Meine geniale Freundin

Literaturverfilmung | Italien 2018/2020 | 448 (Staffel 1) 473 (Staffel 2) Minuten

Regie: Saverio Costanzo

Eine Serienverfilmung des gleichnamigen ersten Bandes von Elena Ferrantes immens erfolgreicher Neapel-Saga um eine komplexe Frauenfreundschaft: Zwei Mädchen wachsen im Italien der 1950er-Jahre in einem Arbeiterviertel von Neapel in einfachen Verhältnissen auf; trotz unterschiedlicher Temperamente werden sie dicke Freundinnen und teilen die Ambition, durch Bildung ihr Milieu hinter sich zu lassen; dabei gilt es jedoch massive familiäre und soziale Widerstände zu überwinden. Die Adaption verdichtet den Roman geschickt auf acht Episoden und schafft es, sowohl der Struktur als auch den zentralen Themen des Buchs Rechnung zu tragen. Das pralle Lokalkolorit der Bücher spiegelt sich zwar nur teilweise in der visuellen Umsetzung, dafür fesselt die Serie jedoch durch das einfühlsame Porträt der sich entwickelnden Freundschaft, wozu auch die herausragenden (Laien-)Hauptdarstellerinnen beitragen. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
L' AMICA GENIALE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2018/2020
Produktionsfirma
Wildside/Fandango/Rai Fiction/TIMvision/HBO
Regie
Saverio Costanzo · Alice Rohrwacher · Daniele Luchetti
Buch
Saverio Costanzo · Laura Paolucci · Francesco Piccolo
Kamera
Fabio Cianchetti · Ivan Casalgrandi
Musik
Max Richter
Schnitt
Francesca Calvelli · Carlotta Cristiani · Annalisa Forgione · Stefano Mariotti
Darsteller
Elisa del Genio (Elena Greco als Kind) · Margherita Mazzucco (Elena Greco als Teenager) · Elisabetta De Palo (Elena Greco als Erwachsene) · Ludovica Nasti (Lila Cerullo als Kind) · Gaia Girace (Lila Cerullo als Teenager)
Länge
448 (Staffel 1) 473 (Staffel 2) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Literaturverfilmung | Serie

Heimkino

Verleih DVD
StudioCanal (16:9, 1.78:1, DD5.1 ital./dt.)
Verleih Blu-ray
StudioCanal (16:9, 1.78:1, dts-HDMA ital./dt.)
DVD kaufen

Diskussion

Staffel 1

Als Buch ist Elena Ferrantes Tetralogie um eine komplexe Frauenfreundschaft, die im Neapel der 1950er Jahre beginnt, ein Bestseller. Die Serienadaption von Saverio Costanzo schafft es in der ersten Staffel passabel, den Zauber dieser lebensprallen Saga einzufangen – nicht zuletzt dank hervorragender Hauptdarstellerinnen.

„Meine geniale Freundin“ – so nennt Lila ihre beste Freundin seit Kindheitstagen, Elena, einmal ganz direkt: Und zwar während der intimen Vorbereitungen zu ihrer eigenen Hochzeit, einem Schlüsselmoment. Während sich Lila in diesem Moment mit der Ehe endgültig von der Welt der Bildung und Emanzipation zu verabschieden scheint, soll Elena an ihrer Statt immer weiterlernen, die Beste von allen sein, sich mithilfe ihres Geistes aus der Düsternis des ärmlichen Stadtviertels befreien.

Doch natürlich zielt die Zuschreibung in beide Richtungen, die „geniale Freundin“, das ist mindestens genauso sehr Lila selbst: Denn der Bestseller ist aus der Ich-Perspektive der älteren Elena geschrieben, die in der Rahmenhandlung des vierbändigen Werks als gealterte Autorin der Geschichte über ihre Freundschaft mit der ebenso klugen wie aufmüpfigen Lila besagten Titel gibt. Dass sich die tatsächliche Autorin (oder der tatsächliche Autor) des Welterfolgs wiederum hinter dem Pseudonym Elena Ferrante verbirgt, fügt dem flirrenden Spiel der Identitäten eine weitere Facette hinzu.

