Mogli - Legende des Dschungels

Abenteuer | Großbritannien/USA 2018 | 104 Minuten

Regie: Andy Serkis

Nach Disneys Realfilm-Adaption („The Jungle Book“, 2016) eine weitere Neuverfilmung von Rudyard Kiplings Klassiker „Das Dschungelbuch“: Nach einem Angriff des Tigers Shir Khan auf seine Familie wächst der Menschenjunge Mogli unter Wölfen im Dschungel auf. Zunehmend hadert er mit seiner Identität, da er sich weder dem Wolfsrudel noch der Menschenwelt ganz zugehörig fühlt. Der gefährliche Tiger zwingt ihn dazu, sich zu positionieren. Die Neuverfilmung des Kipling-Stoffs setzt im Vergleich zu anderen Adaptionen mehr auf Düsternis als auf Heiterkeit. Als Regisseur zeichnet Performance-Capture-Experte Andy Serkis für den Film verantwortlich und setzt neue Maßstäbe mit dem Verfahren, das den computeranimierten tierischen Figuren Züge realer Schauspieler verleiht. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
MOWGLI
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Imaginarium/Warner Bros.
Regie
Andy Serkis
Buch
Callie Kloves
Kamera
Michael Seresin
Musik
Nitin Sawhney
Schnitt
Alex Marquez · Jeremiah O'Driscoll · Mark Sanger
Darsteller
Rohan Chand (Mogli) · Christian Bale (Bagheera) · Benedict Cumberbatch (Shere Khan) · Andy Serkis (Baloo) · Peter Mullan (Akela)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Abenteuer | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion

Die Realfilm-Adaption von Rudyard Kiplings Klassiker „Das Dschungelbuch“ durch Andy Serkis war vom Pech verfolgt, weil sie in Konkurrenz zu Disneys „The Jungle Book“ entstand. Kürzlich ist der Film nun auf Netflix gestartet – und liefert eine dunkler getönte Interpretation des Stoffs, die ganz auf die Qualität des Performance-Capture-Verfahrens setzt, um die Dschungeltiere menschlicher denn je erscheinen zu lassen.

Der tapsige Menschenjunge Mogli, der gutmütige, ein wenig tollpatschige Bär Balu, der weise Panther Baghira und der machtgierige Tiger Shir Khan: Dass sich die Bilder dieser Figuren in das popkulturelle Gedächtnis mehrerer Generationen eingebrannt und die Vorstellung einer recht lieblichen Abenteuergeschichte geprägt haben, ist vor allem Wolfgang Reithermans enorm erfolgreichem Zeichentrickfilm „Das Dschungelbuch“ aus dem Jahr 1967 zu verdanken. Ausgerechnet der Disney-Konzern selbst hat 2016 mit der Neuadaption von Jon Favreau ("The Jungle Book") diese Niedlichkeit wieder ein wenig zurechtgerückt und korrigiert, mit allerlei dramatischen Szenen, einem plastischen dreidimensionalen Dschungel und wilden Tieren, die teils wirklich gefährlich wirken. Gegen diese Version muss sich nun Andy Serkis’ „Mogli“ behaupten, der parallel entwickelt wurde und manches mit diesem gemein hat. Auch hier sind die fotorealistisch computeranimierten Tiere die Stars (denen wiederum Hollywood-Stars ihre Stimmen leihen und mittels Performance Capture auch den mimischen Ausdruck prägen), auch hier ist der Tonfall um einiges düsterer. Wo Favreaus „Jungle Book“ mit visuellen und musikalischen Zitaten jedoch noch die Nähe zu Reithermans Zeichentrickklassiker sucht und diesem Tribut zollt, steht „Mogli“ für sich allein.

Eine düstere Fassung von Rudyard Kiplings Kinderbuch-Klassiker

Das Publikum den Dschungel spüren zu lassen, das hatte Andy Serkis als Regisseur dieses Films, der in den vergangenen Jahren vor allem durch seine turbulente Produktions- und Auswertungsgeschichte von sich reden gemacht hat, im Sinn. Es sollte eine dunklere, schmutzigere Fassung werden als alle anderen. Und so beginnt „Mogli“ mit einer Rückblende, die zu einer Art „origin story“ wird: Der Tiger Shir Khan fällt über eine Menschenfamilie her, tötet die Erwachsenen und lässt deren blutüberströmten Säugling zurück. Dass dieser überlebt, hat er dem Panther Baghira zu verdanken, der ihn zu einem Wolfsrudel bringt und sich dort dafür ausspricht, ihn in der Sippe aufzunehmen. Shir Khan fordert die Herausgabe des Menschenkinds. Doch die Wölfe widersetzen sich.

So sind die Fronten geklärt. Der bösartige Tiger auf der einen Seite, der für das Wilde und Unberechenbare steht, das nach Regeln lebende, demokratisch organisierte Rudel der Wölfe, zu dem neben Baghira auch der als Lehrer fungierende Bär Balu zählt, als Gegenpol. Und mittendrin das Menschenjunge Mogli, das nach seinem Platz im Dschungel suchen muss. Vor allem um die Frage nach Zugehörigkeit und Identität geht es in „Mogli“. Einerseits fühlt sich der Junge als Wolf und mit dem Wolfsrudel verbunden, andererseits aber spürt er, dass er irgendwie anders ist. Mogli, so könnte man sagen, lebt zwischen den Kulturen und Traditionen, ist Außenseiter hier wie dort.

