Drama | Japan 1993 | 134 Minuten

Regie: Akira Kurosawa

Während des Zweiten Weltkrieges verkündet ein alter Professor in Tokio seinen Studenten, daß er sein Amt niederlegen und sich als Schriftsteller betätigen werde. Mit sich und der Welt zufrieden, führt er das Leben eines Bettlers, das durch die alljährlich wiederkehrenden Geburtstagsfeiern im Kreise seiner ehemaligen Schüler unterbrochen wird. Die stets wiederkehrende Frage, ob er bereit sei, von der Welt abzutreten, beantwortet er mit "madadayo" - was "noch nicht", aber auch "vielleicht" heißen kann. Ein faszinierender, lebenskluger Film, durchdrungen von einer zutiefst humanen Ehrfurcht, der die traditionellen Werte Japans, Lebensart und Lebenslust feiert. Zugleich eine persönliche Hommage Kurosawas an seinen verehrten Meister Eizo Uschida. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MADADAYO
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Daiei
Regie
Akira Kurosawa
Buch
Akira Kurosawa
Kamera
Takao Saito · Masaharu Ueda
Musik
Shinichirô Ikebe
Schnitt
Akira Kurosawa
Darsteller
Tatsuo Matsumura (Professor Hyakken) · Kyôko Kagawa (seine Frau) · Hisashi Igawa (Takayama) · George Tokoro (Amaki) · Masayuki Yui
Länge
134 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Während des Zweiten Weltkriegs betritt Professor Hyakken Uchida den Unterrichtssaal und verkündet den erstaunten Studenten, sein Lehramt für deutsche Sprache mit sofortiger Wirkung niederlegen zu wollen, da seine schriftstellerischen Tätigkeiten ihm dies erlaubten. Seine Schüler helfen ihm, dem strengen, aber auch schlitzohrigen und vor allem bescheidenen Lehrer, beim Umzug in die neue Wohnung. Doch im Tokio des Jahres 1943 bedeutet das keine Garantie für längere Sicherheit: Die Luftangriffe der Amerikaner zwingen nicht nur den Professor zum wiederholten Wechsel des Wohnsitzes. Mit Humor, traditioneller Freundlichkeit und Überlebenstraining trotzt der fast 60jährige der Welt des Krieges. Für mögliche Einbrecher in seinem ärmlichen Heim bringt er große Schrifttafeln mit dem Hinweis auf den Eingang, Durchgang und Ausgang an; und Bücher wären sowieso kein begehrtes Diebesgut.

Zum 60. Geburtstag des beliebten Professors versammeln sich seine ehemaligen Schüler. um mit ihm zu feiern, zu essen und zu trinken. Wenig später muß ein neuer Umzug organisiert werden. Doch selbst in der kleinen und bescheidensten Hütte hat der Meister seinen Lebenswillen nicht verloren. Eigentlich, meint er, sei mit dem Ende des Krieges nichts leichter geworden; häufig führe man heute das Leben eines Bettlers. Doch das Zuhause genüge ihm und seiner Frau, mehr bräuchten sie zum Leben nicht. Im Rhythmus der Jahreszeiten wiederholt sich nun das alljährliche Ritual der ausgelassenen Geburtstagsfeier. Auf die Frage, ob er bereit sei, von der Welt abzutreten, antwortet er enthusiastisch: "Madadayo" - noch nicht bereit. Im 15. Jahr dieser Treffen bricht Uchida zusammen. Im Bett liegend sieht er im Traum einen kleinen Jungen auf einer Wiese beim Versteckspielen. Und auch er wird von den anderen Kindern gefragt, ob er bereit sei...

Auf den ersten Blick mutet das 30. Werk des mittlerweile 94jährigen Akira Kurosawa naiv, irrational und für unsere westlichen Augen unzugänglich an. Völlig unspektakulär erfolgt dieser souveräne, selbstbestimmte Abtritt des Professors, der wie ein Seismograph feststellt, daß seine Zeit um ist. Selbst wenn er von den Tantiemen vielleicht doch nicht so gut wird leben können, wie er seinen Studenten und sich erzählt. Das asketische Leben läßt ihn aber nicht verzweifeln. Die Frage nach der Lebensqualität, ja dem Sinn des menschlichen Lebens überhaupt, beantwortet er im Stil eines wahren Intellektuellen. "Madadayo" durchzieht eine ganzheitliche, humanistische Auffassung: die Kongruenz, auch die Konvergenz von freier Zeit und Arbeit, von Ideal und Wirklichkeit, von Theorie und Praxis, von Körper und Geist. Professor Uchida verkörpert das lebende Beispiel für Freundschaft, Verständnis und Mitleid. Er weiß von der alten, gesunden Beziehung zur Natur, zu den Tieren, vom Kommen und Gehen des Menschen.