Der Moment vor der Hochzeit ist ziemlich werkgetreu nun auch in der Verfilmung des Romans zu sehen: Die italienische Rundfunkanstalt RAI hat sich zusammen mit dem US-amerikanischen Kabelsender HBO und dem Video-on-demand-Anbieter TIMvision mit enormem Aufwand an die Adaption der von Millionen Lesern weltweit verschlungenen Saga gewagt. Nach der Ausstrahlung in den USA und Italien Ende 2018 ist die 8-teilige Serie, die auf dem ersten Band der Tetralogie beruht, in ihrer deutschsprachigen Version (beziehungsweise im Original mit deutschen Untertiteln) nun seit Anfang Mai bei MagentaTV zu sehen. Der Dreh der zweiten Staffel wiederum hat in diesem Frühjahr begonnen. Der neapolitanische, für die Story gerade im Wechselspiel mit den hochitalienischen Passagen eigentlich so wichtige Dialekt ist in der deutschen Synchronfassung zwar naturgemäß getilgt. Nichtsdestotrotz überzeugt die Übersetzung, auch weil man glücklicherweise darauf verzichtete, den süditalienischen Zungenschlag durch einen deutschsprachigen Dialekt zu ersetzen.

Ein Sittengemälde Italiens ab den 1950er Jahren

Ein Wagnis ist dieses Projekt nicht nur aufgrund der zahlreichen leicht zu enttäuschenden Fans, sondern auch angesichts der personellen, ausstattungstechnischen und finanziellen Herausforderungen, die der globale Bestseller mit sich bringt: Immerhin entwirft dieser anhand der jahrzehntelangen Freundschaft und Konkurrenzsituation zwischen Elena und Lila ein enorm figurenreiches Porträt Neapels wie auch ein Sittengemälde Italiens, von den 1950er Jahren bis ins 21. Jahrtausend hinein. Was nun die erste Staffel betrifft, lässt sich konstatieren: Das Risiko hat sich durchaus gelohnt. Auch wenn für den begeisterten Leser bzw. die begeisterte Leserin eine Verfilmung selten an ihre literarische Vorlage heranreicht und dies auch im Fall der „Genialen Freundin“ so ist (schon alleine wegen der aus Zeitgründen notwendigen Kürzungen): Die Interpretation durch den Regisseur Saverio Costanzo, die sich auf ein von ihm selbst, Francesco Piccolo und Laura Paolucci zusammen mit Elena Ferrante verfasstes Drehbuch stützt, überzeugt zu sehr großen Teilen.

Ein intimer Blick auf die Lebenswelt der Erzähler-Figur

Die Serie bleibt nah am Roman, übernimmt teils komplette Dialoge, streicht klug und mit Bedacht. Kürzungen gibt es vor allem in den ausführlichen Passagen, die im Buch Elenas Gefühlswelt und ihre Reflektionen auf das Geschehen umschreiben. Außerdem an den Stellen, die Lilas innere Düsterkeit und ihre immer wieder kehrende Angst vor der eigenen „Auflösung“ beschreiben. Und das Metathema des Erzählprozesses selbst ist hier nicht so prominent vertreten wie im Buch. Trotzdem kommt jeder der genannten Bereiche auch in der Verfilmung zu seinem Recht.

Auch die grundsätzliche Struktur, in der Elena als Autorin und Urheberin des Erzählten fungiert, bleibt in der TV-Serie bestehen: Elenas prägnante Erzählstimme übernimmt im Original Alba Rohrwacher, im Deutschen Monica Bielenstein. Diese Stimme, die man während des Lesens der Bücher unablässig im Kopf hat, lässt sich zwar nicht im selben Maße, aber doch erstaunlich gut aufs Filmische übertragen. Weshalb man die Story beim Gucken fast genauso stark durch Elenas Augen und Gedanken wahrnimmt wie beim Lesen, das Ganze ähnlich „intim“ daherkommt.

Willkommen in Rione

Überhaupt ist der Zuschauer nah dran an Elenas und Lilas Aufwachsen im „Rione“, einem trostlosen, ärmlichen, von Gewalt und mafiösen Strukturen geprägten Stadtteil in den Außenbezirken Neapels. Saverio Costanzo gelingt es gut, die damit verbundenen Themen – Armut, Chancenlosigkeit, die eigene Korrumpierbarkeit, der Stellenwert von gerade weiblicher Bildung und last, but not least die Bedeutung von Freundschaft – sowie das weitverzweigte Figurengeflecht der Elena Ferrante einzuführen, ohne den Zuschauer zu sehr zu überfordern. Die Musik von Max Richter wiederum modelliert und betont die Stimmungen der Protagonistinnen, ohne sich zu sehr aufzudrängen. Und die detaillierte, liebevolle Innenausstattung der düsteren Wohnungen und Werkstätten sowie von Schule und Bibliothek tut ihr Übriges, um das Neapel der 1950er und 60er Jahre wiederaufstehen zu lassen.

