Drama | Italien/Frankreich 2018 | 383 (TV, 8 Folgen) Minuten

Regie: Niccolò Ammaniti

Achtteilige italienische Serie um ein angebliches Marienwunder, das in Italien einen Zirkel von Leuten in allerlei Konflikte stürzt: Im Haus eines Mafia-Bosses wird bei dessen Verhaftung eine Marienfigur entdeckt, die blutige Tränen zu weinen scheint. Das „Wunder“, das vor der Öffentlichkeit tunlichst geheim gehalten wird, beschäftigt bald diverse Personen, von einem Geheimdienst-General über den italienischen Präsidenten bis hin zu einer Biologin und einem Priester. Mit differenzierten Charakterporträts, die verschiedene Sichtweisen auf das „Wunder“ eröffnen und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten verortet sind, erzählen die Episoden hintersinnig vom „Skandalon“ eines mit rationalen Mitteln nicht erklärbaren Ereignisses, das am Weltbild einer säkularen Gesellschaft kratzt, und vom Glauben als vitale Alternative. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IL MIRACOLO
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Sky Italia/Wildside/Arte France/Kwaï
Regie
Niccolò Ammaniti · Francesco Munzi · Lucio Pellegrini
Buch
Niccolò Ammaniti · Stefano Bises · Francesca Manieri · Francesca Marciano
Kamera
Daria D'Antonio
Musik
Murcof
Schnitt
Clelio Benevento
Darsteller
Guido Caprino (Fabrizio Pietromarchi) · Elena Lietti (Sole Pietromarchi) · Sergio Albelli (Giacomo Votta) · Pia Lanciotti (Marisa) · Lorenza Indovina (Clelia)
Länge
383 (TV, 8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Serie
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Heimkino

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Diskussion

Eine italienische Miniserie um ein angebliches Marienwunder, das als Skandalon des rational nicht Erklärbaren die Weltbilder verschiedener Protagonisten in Aufruhr bringt.

Der englische Schriftsteller Julian Barnes eröffnete eines seiner Bücher – „Nothing To Be Frightened Of“ von 2008 – mit der griffigen Formulierung „I don’t believe in God, but I miss Him.“ („Ich glaube nicht an Gott, doch ich vermisse Ihn.“) Ein eindrucksvoller erster Satz, und trotzdem war sich Barnes seiner Sache nicht ganz sicher, weshalb er ihn seinem Bruder Jonathan, seines Zeichens Professor für Philosophiegeschichte, zur Begutachtung vorlegte. Dessen Verdikt: „soppy“ (ungefähr: „sentimental“). Wie Julian reagierte, ist nicht überliefert, die Sentenz blieb jedenfalls erhalten und hat es seither zu einer gewissen Berühmtheit als Zitat in Selbstfindungskreisen gebracht. Ein wenig fühlt man sich daran erinnert bei der ersten Begegnung mit der thematisch außergewöhnlichen Serie „Ein Wunder“ („Il miracolo“), die der italienische Schriftsteller Niccolò Ammaniti als Autor und Showrunner verantwortet hat und die der Sender arte in acht Folgen (oder Kapiteln) ausstrahlt.

Man wird zunächst überrascht von der Selbstverständlichkeit, mit der der Einbruch des Religiös-Numinosen, das die gewohnte wissenschaftliche Wahrnehmungsweise der Wirklichkeit transzendiert, visuell und dramatisch geschildert wird – nur um sich sodann zu fragen, wessen man da soeben Zeuge geworden ist und wie es vor gewohnten ästhetischen und rationalen Standards bestehen mag. Worum handelt es sich? Oh, es ist so italienisch! Bei der Verhaftung eines höheren Mafia-Funktionärs trifft ihn die Polizeitruppe über und über blutverschmiert und hochgradig verwirrt an; in seiner Behausung findet sich eine Statue der Muttergottes, die unaufhörlich Blut weint, obwohl sich keine logische Erklärung dafür angeben lässt – ein äußerst beunruhigendes Marienwunder in unseren bewegten und – so scheint es zunächst – durch und durch säkularen Zeiten!

Skeptizismus trifft auf den Wunsch zu glauben

In solchen gilt es selbstverständlich, ein derartig unerklärliches und potenziell aufrührerisches Geschehen unbedingt geheim zu halten. Was natürlich nicht gelingt. Und so sieht sich der Geheimdienst-General Votta (Sergio Albelli) zunächst genötigt, den Regierungschef, Presidente Fabrizio Pietromarchi (Guido Caprino), zu informieren, in dessen dysfunktionaler Familie die Neuigkeit erste Wirkmächtigkeit zu entfalten beginnt. Ins Vertrauen gezogen werden auch die Biologin Sandra Roversi (Alba Rohrwacher) als vermeintliche Advokatin wissenschaftlicher Rationalität und ein alter Bekannter Fabrizios, der Geistliche Marcello (Tommaso Ragno).

