Anderswo. Allein in Afrika

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 103 Minuten

Regie: Anselm Nathanael Pahnke

Reisedokumentarfilm über eine außergewöhnliche Fahrradtour des 1989 geborenen Anselm Nathanael Pahnke, der den afrikanischen Kontinent auf dem Fahrrad durchquerte. Während der 15.000 Kilometer langen Reise, die größtenteils der eigenen Selbstfindung dient, filmt er sich, die Menschen und das Land, wobei er seine Gedanken und Erfahrungen sowohl im Bild als auch im Off-Kommentar wortreich ausbreitet. Man erfährt darüber viel über ihn und seine Erlebnisse, aber wenig über Afrika, das als exotisch-touristische Projektion bar jeder historischen oder politischen Reflexion, aber nie als herausfordernde Fremdheitserfahrung in Blick kommt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Avalia Studios
Regie
Anselm Nathanael Pahnke · Janco Christiansen
Buch
Laia Gonzalez · Anselm Nathanael Pahnke
Kamera
Anselm Nathanael Pahnke
Musik
Jan Finck · Thomas Kisser · Thomas Reifner
Schnitt
Andree Fischer
Länge
103 Minuten
Kinostart
13.12.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Reisedokumentarfilm über eine außergewöhnliche Fahrradtour des 1989 geborenen Anselm Nathanael Pahnke, der den afrikanischen Kontinent auf dem Fahrrad durchquerte.

Diskussion

Zu einem der großen Überraschungserfolge des Kinojahres mauserte sich der Film „Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt“ von Patrick Allgaier und Gwendolin Weisser. Die Selbstdokumentation einer dreijährigen Weltumrundung faszinierte das Publikum und reihte sich in eine neue Form der Reisedokumentation ein, die durch Unterstützung von Crowdfunding-Projekten und einer extrem mobilen Kameratechnik möglich geworden ist.

Auch Anselm Nathanael Pahnke hat seine Afrika-Durchquerung auf dem Fahrrad medial dokumentiert und fürs Kino aufbereitet. Ursprünglich wollte Pahnke mit zwei Freunden vom Südkap bis ans Mittelmeer radeln, doch seine beiden Begleiter brachen den Trip schon bald ab, weshalb Pahnke seinen Weg allein fortsetzte, 15.000 Kilometer lang kreuz und quer durch den ganzen Kontinent. Das ist für sich genommen sehr beeindruckend, obwohl man sich schnell fragt, warum dieses Unterfangen, das größtenteils einer Art Selbstfindung zu dienen scheint, ein größeres Publikum ansprechen soll – und mit welchen Mitteln das versucht wird.

Naives „Eintauchen“ ins Exotisch-Fremde

Wenn Pahnke nicht gerade selbst in eine der vielen Kameras spricht, die er mit sich führt, kommentiert er seine Gedanken und Empfindungen nochmals über Voice-Over, was das Publikum in seine Perspektive einbindet. Dieses erzählerische Verfahren ist allerdings nicht unproblematisch. Auch wenn der Radfahrer aus Leidenschaft sympathisch wirkt, stört man sich doch an einer ziemlich naiven Sichtweise auf die eigene Position. So möchte er „eintauchen“ in die Fremde, die sich ihm „öffnen“ soll, um dort endlich die Freiheit zu finden, die man in Europa durch den Druck der Zivilisation angeblich nicht hat. Aus dem Hamsterrad des modernen Menschen soll endlich ausgebrochen werden, wenn sich die Leere der Kalahari-Wüste bis zum Horizont ausbreitet. Das ist keine neue Fantasie, wenn man die Kolonialgeschichte Europas betrachtet, die für Pahnke allerdings kein Thema zu sein scheint, obwohl er sie reproduziert.

Selbst wenn er die „Wunder der Natur“ in höchsten Tönen preist und freundlich-kollegial jeden Passanten mit Handzeichen grüßt, wirkt sein Weg wie eine Suche nach Exotik und Entgrenzung, bar jeden historischen oder politischen Bewusstseins. Sich von den stereotypen Bildern reinen Elends abzugrenzen, die fälschlicherweise so oft mit dem afrikanischen Kontinent assoziiert werden, ist zwar positiv – doch durch Ruanda zu fahren und nur die Tierwelt und die Teeplantagen zu thematisieren, grenzt an Ignoranz.

Dabei kommt es zu den üblichen Verdopplungen, die man aus Urlaubsvideos von Hobbyfilmern kennt. Wenn eine Frucht zu sehen ist, wird das nochmals ausgesprochen; schließlich ist alles, was zu sehen ist, eine unglaubliche Entdeckung. Der Exotismus spiegelt sich auch musikalisch in folkloristischen Einlagen wider, die eine authentische Stimmung vermitteln sollen.

Mit viel Bedacht in Szene gesetzt

Das Gefühl von Authentizität ist ohnehin das wichtigste Element der Reisedokumentation und wird von Pahnke mit sehr viel Bedacht in Szene gesetzt. Wie oft muss er eine Stecke mehrfach gefahren sein, um sich selbst aus einem anderen Winkel vom Stativ aus zu filmen? Natürlich ist die Reise auch gefährlich und verdichtet die obligatorischen Hindernisse zu kleinen Wendungen. Ein schlecht gelauntes Nilpferd greift beinahe an, und natürlich bleibt Pahnke nicht von den üblichen Infektionskrankheiten verschont, die allen Touristen blühen.

Wenn man zum Vergleich an „Untitled“ denkt, den letzten Film von Michael Glawogger, der während dieses Reisefilms auf tragische Weise an Malaria verstarb, wird der ästhetische und erzählerische Unterschied zu „Anderswo“ deutlich. Anstatt zuzuhören, die Bilder sprechen zu lassen und vorschnelle Gewissheiten zu hinterfragen, kann Pahnke in seinem ununterbrochenen Redefluss es gar nicht fassen, dass nicht alles schon auf ihn wartet, dort, „im Herzen Afrikas“.

Was er vorfindet, scheint nur mit ihm zu tun zu haben, seinem Streben nach Selbstverwirklichung, mit dem, was er schon kennt oder wiedererkennen möchte. Dass es zu den Privilegien seines Weißseins gehört, sich frei bewegen zu können und aus seinem Abenteuer symbolisches wie reales Kapital zu schöpfen – auf diese Idee kommt Pahnke nicht. Insofern unterscheidet sich „Anderswo“ nicht von den Selbstdokumentationen der meisten Backpacker und Abenteuertouristen, die sich als besonders interkulturell verstehen – aber außer körperlichen Strapazen kaum eine echte Fremdheitserfahrung machen.

Das Bedürfnis nach sensationellen Abenteuern

Andere Menschen daran teilhaben zu lassen, was man gerade erlebt, mag ein Vorzug der sozialen Medien sein, doch der Drang zur permanenten Selbstbespiegelung kippt durch sie in neue, teilweise extrem unschöne Formen. Ob man Pahnke wirklich dabei zusehen möchte, wie er sich vor laufender Kamera mit einem improvisierten Schlauch einen Einlauf legt, um der Verstopfung zu entgehen, hängt vom Bedürfnis des Zuschauers nach sensationellen Abenteuern ab. Am Ende des Films hat man auf jeden Fall mehr über Anselm Nathanael Pahnke als über „Afrika“ gelernt.

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