Was die Außensets betrifft, ist der Eindruck zwiespältiger: Etwas leblos und kulissenhaft erscheinen die großen Mietskasernen rund um den traurigen „Park“, der das Zentrum des Rione bildet; ebenso wie der am Computer entstandene Hintergrund, durch den ständig ein Zug rattert (der natürlich niemals anhält). Dieses gewissermaßen leicht „gedimmte“ Umgebungs-Kolorit sorgt einerseits dafür, dass man sich ganz auf die Story konzentriert, was kein Nachteil ist. Doch was zunächst wie ein bewusstes Stilprinzip wirkt, wird konterkariert, wenn spätere Szenen in der Innenstadt Neapels und auf der Insel Ischia spielen: Diese lebensprallen, an Originalschauplätzen gedrehten Sequenzen stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zu den in Caserta bei Neapel entstandenen Kulissen des Rione.

Herausragend: Die beiden Hauptdarstellerinnen

Das größte Pfund der Verfilmung aber sind ohnehin ihre durchwegs fantastisch gewählten Schauspieler – der Besetzungsprozess dauerte fast ein Jahr, in dem über 5000 Menschen gecastet wurden. Gerade die beiden Darstellerinnen von Elena und Lila sind eine Wucht: Elisa Del Genio und Ludovica Nasti spielen die beiden so natürlich, wahrhaftig und ohne einen falschen Ton, dass man kaum glauben mag, dass dies die erste Schauspielarbeit der Mädchen war. Auch für die nicht minder herausragenden Darstellerinnen Margherita Mazzucco und Gaia Gerace, die Elena und Lila als junge Frauen verkörpern, war es die erste Dreherfahrung – Elena Ferrante wünschte sich explizit Laiendarsteller für die jungen Figuren. Wunderbar überzeugend sind beide. Vor allem aber ist es Gaia Gerace als Lila, die mit der Gratwanderung beeindruckt, die schwierige Figur der eigensinnigen, rätselhaften, von allen begehrten Lila stimmig darzustellen: Womit sich gewissermaßen das ewige Trauma der fleißigen und braven Elena, dass ihre Freundin stets die Faszinierendere von ihnen ist, ein wenig auch auf der Ebene des Schauspiels wiederholt. Was ja auch wieder passt.

Ein insgesamt also ziemlich gelungenes Unterfangen: Der Transfer der „genialen Freundinnen“ vom Kopfkino ins bewegte Fernsehbild.

Staffel 2

Die Fortsetzung der italienischen Serienadaption von Elena Ferrantes Romanzyklus über die tiefe Freundschaft zweier aus Neapel stammender Frauen. Mittlerweile sind die Protagonistinnen Lila und Elena 16 Jahre alt und starten in ein konfliktreiches Erwachsenenleben. Es droht die Entfremdung voneinander – und von den eigenen Lebensträumen. Ab 7.5. ist die zweite Staffel bei Magenta TV zu sehen.

Als Lila ihrer besten Freundin von der brutalen Vergewaltigung durch den eigenen Ehemann in der Hochzeitsnacht erzählt, tut sie dies vollkommen emotionslos. Und es ist ihre Zuhörerin Elena, die weint. Diese Szene, wie sie in der ersten Folge der zweiten Staffel von „Meine geniale Freundin“ zu sehen ist, ist bezeichnend für das sehr spezielle, symbiotische Verhältnis zwischen Lila und Elena. Die Grundlage der Serie, die Romantetralogie „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante, lebt von der vielschichtigen Beziehung zwischen den beiden seit Kindertagen befreundeten Frauen, in der sich die Grenzen zwischen den Identitäten ständig verschieben beziehungsweise aufzulösen scheinen. Wer hier wer ist, wer hier wessen Leben, wessen Wünsche, wessen Talente und wessen Gefühle lebt, ist häufig unklar. Und immer wieder scheint es gar, als wären Lila und Elena im Grunde eins, gewissermaßen zwei Seiten derselben Medaille.

