Die Schneiderin der Träume

Drama | Indien/Frankreich 2018 | 99 Minuten

Regie: Rohena Gera

Ein verwitwetes Dienstmädchen aus Mumbai träumt davon, zusammen mit seiner Schwester ein Modeunternehmen zu gründen. Unerwartete Hilfe erfährt sie dabei von ihrem vermögenden Auftraggeber, der sich überdies in sie verliebt. Die optimistische Emanzipations- und Liebesgeschichte seziert die Spannungen der im Kastendenken gefangenen indischen Gesellschaft und erzählt in atmosphärischen Bildern voller Wärme und Zuneigung für die Protagonisten von Menschlichkeit, Stolz und der Hoffnung auf eine Überwindung aller Schranken. Im Schicksal der Hauptfiguren spiegelt sich überdies der wachsende soziale Zwiespalt zwischen einer global erzogenen Jugend und der hierarchischen Ordnung des Subkontinents. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SIR
Produktionsland
Indien/Frankreich
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Inkpot Films Private Ltd.
Regie
Rohena Gera
Buch
Rohena Gera
Kamera
Dominique Colin
Musik
Pierre Aviat
Schnitt
Jacques Comets · Baptiste Ribrault
Darsteller
Tillotama Shome (Ratna) · Vivek Gomber (Ashwin) · Geetanjali Kulkarni (Laxmi) · Rahul Vohra (Haresh) · Divya Seth Shah (Ashwins Mutter)
Länge
99 Minuten
Kinostart
20.12.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm
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Diskussion

Optimistisches Liebes- und Emanzipationsdrama, in dem sich der melancholische Sprössling einer reichen indischen Familie in ein tatkräftiges Dienstmädchen verliebt, das unbeirrt seinen Traum verfolgt, zusammen mit seiner Schwester ein Modelabel zu gründen.

Kaum nähert sich der Autobus Mumbai, streift die junge Frau ihre schmalen Armreife wieder übers Handgelenk. In dem Dorf, in dem sie ihre Mutter und ihre Schwester besucht hat, durfte sie den Schmuck nicht tragen. Das schickt sich nicht für eine Witwe. Doch in der multikulturellen Metropole Mumbai gelten andere Sitten. Hier kann Ratna ein Leben nach eigenen Regeln führen.

Als Hausangestellte verdient sie ihr eigenes Geld, mit dem sie sogar ihrer Schwester Choti ein Studium finanziert. Ratna träumt davon, Modedesignerin zu werden und mit Choti ein Unternehmen zu gründen. Diese Pläne scheinen auch aufzugehen. Denn Choti steht kurz vor dem Abschluss, und Ratna erlernt bei einem Schneider das Handwerk. Überdies behält sie unerwartet Beistand von ihrem Auftraggeber Ashwin, der in ihr eine Seelenverwandte erkennt. Doch die aufkeimenden Bande zwischen den beiden sind nicht standesgemäß.

Wachsende Spannungen innerhalb der indischen Oberschicht

Die in Kalifornien, New York und Paris lebende indische Regisseurin Rohena Gera hat für ihren optimistischen Debütfilm einen Liebeskonflikt ersonnen, der in der Realität so wahrscheinlich nie stattfinden würde, da in Indien das Kastensystem das gesellschaftliche Leben durchgängig dominiert. Der Film führt eindringlich vor Augen, wie niederdrückend sich die hierarchische Ordnung auf den Alltag der jungen Generation auswirkt, ungeachtet aller Mobilität und des wachsenden Wohlstands. Das zeigt sich schon daran, dass die Handlung größtenteils in den Innenräumen des großzügigen Appartements von Ratnas Chef spielt. Darüber entsteht eine Nähe, die Anlass für die vielen Gesprächsszenen bietet zwischen Ratna, ihrem Chef und dessen Besuchern. Das ungleiche Liebespaar kommt sich durch dieses Setting näher; es verdeutlicht aber auch die teils demütigende Situation der Hausangestellten.

In Ashwins Verhalten verdichtet sich die Kritik einer jungen Generation, die das Kastenwesen als Zumutung erfährt, insbesondere, da sie zum Studium ins Ausland geschickt wurde und nach der Rückkehr die sozialen Strukturen und Traditionen ihrer Heimat mit befremdlichen Augen betrachtet.

Ashwin lebte in New York, er schrieb Artikel für Magazine, musste dann aber zurück und in die Baufirma seines Vaters einsteigen. Diese Arbeit fällt ihm schwer, trübt seine Gedanken und drückt auf sein Gemüt. Er hat den US-amerikanischen Traum verinnerlicht, der Menschen nach ihrer Leistung bemisst und soziale Durchlässigkeit verspricht. Die Jugend erweist sich in dieser Perspektive als Hoffnungsträger; jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Doch in Indien würgen die Eltern jedes Engagement ab. Ashwins Vater lässt seinen Sohn keinen Auftrag eigenständig durchführen; Ratna wird von ihrem Ausbilder als Putzfrau missbraucht. Da sie zur Unterschicht gehört, ist sie für die Verwirklichung ihres Traums auf die Solidarität anderer Menschen angewiesen, die ihr Geld leihen oder mit Kontakten zur Seite stehen.

Voller Lebensfreude und Tatkraft

Bei der formalen Gestaltung stand der Regisseurin Wong Kar-wais „In the Mood for Love“ vor Augen. „Die Schneiderin der Träume“ lebt von Farbe, von der Ausstattung und von der inszenierten Beziehung im Raum. Das Appartement ist in gedecktem Grün- und Brauntönen gehalten, vor denen sich Ratnas farbenprächtige Saris wirkungsvoll abheben. Auch die Hauptdarstellerin Tillotama Shome versprüht enorme Tatkraft und Lebensfreude; ihre Figur weiß, was sie will.

Trotzdem zielt der Film auf die Ähnlichkeit der Schicksale von Ratna und Ashwim ab, die von der hierarchischen Enge der Gesellschaft bedrängt werden; was die Inszenierung eindrucksvoll umsetzt in Aufnahmen der beiden in dem langen Korridor oder in einer Parallelfahrt an ihren Zimmern vorbei, wo sie Rücken an Rücken leben, einander sehr nah sind durch ihre vielen Gespräche, und doch zugleich sozial so fern. Während Ratna draußen das bunte Leben winkt, schleppt sich Ashwin durch das milchige Grau seines Arbeitsplatzes. Die wenigen Totalen weisen auf seine Einsamkeit, wenn er verloren auf dem Balkon inmitten der Hochhausschluchten steht.

Utopisches Bild im Zeichen der Humanität

„Die Schneiderin der Träume“ ist eine Emanzipations- und Liebesgeschichte. Der Film zeichnet Ratnas soziale Situation als durchaus hoffnungsvolles Bild, das eine gesellschaftliche Utopie entwirft. Dass dabei manche Realitäten vereinfacht und einige Charaktere sehr idealistisch geraten sind, steht im Dienst der Sache. Solidarität und Humanität sind für die Verwirklichung des US-amerikanischen Traums unerlässlich.

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