Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 81 Minuten

Regie: Lion Bischof

Dokumentarfilm über die Münchner Studentenverbindung Germania Corps, der als teilnehmende Beobachtung die abgeschottete Welt der Männerbünde und ihre nationalistischen Vorstellungen sichtbar machen will. Exemplarisch folgt der Film der Initiation eines neuen Mitglieds und den damit verbundenen Regeln und Ritualen, wobei auch Momente der Verunsicherung aufscheinen. Der Blick in eine hermetische Szene setzt einiges an Vorwissen voraus und lotet die Dynamik zwischen Macht- und Unterwerfungsfantasien, Autoritätsglauben und hierarchischer Einordnung nur recht zurückhaltend aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
HFF Hochschule für Fernsehen und Film München
Regie
Lion Bischof
Buch
Lion Bischof
Kamera
Dino Osmanovic
Musik
Matthias Lindermayr
Schnitt
Martin Herold
Länge
81 Minuten
Kinostart
07.03.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Mindjazz/Al!ve (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Der Dokumentarfilm über die Münchner Studentenverbindung Germania Corps begleitet der Initiation eines neuen Mitglieds und lotet als beobachtende Teilnahme das Spannungsfeld zwischen Macht- und Unterwerfungsfantasien aus.

Diskussion

„Ehre und Freundschaft“ verspricht das dreifarbige Wappen der Münchner Studentenverbindung Germania Corps, einer Burschenschaft mit langer Tradition. Doch was bringt junge Männer Anfang 20 heute noch dazu, in Fechtausrüstungen nach überkommenen Werten zu suchen und in Uniformen neben ausgestopften Füchsen das Germanenlied zu singen?

In seinem Langfilmdebüt blickt Regisseur Lion Bischof in die abgeschottete Welt der Männerbünde und lässt dabei das Zusammenspiel der Protagonisten für sich sprechen. In nahen Einstellungen werden die Corps-Studenten kommentarlos in eine Konfrontation mit dem Zuschauer gebracht: Wie positioniert man sich selbst zu deren nationalistischen Weltvorstellungen?

Liegestützen für Deutschland

Der letzte Liegestütz ist immer für Deutschland. Wie eine Wasserballettgruppe haben die jungen Männer sich blütenförmig auf dem Boden angeordnet und heben und senken gleichmäßig ihre Körper. Die Machthierarchie ist hingegen keineswegs so horizontal. Von einer „Hackordnung“ spricht einer und lässt eine gewisse Frustration durchblicken, nur um im nächsten Satz davon zu schwärmen, eines Tages selbst das Kommando zu übernehmen.

Auf dem Weg in diese Hierarchie dokumentiert der Film die Initiation eines neuen Verbindungsmitglieds. Der junge Mann brasilianischer Herkunft, dem sehr daran gelegen ist, sein Deutschsein zu betonen, wird als neuer Fuchs begrüßt und in die Techniken der Mensur eingewiesen. Die traditionelle Form des streng reglementierten Fechtkampfs mit scharfen Waffen dient den Corps-Studenten als Mutprobe und Männlichkeitsritual.

Viel Bier und die „Alten Herren“

Im Münchner Corps-Haus, das mit seinen dunklen Holzvertäfelungen und dem antiken Mobiliar einen konservativen Elitismus ausstrahlt, werden im militaristischen Gestus Tagesordnungen verlesen, die wenig mehr zu verkünden haben als ihre eigene Lust an der Bürokratie. Dass Studentenverbindungen als supranationales Netzwerk funktionieren sollen, wird hier nicht besonders deutlich. Man bleibt unter sich, trinkt bei jeder Gelegenheit Bierund hofft auf die Seilschaften der „Alten Herren“, die bei der Vergabe von Stellen und Praktika zuerst auf Corps-Mitglieder zurückgreifen, denn solche Verbindungen halten fürs Leben.

Frauen spielen offensichtlich keine hervorstechende Rolle. Zu sehen sind sie nur einmal kurz als Gäste auf einer Verbindungsfeier; viel Interaktion zwischen den Geschlechtern lässt sich nicht erkennen, auch wenn das Kondom in der Tasche zur Grundausrüstung der Füchse gehört, was bei der Auflistung des Inventars für unterdrücktes Gelächter sorgt. Dass das Corps selbst die Rolle einer Mutter einnehme, wie einer der Studenten stolz erklärt, spricht in dieser Hinsicht ebenfalls für sich.

Studentenverbindungen und die Neue Rechte

Auch wenn der Film im Stil des Direct Cinema sehr zurückhaltend fungiert, akzentuiert er doch bestimmte Thesen durch seinen Fokus auf Momente der Verunsicherung, die sich bei den jungen Männern immer wieder zeigen. Wenn man in ihren Gesichtern zu lesen beginnt, bemerkt man ihre Orientierungslosigkeit, aber auch einen fehlenden Selbstbezug. Dass dieser in einer Gruppe gesucht wird, die über Autoritätsglauben und Unterordnung funktioniert, ist keine neue Erkenntnis.

Spannender ist es, wenn eine Corps-Verbindung mit historischer Tradition zur Anlaufstelle für junge Trump-Anhänger und Globalisierungsgegner wird, die es genießen, die „political correctness“ bei ihren Stammtischen außen vor lassen zu können. Dass sich hier rechts-konservative Äußerungen fließend mit chauvinistisch-nationalistischen Positionen mischen, spricht Bände.

Der Film funktioniert ganz gut als Einblick in eine ansonsten hermetische Szene und damit als politischer Denkanstoß, setzt jedoch einiges an Vorwissen voraus. Dazu gehört beispielsweise die Differenz zu den Deutschen Burschenschaften, die sich politisch aktiv engagieren, oder die generelle Herkunft der Corps-Verbindungen aus der preußischen Kultur mit ihrem Militarismus, aber auch der Rezeption des deutschen Idealismus und der Schriften der Aufklärung.

Historische Differenzierungen

Die körperliche und geistige Disziplinierung soll in der Vorstellung des Corps zur Herausbildung von Charakterstärke dienen, die Eigenverantwortung großschreibt. Nicht umsonst wurden die Verbindungen von den Nationalsozialisten verboten, auch wenn viele Corps-Studenten die Machtergreifung Hitlers zunächst begrüßten.

Vor einem solchen Hintergrund, der im Film nicht erläutert wird, versteht man das Spannungsverhältnis innerhalb des rechtskonservativen Denkens besser, auch wenn dies um so mehr die Frage provoziert, warum der Film dem eine Bühne gibt anstatt selbst Position zu beziehen. Denn dass solche Macht- und Unterwerfungsfantasien junger Männer zu einem gesellschaftlichen Problem werden können, sollte nicht nur aus der Zeitgeschichte deutlich geworden sein.

Für eine Diskursanalyse rechten Denkens und krisenhafter Männlichkeit eignet sich „Germania“ durchaus, allerdings bleiben die Ausführungen der Corps-Mitglieder allzu sehr an der Oberfläche ihrer eigenen psychischen, sozialen und politischen Verstrickungen. Eine beobachtende Kamera hätte man sich deutlich analytischer vorstellen können, als es hier der Fall ist.

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