Gleichzeitig impliziert dieser (natürlich etwas) wehmütige, nostalgische Blick zurück die Gefahr der Sentimentalität. Aber Kurosawa inszeniert hier kein selbstgefälliges Rührstück, sondern im Kern den radikalen Abschied von einer Welt des Übergangs, die sich individuellen und gesellschaftlichen Kategorien und Idealen verschließt. Was sich hier leise ankündigt, ist der endgültige Zerfall eines alten, autoritär-feudalistischen Systems, das in Japan letztlich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Bestand hatte. Das Verhältnis von Lehrer und Schüler, oft über Jahrzehnte herzlich gepflegt, ist das Abbild einer verschworenen, reglementierten, ritualisierten, männlichen Gemeinschaft. Zwischen meister und Eleve herrscht ein stillschweigendes Einverständnis über die Verteidigung des Zen-Weges, der schicksalhaft verfolgt wird. "Madadayo" ist auch das Porträt einer verlorenen Generation. Allesamt befinden sich die Geburtstagsgäste des Professors in guten, sicheren Positionen, während er am Stadtrand seinen Lebensabend nur mit ihrer Hilfe verbringen kann. Ihr Wissen gründet sich auf besinnungslos eingepaukte Formeln. Nicht von ungefähr muß ein gestandener Mann während der Feier stundenlang alle Orte mit Bahnstationen auswendig aufsagen. "Es ist die Biographie eines Erziehers, wie es ihn ihm heutigen Japan, wo alle Schüler das gleiche tote Wissen eingetrichtert bekommen, nicht mehr gibt", sagt Kurosawa.

"Madadayo" ist immer auch exaktes Bild der Realität Japans - das Tokio der Vierziger, die Verwüstungen des Krieges, die Nachkriegstrümmer, heißt es im Presseheft zum Film. Demgegenüber steht der wenig schmeichelhafte Eindruck, daß gerade jene zeitspezifischen Außenszenen als vordergründige, billige Studiokulissen förmlich ins Auge stechen. Trotz des möglichen surrealen Charakters solcher Sequenzen liegt hier eine der Schwächen des Alterswerks. Eine weitere Schwachstelle betrifft das manchmal gequälte, fast peinliche Spiel der Schauspieler - besonders bei humoristischen, fröhlichen Einlagen. Die Anstrengung, Lachen, Freude oder Angst auf Kommando auszudrücken, ist ihnen häufig anzusehen. Viele Einstellungen scheinen auch ohne große Schnitte durchgedreht zu sein. Der organische Fluß, der Rhythmus früherer Kurosawa-Filme wird in "Madadayo" auch wegen schlampiger Anschlüsse oder unbeholfener Schnitte nicht erreicht.

Wie der andere große alte Meister der Weltkinematographie, der Portugiese Manoel de Oliveira, ringt der Japaner im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts dem Tod immer wieder ein neues Werk ab. "Ich drehe immer noch Filme, und ich tue es, weil ich davon leben muß. Ich wohne in gemieteten Häusern, weil ich es mir nicht leisten kann, eines zu kaufen, und ich habe im Ausland ein größeres Publikum als in meiner Heimat. Aber ich arbeite auch deshalb weiter, weil fast niemand mehr die Filme meiner großen Lehrer Naruse und Ozu und Mizoguchi kennt und ich der Meinung bin, daß das, was sie geschaffen haben, nicht vergessen werden darf", beschwört Kurosawa das Erbe, das Vermächtnis des japanischen Films.

In der Angst des Professors vor jedem Gewitter - er verkriecht sich mit einer Decke zusammengekauert in eine Ecke - spiegelt sich das Kindheitstrauma, das erst in der Schlußsequenz mit den spielenden Kindern und einer friedvollen Natur besiegt scheint. Auf der anderen Seite kann man in "Madadayo" auch das kollektive Trauma eines besiegten Landes, eines verlorenen Krieges erkennen. Zwischen den stilisierten, allegorischen und metaphorischen Naturbildern ist kein Ansatz zur Vergangenheitsbewältigung Japans auszumachen. In der sehr subjektiven Furcht des Meisters vor dem Kindheitserlebnis spiegelt sich damit die abwehrende Haltung eines Landes, das die Präsenz der fremden, amerikanischen (Besatzungs-)Kultur nicht wahrhaben möchte.
Kommentar verfassen

Kommentieren