueller globaler Popproduktion authentifiziert.

Was dabei vergessen wurde: „Maya“ hat nach ihrem Schulabschluss am Londoner Saint Martins College of Art Kunst und Film studiert und früh damit begonnen, ihr Leben auf Video zu dokumentieren. Als Künstlerin war sie schon für den alternativen „Turner Prize“ nominiert und hatte für die Popband Elastica, mit deren Frontfrau Justine Frischmann sie befreundet war, ein Cover und später ein Musikvideo produziert.

Die Porträtierte hat viel des Gezeigten selbst produziert

„Maya“ besaß also bereits eine künstlerische Laufbahn, bevor sie zu M.I.A. wurde und sich auf der Kunsthochschule mit Steve Loveridge angefreundet, der jetzt für die Regie von „Matangi / Maya / M.I.A.“ verantwortlich zeichnet. Der Porträtfilm besteht aus sehr großen Teilen aus Material, das die Porträtierte selbst produziert hat.

Was de facto einer jener konventionellen „Home Stories“ gleicht, die das Musikbusiness mit Paratexten befeuert, ist in diesem speziellen Fall nicht ohne Brisanz, weil „Maya“ hier selbst immer wieder jene Widersprüche formuliert, mit denen sie üblicherweise von außen kritisiert wird. Wenn sie sich etwa als junge Kunststudentin das Projekt überlegt, ins vom Bürgerkrieg gezeichnete Sri Lanka zu reisen, um dort mit der Kamera Mitglieder ihrer Familie zu dokumentieren – und erlebt, dass ihre Position von ihren Verwandten kritisch hinterfragt wird. Unklar bleibt auch, inwieweit sie die politische Biografie ihres Vaters mystifiziert, um ihr Engagement zu legitimieren.

Diese Situation der Infragestellung, hinter der immer der Vorwurf des „radical chic“ lauert, wird im Film öfters virulent, sei es in einer Talkshow, in der gefragt wird, ob alle Tamilen „Cockney“ sprechen, sei es in einem Artikel der New York Times, in der am Rande insinuiert wird, dass die Künstlerin ein Leben mit dem Hang zum Luxus führe und mit einem Millionenerben verlobt sei. „Maya“ selbst versteht sich als Repräsentantin einer Minderheit, an der ein Völkermord exekutiert wurde, und profiliert sich mit äußerst radikalen Musikvideos wie „Born Free“, die ihr den Vorwurf einhandeln, Sympathisantin von Terroristen zu sein.

Lässt sich die Kulturindustrie auf subversive Art produktiv machen?

Immer wieder stellt sich hier die Frage, inwieweit sich die Kulturindustrie politisch subversiv produktiv machen lässt oder ob bestimmte Ausschlussverfahren diese Indienstnahme verhindern. So erhielt „Maya“ 2012 die Chance, an der Seite der von ihr bewunderten Madonna in der Superbowl-Halbzeitpause aufzutreten, sah sich in der Vorbereitung aber mit einem solchen Wust rassistisch-misogyner Auswüchse konfrontiert, dass sie „der Nation“ als der „dunklen Seite Madonnas“ provokant den Mittelfinger zeigte – und dann erleben musste, dass die Reaktion darauf weit heftiger als befürchtet ausfiel.

Ist es Kalkül, wenn „M.I.A.“ im Musikvideo zu „Borders“ ein Trikot des Fußballvereins Paris Saint-Germain trägt, auf dem dann, anders als üblich, „Fly Pirates“ zu lesen ist, was ihr umgehend eine publicityträchtige Abmahnung des Vereins eintrug? Ist es naiv, wenn „Maya“ sich moralisch empört, dass die Medien erst über die Gräuel des Bürgerkriegs in Sri Lanka berichten und kurz darauf das Land zum touristischen Geheimtipp erklären?

Der Film löst solche Widersprüche nicht auf, sondern dokumentiert sie gewissermaßen aus der Perspektive einer Künstlerin, bei der nie als ausgemacht gelten kann, dass ihr politisches Engagement und ihre politisch unmissverständlichen Stellungnahmen wirklich authentisch sind, weil sie immer auch als Teil einer Marketing-Strategie verstanden werden können, in der Mut mit einer durchaus profitablen Opferrolle einhergeht.

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