Noch deutlicher wird dies, als er später in ein menschliches Dorf gelangt und auch dort mit zwiespältigen Gefühlen konfrontiert wird. Ebenso vertraut wie fremd wirkt das Leben unter den Menschen für ihn. Bis die Erkenntnis, dass ein Jäger Tiere aus Spaß tötet, ihn dazu zwingt, sich eindeutig zu positionieren. Die zivilisiertere Gemeinschaft sind in diesem Film die wilden Tiere; zumindest die meisten von ihnen.

Noch nie waren die Dschungeltiere menschlicher

„Mogli“ ist ebenso Parabel wie Märchen, das die Anthropomorphisierung, die Vermenschlichung der Tiere, durch das „Performance Capture“-Verfahren auf die Spitze treibt: Fließend geht die Mimik der Schauspieler auf die digital erstellten Tiere über und verleiht diesen menschliche Züge. Wurde diese Technik bei der Neuauflage des Disney-„Dschungelbuchs“ hauptsächlich für gröbere Bewegungen eingesetzt, so liegt ein Schwerpunkt des Serkis-Films auf der detaillierten Übertragung von Realität in Fiktion. Serkis gilt als Experte, wenn es um die realistische Darstellung künstlicher oder gar fantastischer Figuren geht, und bringt die entsprechende Erfahrung mit. Als Darsteller aus Fleisch und Blut ist Serkis im Laufe der letzten 20 Jahre weitgehend unsichtbar geblieben. Es sind seine Mimik- und Gestik-Daten, die via Performance Capture erhoben wurden und die digitalen Wesen geprägt haben. Ohne Serkis’ Darstellung hätte ein wichtiger Handlungsstrang aus Peter Jacksons monumentalen „Herr der Ringe“-Filmen ("Die Gefährten", "Die zwei Türme", "Die Rückkehr des Königs" und "Der Hobbit: Eine unerwartete Reise") nicht funktioniert: Dort „spielte“ Serkis den vom Weg abgekommenen Smeagol beziehungsweise dessen Alter Ego Gollum und verlieh diesem bereits derart fein gezeichnete Züge, dass daraus eine der ersten digitalen Figuren wurde, die vollauf überzeugend „echt“ und „lebendig“ wirkten.

Seither ist Serkis’ Karriere eng verwoben mit der Weiterentwicklung der digitalen Bewegungserfassung. Er hat Kapitän Haddock in Spielbergs „Die Abenteuer von Tim und Struppi“-Film gespielt, vor allem aber auch den intelligenten Affen Caesar in den „Planet der Affen“-Reboots von Matt Reeves ("Planet der Affen: Prevolution", "Planet der Affen: Revolution", "Planet der Affen: Survival").

Andy Serkis führt vom Motion- zum Performance Capture

Damit hat Serkis maßgeblich dazu beigetragen, die Rolle des Schauspielers beim Motion-Capturing zu definieren: Die Arbeit der Schauspieler dient nicht nur als grobe Hilfestellung für die Arbeit der Animatoren und Grundlage für die digitale Reproduktion von Bewegungen.

Mittlerweile – und dies markiert den Übergang von der Motion- zur Performance-Capture – wird die Mimik und Gestik der Darsteller akribisch auf die digitalen Modelle übertragen. Die Animation lässt sich mit einer digitalen Maske vergleichen, die über die Physiognomie der Darsteller gestülpt wird und sensibel auf jedes Muskelzucken, jede Augenbewegung reagiert. Auch wenn sie nicht in ihren realen Körpern im Film zu sehen sind, beruht die Wirkung der Figuren damit doch wesentlich auf dem Spiel der Darsteller und deren Fähigkeit, den Charakter einer Figur in Mimik und Gestik auszudrücken.

Vor allem in Großaufnahmen lebt nun auch „Mogli“ von dieser Technologie und betont die Leistung der Darsteller nicht nur im Hinblick auf ihre Stimmen. Hinter der Schlange Kaa verbirgt sich Cate Blanchett, hinter Baghira Christian Bale, hinter Balu Andy Serkis, hinter Shir Kahn Benedict Cumberbatch. Doch so faszinierend es ist, wie diese Figuren zum Leben erweckt werden, so überraschend künstlich sind andere Einstellungen geraten, die in ihrer Überzeichnung eher an ein Videospiel erinnern. Zudem lasten zwei weitere unglückliche Zufälle auf dem Film.

Trotz Serkis’ eigenen Akzenten kann der Film nicht ganz den Makel abschütteln, dass man mit „The Jungle Book“ eine sehr ähnliche Geschichte erst vor kurzem schon einmal gesehen hat. Zum anderen hat der Film das Pech, dass er auf Netflix nicht so zu sehen ist, wie er offensichtlich konzipiert wurde, nämlich für die große Leinwand in 3D. Die Anordnung der Bildelemente vermittelt eine Ahnung davon, wie hier mit stereoskopischen Tiefeneffekten gespielt werden sollte. So ist „Mogli“ auch technisch flacher geworden als nötig. Sein größtes Problem ist aber vor allem, dass er zur falschen Zeit entstanden ist.

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