Auch wer von den Details ihres wechselhaften Lebens wenig weiß, kennt Sidonie-Gabrielle Colette (1873-1954) wahrscheinlich als Synonym für die „skandalöse, libertine französische Gesellschaft“ des opulenten Fin de Siècle. In weiten Kreisen betrachtet man sie als eine Art Spiegelbild des frühen Feminismus. Herz und Verstand der in vielerlei Hinsicht aufregenden Schriftstellerin und Theaterdarstellerin hinter der schillernden Außenseite ihrer Existenz erkennbar werden zu lassen, ist keine einfache Aufgabe. Man erinnert sich, dass auch schon André Gide, Truman Capote und die Musical-Genies Lerner und Loewe auf ihre Weise Colette ein Denkmal gesetzt haben. Neben der Verfilmung ihrer Novelle „Gigi“ hat es ein prominent besetzter Kinofilm über ihr Leben („Colette“, 1991) ebenfalls schon auf die Leinwand gebracht.
Der englische Autor und Regisseur Wash Westmoreland bemüht sich mit großem Einfühlungsvermögen und Fleiß darum, es nicht bei der Rekreation der Belle Epoque zu belassen, sondern immer wieder zeitgenössische Aspekte durchscheinen zu lassen. Er tut auch gut daran, sich auf die frühen Lebensjahre von Colette zu beschränken und nicht den Ehrgeiz zu entwickeln, sämtliche skandalösen Ereignisse ihres beruflichen wie privaten Daseins lexikalisch abzuhaken.
Der Ehemann sperrt sie in die Schreibstube ein
Zu Beginn der Handlung findet man Colette als 20-Jährige in der bukolischen Umgebung von Saint-Sauveur-en-Puisaye, wo sie ihre Mädchenjahre verbracht hat. Hier lernt sie den weltgewandten Pariser Verleger Henry Gauthier-Villars kennen, der unter dem Pseudonym Willy schwärmerische Romane für die bessere Gesellschaft publiziert. Colette verfällt dem männlichen Charme des 15 Jahre älteren Mannes und folgt ihm in das zunächst von ihr verachtete Paris. Schon bald wird sie Teil der literarischen Werkstatt, in der Willy mehrere Autoren sklavenhaft unter seinem Namen schreiben lässt. Willy erkennt Colettes Talent und sperrt auch sie in eine bescheidene Stube ein, wo sie ihr erstes Buch schreiben soll, das ihm dann auch großen Erfolg einbringt.
Nach der vierten Arbeit ist Colettes Ernüchterung auf einem Punkt angekommen, wo sie sich von Willy und seiner „Fabrik“ freizumachen beginnt. Mehr und mehr lässt sie sich in die verführerische Pariser Gesellschaft hineinlocken und entdeckt ihre eigenen sexuellen Neigungen. Zuerst ist es eine zugereiste US-Amerikanerin, dann eine Transsexuelle, mit der sie Willy „betrügt“, der selbst ein kaum weniger flatterhaftes Liebesleben führt.
Talent für schillernde Charakterbilder
Was den Film von Westmoreland jenseits der biografischen Details eines für die damalige Zeit höchst unorthodoxen Lebens amüsant macht, ist sein Talent für schillernde Charakterbilder, die vor allem von Keira Knightley und Dominic West weidlich ausgekostet werden. Eingebettet sind die Figuren in ein geradezu überbordendes Porträt des Fin de Siècle, das mehr als einmal an die Vorbilder der James-Ivory-Filme „Zimmer mit Aussicht“ und „Wiedersehen in Howards End“ erinnert, aber stets mit einer unverkennbaren Portion individueller, gelegentlich bis an die Grenze zur Karikatur reichender Überzeichnungen versehen ist.
„Colette“, das muss man dem Film zugestehen, ist unterhaltsam, aber nicht aufregend oder erhellend. Das Bemühen, aus heutiger Perspektive ein Beispiel für die Anfänge des Feminismus zu inszenieren und gleichzeitig den historischen Befindlichkeiten treu zu bleiben, versickert allzu arglos in der breitenwirksamen Aufbereitung des Stoffes. Etwas mehr Biss hätte dem Film gutgetan.