Drama | Frankreich/Belgien 2018 | 110 Minuten

Regie: Jeanne Herry

Die Entscheidung einer jungen Mutter, ihren neugeborenen Sohn zur Adoption freizugeben, setzt in einer bretonischen Stadt den erforderlichen Prozess in Gang. Während mehrere Betreuer das Baby in den ersten Wochen versorgen, verdichtet sich für eine alleinstehende Mittvierzigerin die Hoffnung, dass sich ihr Adoptionswunsch doch noch erfüllt. Mit dokumentarischer Genauigkeit zeichnet das sorgfältig inszenierte Drama einzelne Stufen des Adoptionsverfahrens nach, deren hohe Hürden durchaus kritisch gesehen werden, während die Beteiligten sehr empathisch erscheinen. Emotional aufgeladene Szenen erhöhen die Anteilnahme, wobei die konzentrierten Darsteller jede Sentimentalität unterbinden. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
PUPILLE
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Trésor Films/Chi-Fou-Mi Prod./StudioCanal/France 3 Cinéma/Artémis Prod./VOO/BE TV
Regie
Jeanne Herry
Buch
Jeanne Herry
Kamera
Sofian El Fani
Musik
Pascal Sangla
Schnitt
Françis Vesin
Darsteller
Sandrine Kiberlain (Karine) · Gilles Lellouche (Jean) · Élodie Bouchez (Alice) · Olivia Côte (Lydie) · Clotilde Mollet (Mathilde)
Länge
110 Minuten
Kinostart
04.04.2019
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
StudioCanal (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
DVD kaufen

Sorgfältig inszeniertes Drama über die Adoption eines neugeborenen Jungen, das dokumentarische Genauigkeit mit gefühlvollen Szenen voller eindringlicher Zurückhaltung verbindet.

Diskussion

Auf dem Bändchen um den Arm des Babys steht schlicht „Junge X“. Seine Mutter wird dem Neugeborenen keinen Namen geben. Die junge Studentin lehnt es auch ab, ihr Kind zu berühren oder auch nur zu sehen. Ihre Entscheidung, das Baby zur Adoption freizugeben, steht fest, und so setzt die Klinik in der französischen Stadt Brest den Prozess der Adoption in Gang. Die Sozialarbeiterin Mathilde klärt die Mutter über ihre Rechte auf und nimmt deren Brief an ihren Sohn entgegen, aus dem dieser später einmal ihre Beweggründe erfahren soll.

Zwei Monate bleiben der jungen Frau, um es sich doch noch anders zu überlegen, eine Zeitspanne, für die die Sozialpädagogin Karine einen Betreuer für den nun Théo genannten Säugling sucht, den sie in dem Familienhelfer Jean findet. Jean, selbst ein liebevoller Vater, ist nach einigen ernüchternden Erfahrungen zwar körperlich ausgelaugt und bräuchte eigentlich eine Auszeit, dann aber lässt er sich doch darauf ein, für Théo zu sorgen.

Die unterschiedlichen Stufen der Adoption

Für Alice, eine alleinstehende Frau in den Vierzigern, scheint sich derweil endlich ihr größter Wunsch zu erfüllen, dem sie schon fast ein Jahrzehnt hinterherjagt: eine offizielle Bewilligung zu erhalten, dass sie ein Kind adoptieren und großziehen darf.

Die französische Filmemacherin Jeanne Herry folgt in ihrer zweiten Regiearbeit „In sicheren Händen“ den teils parallel verlaufenden, teils aufeinanderfolgenden Stufen einer Adoption mit dokumentarischer Genauigkeit. Während der Film die ersten beiden Monate im Leben des Babys skizziert, in denen Théo bei Jean lebt, aber von wechselnden Sozialarbeiterinnen mitversorgt wird, rollt er zugleich die achtjährige Leidensgeschichte auf, die Alice hinter sich hat. Bei ihrem ersten Anlauf stand sie den Eignungstest mit ihrem Freund durch; eine Heirat und Scheidung später schienen ihre Chancen gegen Null zu tendieren, bis eine Gesetzesänderung die Adoption auch für Einzelne möglich machte, und Alice schließlich auch ein behindertes Kind akzeptiert hätte.

Unvermindert bereit für eine Adoption, ahnt sie nicht, dass es auf der Kippe steht, ob ihre lange Wartezeit ihr hilft oder zum Verhängnis wird. In den Gesprächsrunden der Adoptionsagentur, zu denen der Film immer wieder orientierend zurückkehrt, wird ein Paar nach zehn Jahren von der Kandidatenliste gestrichen – mit der Begründung, dass ihre Tauglichkeit durch den Frust mittlerweile vermutlich wohl aufgezehrt sei.

Ein kritisches Auge auf die hohen Hürden

Es sind vor allem die hohen Hürden für Menschen mit einem unerfüllten Kinderwunsch, auf die der Film ein kritisches Auge wirft, wenn Alice und andere sich sagen lassen müssen, dass eine Adoption viel komplexer als eine natürliche Elternschaft sei. Trotz solchen Anflügen von kalter Verwaltungsmechanik fällt das Urteil über die Adoptionsprozesse insgesamt positiv aus: Jeder Beteiligte scheint hier im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Bestes zu geben, und Frusterfahrungen haben alle erlebt.

Die Regisseurin macht dies mit einprägsamen Sequenzen deutlich, in denen sie mal die eine, mal die andere Figur hervortreten lässt. So ist etwa der oft vergebliche Kampf Mathildes zu erleben, im Gespräch zu den adoptionswilligen Müttern durchzudringen, Karines Nachwirkungen ihrer gescheiterten Ehe oder auch Jeans Ängste, als Théo sich nicht normal entwickelt, niemals weint und auch sonst eine beängstigende Stille an den Tag legt.

So sorgfältig recherchiert und in vielem quasi-dokumentarisch der Film auch wirkt, ist die Regisseurin in diesen emotional aufgeladenen Szenen durchaus darauf bedacht, eine hohe Anteilnahme für die Figuren zu erzielen. Dabei schlachtet sie das melodramatische Potenzial allerdings nie aus, und auch die Darsteller steuern einer billigen Sentimentalität entgegen und stellen ihr Charisma in den Dienst des dokumentarischen Anspruchs: Gilles Lellouche, Sandrine Kiberlain und Jeanne Herrys eigene Mutter Sylvette Herry alias Miou-Miou beeindrucken mit zurückhaltendem Spiel, ergänzt durch weniger bekannte, aber gleichwohl überzeugende Nebendarsteller.

Mit Engagement und Improvisationstalent

Identifikationscharakter besitzt jedoch vor allem Alice, deren Auf und Ab der Gefühle Élodie Bouchez mit bewundernswerter Präzision vermittelt: das bange Hoffen, die bedingungslose Bereitschaft zum Entgegenkommen, die hinuntergeschluckte Enttäuschung, wenn sie wieder einmal vertröstet worden ist. Auch wird Alices Leben jenseits der Adoptionsbemühungen überzeugend angedeutet. In ihrer Arbeit als Audiodeskriptorin für blinde Theaterbesucher spiegelt sich ihr Engagement für Hilfsbedürftige; einen unerwarteten Notfall meistert sie mit Improvisationstalent. Ein beherzter Auftritt, der dramaturgisch geschickt auch die letzten Zweifel an ihren Mutterqualitäten beseitigt: Nur schlimmste Formalisten könnten ihr die Erfüllung ihres Kinderwunsches verweigern.

Kommentar verfassen

Kommentieren