Der Baum des Blutes

Drama | Spanien 2018 | 130 Minuten

Regie: Julio Medem

Ein junges Paar bezieht ein altes Familienanwesen in den baskischen Bergen, um dort gemeinsam die verschlungenen Geschichten seiner Familien festzuhalten. Das Vorstoßen in die Geheimnisse der Vergangenheit stürzt die beiden in einen tiefen persönlichen Konflikt. Ein poetisches Familien- und Zeitporträt des baskischen Regisseurs Julio Medem um den Umgang mit privater und kollektiver Geschichte und Erinnerung, das sich kunstvoll als Mosaik aus verschiedenen Schicksalen formt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL ÁRBOL DE LA SANGRE
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Arcadia
Regie
Julio Medem
Buch
Julio Medem
Kamera
Kiko de la Rica
Musik
Lucas Vidal
Schnitt
Elena Ruiz
Darsteller
Álvaro Cervantes (Marc) · Úrsula Corberó (Rebeca) · Patricia López Arnaiz (Amaia) · Joaquín Furriel (Olmo) · Lucía Delgado (Nuria)
Länge
130 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion

Ein Drama von Julio Medem ("Die Liebenden des Polarkreises"): Ein junges Paar zieht sich auf das alte Landgut seiner Familie zurück, um dort gemeinsam in Ruhe einen Stammbaum mit den Geschichten und Schicksalen seiner Vorfahren zu erstellen. Wobei dunkle Familiengeheimnisse ans Licht kommen.

Ein rotes Auto parkt vor einem alten steingemauerten Bauernhaus. Im Hintergrund ragen die Berge hoch in den blauen Himmel, die Kühe grasen auf saftig grünen Wiesen. Rebeca und Marc steigen aus. Den alten Baum, der vor dem Haus steht, werden sie umarmen. Hier in ländlicher Einsamkeit will das Paar seine komplizierte und schmerzhafte Beziehung und die Geschichte ihrer Familien aufschreiben. Ein gemeinsames Buch soll es werden, „ohne Politik und ohne Ideologie“. Für beide ist der Ort voller Erinnerungen, denn hier wuchs die Schriftstellerin Amaia auf, die später mit Marcs Mutter Nuria den Bund fürs Leben einging. Aber vorher war Amaia mit Olmo, Marcs leiblichem Vater, verheiratet. Marc war die Frucht einer flüchtigen Affäre in einer kleinen Bucht der Costa Brava, 1991, als Nurias Eltern gerade bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren und Olmo sie vor der georgischen Mafia retten wollte. Eigentlich, aber auch das kommt viel später heraus, hatte er jedoch ganz andere Gründe.

Rebecas Mutter wiederum ist „La Maca“, Macarena, eine legendäre Punk-Sängerin Ende der 1980er Jahre.  Bald nach der Geburt ihrer Tochter verfällt sie in eine tiefe Depression und durchlebt schwere Psychosen. Wer Rebecas Vater ist, weiß niemand, aber schon bald nimmt Victor die Vaterstelle an – und über ihn sind die Familiengeschichten von Marc und Rebecca verbunden: Er ist Olmos Bruder, und beide haben eine dunkle Vergangenheit: Ihr Vater, als Kind aus dem Spanischen Bürgerkrieg in die Sowjetunion evakuiert, wurde Jahrzehnte später einer der gefährlichsten Chefs der russischen Mafia in Spanien. Immer mehr geraten Marc und Rebeca über die Geschichte ihrer Familie in einen tiefen persönlichen Konflikt...

Julio Medem: Ein Meister des Atmosphärischen

Die Filme des baskischen Regisseurs Julio Medem lassen sich nicht in wenigen Zeilen zusammenfassen: Medem ist ein Meister des Atmosphärischen, kunstvoll verflochtener Handlungsstränge und verschachtelter Geschichten. Die funktionieren auf eine fast unterbewusste, magische Weise, in der das scheinbar Zufällige schicksalsbestimmend wird und sich Orte, Landschaften und Personen virtuos verbinden.

Mit seinem jüngsten Film ist der mittlerweile 60-jährige Filmemacher zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt: Zurück in die baskischen Berge mit ihren alten Traditionen und archaischen familiären Strukturen und besonders den hellbraunen Kühen, denen er 1992 sein Debüt widmete: „Vacas“ („Kühe“), eine Familiensaga, in der die ganze baskische Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Spanischen Bürgerkrieg aus der Perspektive einer Kuh erzählt wird. Seit seinem Debüt und weiteren Filmen wie „Los amantes del circulo polar“ (1998 „Die Liebenden des Polarkreises“) und „Lucia y el sexo“ (2001 „Lucia und der Sex“) galt er fast uneingeschränkt als Meister des poetischen Films in Spanien. Aber seine folgenden Werke „Caotica Ana“(2007) und „A Room in Rome“ (2010) hatten etwas Süßliches, symbolisch Überfrachtetes, als hätte er seine bis dahin perfekte Balance zwischen Zufall, Schicksal und Gefühlen verloren. Erst mit „MaMa“ (2015 „Ma Ma – Der Ursprung der Liebe), fand er seinen poetischen Rhythmus wieder.    

Unschuldig sind allenfalls die Toten

„Der Baum des Blutes“ spinnt seine Handlung vom Baskenland über Madrid und Barcelona bis hin zu den iberischen Kampfstieren, die Macarenas Vater, ein andalusischer Unternehmer, im Süden Spaniens züchtet. Die Geschichte wird wie in fast allen Filmen Medems von blitzartigen Schicksalsschlägen bestimmt – wie dem plötzlichen Tod durch einen Verkehrsunfall oder dem unerwarteten Ende der Liebe durch Eifersucht oder Misstrauen – , aber auch von dem Wissen um die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz.

Es geht aber auch um die Unwahrheit, die hinter jedem Bild und jeder Geschichte liegen kann, um Vergangenheit und Schuld und den Umgang mit der Erinnerung – der eigenen und der kollektiven: etwa der an den Spanischen Bürgerkrieg, den ETA-Terror, an Korruption und Mafia. Erst am Ende wird verständlich, warum Rebecas Mutter von den Schreien eines kleinen Kindes in den Wahnsinn getrieben wurde und warum sich Victor so bereitwillig um das kleine Mädchen kümmerte. Unschuldig, und auch das ist ganz charakteristisch für Medems Universum, ist niemand – allenfalls die Toten.

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