Die zweite Staffel hält das hohe Qualitätslevel

So erzählen es die vier Bände von Elena Ferrante, und so erzählt es auch deren TV-Adaption, die die italienische RAI zusammen mit dem US-amerikanischen Kabelsender HBO auf die Beine gestellt hat: Die zweite Staffel der „Genialen Freundin“ bemüht sich, wie schon ihre Vorgängerstaffel, bei aller notwendigen Kürzung um weitgehende Werktreue. Um es gleich vorwegzunehmen: Auch ansonsten bewegen sich die neuen acht Episoden, die ab 7. Mai 2020 bei Magenta TV zu sehen sind, qualitativ und ästhetisch auf einem ähnlichen und auch ähnlich hohen Level wie die erste Staffel, die im Mai 2019 in Deutschland ausgestrahlt wurde. Lieferte damals der erste Band der Tetralogie die Vorlage, ist nun der zweite Roman dran, „Die Geschichte eines neuen Namens“.

Roman wie zweite Staffel beginnen unmittelbar nach der Hochzeit zwischen Lila (Gaia Girace) und dem Lebensmittelhändler Stefano Carracci (Giovanni Amura), Lila und Elena sind nun 16 Jahre alt. Es sind die 1960er-Jahre, Schauplatz ist nach wie vor Neapel beziehungsweise der „Rione“, das ärmliche Viertel, aus dem alle Protagonisten stammen. Während Stefano sein Glück kaum fassen kann, dass sich die ebenso umschwärmte wie rebellische Lila für ihn entschieden hat, hat sich seine frisch Angetraute schon während der Hochzeitsfeier innerlich von dieser Ehe verabschiedet. Wurde doch beim Fest mit dem Auftauchen der lokalen Camorristi, den Solara-Brüdern, offenbar, dass Stefano weder Moral noch Rückgrat kennt, wenn es ums Geschäft geht. Schlimmer noch: Indem er dem verhassten Marcello Solara seine einst von Lila selbst entworfenen Schuhe überließ, beging er den größtmöglichen Verrat an seiner jungen Ehefrau. Auf der Fahrt in die „Flitterwochen“ an der Amalfiküste kommt es deshalb zum Streit, im Hotel dann zu Schlägen und der ersten von vielen noch folgenden Vergewaltigungen.

Dem „Rione“ und seinen Strukturen zu entkommen, ist kaum möglich

Die ansonsten so fleißige Elena (Margherita Mazzucco) lässt derweil ihre hart erkämpfte Schullaufbahn schleifen: Der Abschied der besten Freundin und zugleich größten Rivalin ins vermeintliche „Erwachsenenleben“ hat sie aus der Bahn geworfen. Sie lässt sich treiben – was sich auch in ihrer Wankelmütigkeit bezüglich ihres mehr oder weniger festen Freundes Antonio (Christian Giroso), eines Automechanikers, und ihrer Schwärmerei für den sich intellektuell gebenden Nino Sarratore (Francesco Serpico), dessen Familie den Absprung aus dem Rione geschafft hat, manifestiert. Dazu gehört ihr sexuelles Erwachen, das sie heimlich mit Antonio auslebt. Der Rest der Clique hat sich ebenfalls zu Pärchen zusammengefunden: Der Maurer und Kommunist Pasquale mit Antonios Schwester Ada, Lilas Bruder Rino mit Stefanos Schwester Pinuccia, der Gemüsehändler Enzo mit Pasquales Schwester Carmela – viel Auswahl gibt es nicht in den engen Grenzen des Viertels. Und sowohl Ada, Pinuccia als auch Carmela arbeiten in der neuen beziehungsweise der alten Salumeria von Stefano.

Denn dem Rione und seinen festgelegten Strukturen zu entkommen, ist kaum oder nur unter größten Anstrengungen möglich: Ein weiteres zentrales Thema in den Bänden der „Genialen Freundin“ und der darauf basierenden, erneut von Elena Ferrante selbst zusammen mit Regisseur Saverio Costanzo sowie Laura Paolucci und Francesco Piccolo geschriebenen TV-Adaption. Lila und Elena versuchen es dennoch: Die eine mit einer reichen (aber unglücklichen) Heirat, die ihr eine schicke Wohnung in einem Neubauviertel beschert, die andere mit dem steinigen Weg von Schule und Bildung.

