Frischer Wind im Kongress

Dokumentarfilm | USA 2019 | 86 Minuten

Regie: Rachel Lears

Ein Dokumentarfilm, der vier sehr unterschiedliche Politikerinnen begleitet, die als Außenseiterinnen den Vorwahlkampf der Demokraten für die Kongresswahlen 2018 aufmischten. Mehrheitlich ethnischen Minderheiten angehörend, stehen sie für eine linke Politik, die Begriffe wie „demokratischer Sozialismus“ nicht scheut und Großspenden von Unternehmen ablehnt. Der Film nimmt bewusst keine kritisch-distanzierte Haltung zu seinen Heldinnen ein, sondern zeichnet ihren Kampf gegen das demokratische Establishment mit Sympathie nach. Auch wenn dies besonders bei der Hauptfigur Alexandria Ocasio-Cortez in „Homestory“-hafte Affirmation ausartet, gelingt das vielschichtige Porträt einer neuen Politikerinnengeneration. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KNOCK DOWN THE HOUSE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Artemis Rising/Atlas Films/Jubilee
Regie
Rachel Lears
Kamera
Rachel Lears
Musik
Ryan Blotnick
Schnitt
Robin Blotnick
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion

Ein Dokumentarfilm über vier Politikerinnen, die als Außenseiterinnen in den Fußstapfen von Bernie Sanders den Vorwahlkampf der Demokraten für die Kongresswahlen 2018 aufmischten.

Für Frauen jenseits des Mainstreams ist es ziemlich mühsam, ein Mandat für den amerikanischen Kongress zu erlangen – selbst wenn sie in ihren Wahlkreisen den Parteien angehören, für deren Kandidaten die Menschen am Ende üblicherweise stimmen. Denn bevor die eigentliche Wahl stattfindet, halten Demokraten und Republikaner als „Primaries“ bezeichnete Vorwahlen ab. Deutlich bessere Karten haben dort jene Bewerber, die sowohl über ein großes Netzwerk innerhalb der Partei als auch über genügend Geld für ihren Wahlkampf verfügen.

Die bei Netflix gestartete Dokumentation „Knock Down the House - Frischer Wind im Kongress“ begleitet vier Außenseiterinnen, die sich für die Kongresswahlen im Herbst 2018 mit geringen finanziellen Mitteln dieser Herkulesaufgabe gestellt haben. Drei von ihnen, die Afroamerikanerin Cori Bush aus Missouri sowie die Latinas Amy Vilela (Nevada) und Alexandria Ocasio-Cortez (New York), gehören ethnischen Minderheiten an. Großspenden von Unternehmen lehnen sie ab. Regisseurin Rachel Lears porträtiert ihre Protagonistinnen als Heldinnen, die von Ungerechtigkeiten dazu motiviert wurden, sich politisch zu engagieren. Dabei spart sie Momente des Verzagens und der Niederlage aber nicht aus. Durch die auch körperliche Nähe der Kamera in Hotelzimmern und bei Hausbesuchen hat der Film manchmal etwas von einer Homestory: Bisweilen von manipulativer Musik unterstützt, setzt Lears Emotionen in Szene. Nebenbei erfährt der Zuschauer einiges über die Mechanismen der amerikanischen Politik – wenn auch jeweils durch die Perspektive der vier Frauen eingefärbt. Auf dem Sundance Festival im Januar 2018 gewann der Film einen Publikumspreis.

Den Kampf wider das politische Establishment nicht den Rechten überlassen

Besonders schwer hat es Paula Jean Swearingen, die im armen Bundesstaat West Virginia Senator Joe Manchin ablösen möchte. Ihr Konkurrent gehört zwar den Demokraten an, stimmt im Senat aber oft mit den Republikanern – etwa bei der  Berufung des sexueller Übergriffe während seiner Collegezeit beschuldigten Brett Kavanaugh für den Obersten Gerichtshof. Im Gegensatz zu Manchin lehnt Swearingen Spenden der dort einflussreichen Kohleindustrie ab. In der Präsidentschaftswahl 2008 noch von Barack Obama gewonnen, war West Virginia 2016 der Staat, in dem Donald Trump mit seinem Bekenntnis zu traditionellen Industrien sein bestes Ergebnis erzielte. Mit ihrem Appell an die Tradition der Bergarbeitersolidarität versucht Swearingen, bei einer kaum besuchten Rede an diese Klientel anzudocken. Sie dringt aber selten durch und muss am Ende sogar einen gönnerhaften Anruf des Konkurrenten über sich ergehen lassen.

Die Pastorin Cori Bush nahm 2014 an den Demonstrationen in Ferguson teil, die nach dem Tod des Schwarzen Michael Brown durch Schüsse eines Polizisten aufflammten. Die Staatsanwaltschaft sah schließlich von dessen Anklage ab. Bushs innerparteilicher Konkurrent und Amtsinhaber ist zwar ebenfalls schwarz, gehört aber dem Parteiestablishment an. Immer wieder fällt im Film dieses Wort, wie auch der Kampfbegriff  der „Elite“, gegen die die Politikerinnen sich abgrenzen. Da sie dies mit Trump und Co. gemeinsam haben, hat man den Frauen immer wieder „Populismus“ vorgehalten. Dabei geht es eher darum, den Kampf gegen Verfilzungen von Politik und Wirtschaft und den Einsatz für die sozial „Abgehängten“ eben nicht den Rechten zu überlassen.

„Demokratische Sozialisten“ in den Fußstapfen von Bernie Sanders

Einen ganz persönlichen Zugang zu Politik hat auch Amy Vilela aus Las Vegas, deren Tochter laut Vilela starb, weil sie in der Notaufnahme keine Krankenversicherung nachweisen konnte. Damit es anderen Armen anders ergeht, fordert die Kandidatin immer wieder ein Recht auf Gesundheitsversorgung für alle ein. Die meiste Zeit widmet sich der Film seiner bekanntesten Figur: Mit gerade einmal 28 Jahren entschied sich Alexandria Ocasio-Cortez, Tochter einer puertoricanischen Familie, in New York für Queens und die Bronx gegen Joe Crowley anzutreten. Im Film erscheint Crowley als ungeschlachter Angsthase, der direkte Duelle mit dem Underdog verweigert und eine befreundete Stadträtin vorschickt. Ocasio-Cortez beherrscht die Selbstinszenierung in den sozialen Medien. Immer wieder umringen sie ihr rotbärtiger Freund und gleichaltrige Unterstützer. 2016 haben sie für Bernie Sanders gekämpft, wovon die Sticker auf ihren in Cafés aufgeklappten Laptops zeugen. Wie ihr Idol bezeichnen sie sich als demokratische Sozialisten. Wer die amerikanische Innenpolitik verfolgt, weiß schon zu Beginn des Films, dass ihr Kampf erfolgreich war: Ocasio-Cortez sitzt seit dem Herbst für die Demokraten im Repräsentantenhaus. Ob der Weg dorthin für Frauen künftig leichter wird, ist damit freilich noch nicht gesagt.

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