In jeweils kurzen, eindringlichen Porträts und Szenen aus ihrem privaten Alltag werden diese und weitere Figuren näher vorgestellt, in ihrer Vereinzelung, mit ihrer Unfähigkeit, selbst mit dem Nächsten zu kommunizieren, aber auch mit ihrem fundamentalen, ihnen oft selbst unbewussten Wunsch zu glauben. Das ist teilweise sehr literarisch erzählt, im Stile einer Kurzgeschichtensammlung (Ammanitis Herkunft aus jener Sphäre macht sich bemerkbar), fügt sich aber zu einem wenn auch heterogenen Panorama der zeitgenössischen römischen Stadtgesellschaft zusammen.

Wiedergänger biblischer Figuren

Die Serie vermeidet es, Rom als Schauplatz allzu sehr auszustellen; man ergänzt zum Thema jedoch im Geiste die dort allgegenwärtigen Kirchen, Kreuze und das „heilige Personal“ im Straßenbild. Und sie findet treffende Bilder für die vielfältigen Erscheinungsformen des Christlich-Religiösen in unserem gottfernen Alltag, ja es gelingt Ammaniti sogar, einzelne Figuren glaubwürdig auf biblische Archetypen zurückzuführen: Da gibt es den ungläubigen Thomas, die barmherzige Samariterin, und auch Maria Magdalena scheint (mindestens!) eine Wiedergängerin in der Gegenwart zu haben. Hier liegen die Stärken des Drehbuchs.

Die Darstellerleistungen variieren bisweilen stark, vom Laienschauspielerniveau einiger Assistenzfiguren bis hin zu sehr intensiven, stark gespielten Auftritten Alba Rohrwachers oder Tommaso Ragnos. Dessen Porträt des masochistischen, von tiefem Selbsthass zerrissenen, sündigen Geistlichen, der daran zerbricht, dass er täglich das Wort Gottes predigen muss, obwohl er selbst den alltäglichsten Versuchungen wollüstig erliegt, gehört zu den eindrucksvollsten szenischen Momenten von „Ein Wunder“ und könnte – ähnlich dem „Bad Lieutenant“ – als „Bad Priest“ so etwas wie ein moderner cineastischer Archetypus eigenen Rechts werden. Sein Schicksal lässt sich jedenfalls mit großer Anteilnahme verfolgen.

Stresstest fürs moderne, säkularisierte Weltbild

Stärker und stärker im Verlauf der Serie wird die Unsicherheit, ja Ohnmächtigkeit der wissenschaftlich-rationalen Betrachtungsweisen angesichts des Unerklärlichen, des „Wunders“ vorgeführt, während die Kamera immer wieder einschwenkt auf das ikonische Gesicht der Blut weinenden Madonna, die – so legt Ammaniti nahe – unser gesamtes existenzielles Koordinatensystem einem Stresstest unterzieht. Es beginnt ein Wettlauf der Interpretationen und Erklärungsversuche; die Charaktere werden zunehmend unruhig und legen ungewohnte Verhaltensweisen an den Tag – die Madonna steht und weint. Die Biologin zieht ihre Zunft in Zweifel, die – wie schon der Vorspann der Serie durch die Mikroskopaufnahme einer In-vitro-Fertilisation andeutet – heutzutage oft in das eingreift, was einst als Geschäft Gottes galt.

Presidente Pietromarchi hingegen, der moderne Skeptiker und Zweckrationalist, hat es nicht nur mit einer anmaßenden, untreuen Ehefrau zu tun, sondern realisiert beim Blick auf seine Kinder auch, dass diese mehr und mehr unter den (spirituellen) Einfluss des polnischen Kindermädchens Olga geraten, die sie das Beten und eine Form der Alltagspietät lehrt, die in seinem Hause bisher unbekannt war. In der Auseinandersetzung mit der Mutter der Kinder lässt sich der Schlagabtausch zweier großer katholischer Nationen (Italien und Polen) erleben, die sich über Fragen moderner, individueller Lebensführung längst stark entzweit haben. Interessant die Frage, weshalb die Pietromarchis sich gerade für Olga in dieser wichtigen Funktion entschieden haben. Die tiefe Sehnsucht der Agnostiker nach dem, was ohne Gott immer fehlt?

Die formal, vor allem aber thematisch originelle Serie wirft viele unbequeme Fragen auf, innerhalb ihres Erzählkosmos („Glauben Sie an Gott?“), aber auch solche, die die Zuschauer für sich zu beantworten haben. Sie scheut sich aber auch nicht, Antworten zu geben. Dabei macht sie es sich und den Zuschauern nie leicht, trägt sie doch, wie Marcello in einer seiner eindringlichsten Szenen, stets das Kreuz Christi deutlich sichtbar durch die schmutzigen Straßen. Die starke Anwaltschaft der Serie für ein religiös fundiertes, konservatives Weltbild, das hier einmal keine Rückzugsgefechte zu bestehen hat, sondern sich als vitale und fruchtbare Alternative ins Spiel bringt, dürfte so manchen provozieren. Man darf gespannt sein, welche Aufnahme Ammanitis waghalsiges, doch stolz vorgetragenes Angebot beim Publikum finden wird. 

Die Serie "Ein Wunder" besteht aus 8 Episoden (ca. je 50-55 Min). arte zeigt am 10.1. Folge 1-3, am Do., 17.1. Folge 4-6 und am Do., 24.1. Folge 7-8.

Alle Folgen sind auch in der arte Mediathek verfügbar.

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