Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 82 Minuten

Regie: Katinka Zeuner

Der Berliner Steinmetz Michael Spengler hat sich auf die Anfertigung möglichst individueller Grabsteine spezialisiert, die die „Essenz des Verstorbenen“ widerspiegeln sollen. Wunderbar entschleunigt beobachtet der Dokumentarfilm Spenglers künstlerische Arbeit und schafft durch die Sparsamkeit der filmästhetischen Gestaltungsmittel eine philosophisch grundierte und ebenso intime wie formal strenge Annäherung von außergewöhnlicher Sogkraft. Dabei reflektiert er im Zentrum fundamentale Fragen des Lebens und Sterbens und lässt sich ebenso als künstlerischer Ausdruck zeitgenössisch-moderner Trauerarbeit interpretieren. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Katinka Zeuner Prod.
Regie
Katinka Zeuner
Buch
Katinka Zeuner
Kamera
Katinka Zeuner
Schnitt
Anna Pesavento
Länge
82 Minuten
Kinostart
23.05.2019
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
375 Media (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Behutsam verdichteter und philosophisch grundierter Dokumentarfilm über die Arbeit des Berliner Grabsteinkünstlers Michael Spengler, der in seinen individuellen „Grabzeichen“ versucht, die Persona eines Verstorbenen in Stein zu fassen.

Diskussion

„Gibt es so etwas wie die Essenz eines Menschen, trotz aller Vielschichtigkeiten, die in jedem von uns stecken?“, fragt der Berliner Grabsteinkünstler Michael Spengler jeden seiner Kunden bei der ersten Begegnung. Was hat der Verstorbene besonders geliebt? Und mit welchen politischen, religiösen oder philosophischen Strömungen konnte er sich identifizieren? Die Antworten auf diese grundlegenden Fragen interessieren Spengler in jeder seiner Arbeiten. Anstatt von „Grabsteinen“ zu sprechen, verwendet der in Berlin ansässige Bildhauer lieber den Begriff „Grabzeichen“, die wie Feuer für den Verstorbenen leuchten und keineswegs nur an dessen Tod erinnern sollen.

Mit diesem ungewöhnlichen Konzept hat sich der Absolvent der Turiner Kunstakademie Mitte der 1990er-Jahre in der wiedervereinigten Hauptstadt selbstständig gemacht. Dabei hat sich der jungenhafte Mann mit Schiebermütze und Wollpullover auf die aufwändige Gestaltung individueller Grabsteine spezialisiert. Es ist keineswegs ein Zufall, dass sich seine kleine Kreativwerkstatt, die aus einem unscheinbaren Zirkuswagen und einem Frachtcontainer besteht, direkt gegenüber der „Versöhnungskapelle“ sowie der „Gedenkstätte Berliner Mauer“ am ehemaligen Todesstreifen an der Bernauer Straße befindet. Er wolle mit diesen speziellen Grabsteinen ein Stück weit „Erinnerungsarbeit“ leisten, erläutert er sein Konzept gegenüber der unaufgeregt beobachtenden Kamera von Katinka Zeuner.

Eine Auseinandersetzung mit der „Seinsflüchtigkeit“

Michael Spengler, der sich in seiner Heimatstadt auch als Fotograf, Installationskünstler und Restaurator (zum Beispiel für die „Neue Synagoge“ in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte) einen Namen gemacht hat, liebt es, sich in dieser ebenso handwerklichen wie kreativen Anstrengung mit der „Seinsflüchtigkeit“ des Menschen zu beschäftigen. Genau diesen Prozess von den ersten konkreten Planungen (zum Beispiel hinsichtlich der Größe, der Form oder des Materials eines „Grabzeichens“) bis hin zur endgültigen Platzierung des Grabsteins in einem Friedhof dokumentiert Katinka Zeuner in ästhetisch wunderbar reduzierter Form und assoziationsreichen O-Tönen, die im Subtext wesentliche Fragen des Lebens und Sterbens verhandeln.

Die 1978 geborene Absolventin der Berliner „filmArche“ hat Spengler für ihren Dokumentarfilm „Der Stein zum Leben“ mehrere Monate mit der Kamera begleitet und sich in erster Linie auf seine Rolle als Mediator konzentriert. Denn gerade die oszillierende Spannung zwischen den Wünschen der Hinterbliebenen und dem geistigen Bild, das er sich in diesem Schaffensprozess selbst von dem Verstorbenen gemacht hat, treibt ihn künstlerisch an.

Gemeinsam mit den Trauernden versucht der betont ruhig agierende Steinmetz, eine „Lebensgeschichte in Stein“ zu übersetzen und den Toten somit im übertragenen Sinn ein „neues Leben“ zu schenken, das den Tod überdauert und den Hinterbliebenen gleichzeitig Trost und Hoffnung spendet. Er wolle damit „der Erinnerung einen Ort geben“, erläutert der empathische Zuhörer Spengler seine Antriebskraft. Und „den Menschen im Kern zu treffen“, sei seine eigentliche Hauptaufgabe, wofür er sich im Gegensatz zu anderen Steinmetzbetrieben extrem viel Zeit nimmt.

Mit großer Ernsthaftigkeit und viel Herzlichkeit

In der behutsamen Regie Zeuners mit klassischen Schuss-Gegenschuss-Einstellungen und wenigen Overshoulder-Aufnahmen wirkt der ausgesprochen mitfühlend agierende Skulpteur mit seiner sonoren Stimme nicht selten wie ein engagierter Sozialarbeiter oder Pädagoge, der die Angehörigen ein Stück weit auch in ihrer individuellen Trauerarbeit unterstützt. Mit großer Ernsthaftigkeit und viel Herzlichkeit im Umgang mit den Trauernden versucht er die unterschiedlichen Wünsche seiner Auftraggeber möglichst perfekt zu erfüllen.

Wie lässt sich beispielsweise der rauschende Atem eines kranken Jungen in Stein fassen? Anne und Uli Neustadts Sohn Josef wurde nur zwei Jahre alt. Für ihn möchten sie ein „denkwerk“ gestalten, wie Michael Spengler seine Grabsteine nennt. Dafür hat Josefs Schwester Klara zwei Skizzen angefertigt: einen Stern sowie einen Vogel, die stellvertretend für das Geburts- und Sterbedatum ihres verstorbenes Bruders stehen sollen.

Katinka Zeuners „Der Stein zum Leben“ ist einerseits ein hochkonzentrierter und angenehm entschleunigter Dokumentarfilm zum Themenkomplex Tod und Transzendenz. Zum anderen aber auch ein klug inszenierter und mit sparsamen Mitteln umgesetzter Diskursfilm über die Urfragen der menschlichen Existenz sowie die oftmals völlig unterschiedlichen Versuche der Hinterbliebenen, „angemessen“ zu trauern. Ausgehend vom plötzlichen Tod ihrer Mutter vor sechs Jahren kam die Berliner Dokumentaristin selbst das erste Mal mit Michael Spengler zusammen, mit dem sie ebenfalls ein „denkwerk“ gestaltete.

Eine geradezu magische Qualität

„Es ist ein Film darüber, wie man einen Abschied selber gestalten kann, und darüber, wieder zurück ins Leben zu gehen – in das veränderte Leben. Es ist ein lebendiger und kraftvoller Film. Das war mir wichtig“, sagt Katinka Zeuner über ihre Arbeit. Trotz seiner fragilen Atmosphäre im Gros der Szenen driftet ihr reflektierter Dokumentarfilm niemals in Rührseligkeit oder Voyeurismus ab. Das hat in den besten Szenen eine geradezu magische Qualität. Ähnlich wie Michael Spengler versucht sie mit ihrem leise-besinnlichen Dokumentarfilm den Ton eines Menschen in filmische Bilder zu übersetzen – und nicht dessen Tod oder alleine die Trauer darüber.

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