Das Gefühl, eine Fremde im eigenen Leben zu sein

Lila bezahlt mit Unfreiheit für ihren Traum von der Freiheit. Ausgerechnet sie, die immer schon von der Angst vor der eigenen „Auflösung“ besessen war (und die in der Rahmenhandlung der Tetralogie spurlos verschwindet, womit die Spurensuche der Ich-Erzählerin Elena beginnt), geht mit ihrer Heirat einen ersten Schritt in diese Richtung – indem sie ihren Namen abgibt und den ihres Mannes annimmt. Kein Wunder, dass sich noch vor der ersten körperlichen Gewalttat alles in ihr gegen diese Ehe sträubt.

Lilas Fremdheitsgefühl ihrem neuen Leben gegenüber wird filmisch stimmig umgesetzt, etwa in der Szene, in der Stefano und Lila von der Amalfiküste zurückkehren und die ganze Familie das blaue Auge der frisch Vermählten ignoriert: Mithilfe von Lilas vereinzelter Position im Raum, einer prägnanten, sich von den Verwandten entfernenden Kamera (Francesca Calvelli) und der melancholischen Musik von Max Richter vermittelt sich sehr anschaulich das Empfinden der jungen Ehefrau, ein Leben „wie unter Glas“ zu führen. Auch ansonsten überzeugt die Bildgestaltung: Etwa wenn Stefano mit Zigarette im Mund zur geradezu teuflischen Fratze hinter der Milchglastür des Badezimmers wird. Oder die beim gemeinsamen Abendessen über Ehegattenmord sinnierende Lila aus extrem tiefer Perspektive gefilmt ist, was große Spannung erzeugt.

Das größte Pfund der Serie sind die durchweg gut besetzten SchauspielerInnen

Die anderen Gewerke leisten ebenfalls ganze Arbeit; stellvertretend seien hier besonders die gelungenen Kostüme hervorzuheben. Wie schon in den ersten acht Folgen wirkt das im realen Caserta bei Neapel aufgebaute Außenset des Rione, mit rund um einen gesichtslosen Platz gewürfelten Mietskasernen an den Bahngleisen, allerdings etwas zu kulissenhaft. Andererseits hat man sich daran ja bereits gewöhnt, und dieser Eindruck ändert sich auch, sobald man die liebevoll ausgestatteten Räume betritt: Sei es die dunkle, höhlenartige Wohnung von Elenas Familie, sei es die Bar der Solaras, sei es die im kühlen Chic der 1960er-Jahre eingerichtete neue Wohnung von Lila.

Das größte Pfund dieser Produktion aber sind die durchweg gut besetzten SchauspielerInnen, die ihre Figuren erneut fulminant zum Leben erwecken. Allen voran die perfekt ausgewählten Hauptdarstellerinnen Margherita Mazzucco und Gaia Girace, von denen man kaum glauben mag, dass die Serie ihre erste Schauspielarbeit ist. Den Part der Ich-Erzählerin aus dem Off, der gealterten Elena, übernahm übrigens erneut Alba Rohrwacher – ihre Schwester Alice Rohrwacher, zuletzt als Regisseurin von „Glücklich wie Lazzaro“ erfolgreich, inszenierte in Staffel 2 die Folgen 4 und 5. Eine weitere Neuerung betrifft den Vorspann, der mit seiner kleinen Zeitreise eleganter, nostalgischer, berührender daherkommt als jener der ersten Staffel.

Die lokale Sprachfärbung fällt in der Synchronfassung weg

Ein Jammer bloß, dass in der deutschen Synchronisation, in der alle durchweg Hochdeutsch sprechen, die dialektale Ebene fehlt: In der literarischen Vorlage wie der Originalfassung der Serie stellt diese in ihrem Gegensatz zum Hochitalienischen schließlich einen wichtigen Baustein zur Modellierung von Positionen, Rollenzuschreibungen und Sprechsituationen dar. Klar ist jedoch auch, dass man diesem Problem keinesfalls mit irgendeinem deutschen Dialekt hätte beikommen können – zum Glück aber gibt es bei Magenta TV die Möglichkeit, die Serie im Original mit deutschen Untertiteln zu sichten. Alles in allem ist diese Adaption also höchst gelungen, auch und gerade für Fans der Romane. Das Okay für eine dritte Staffel liegt erfreulicherweise bereits vor.

 

Staffel 3

In der dritten Staffel der filmischen Adaption der erfolgreichen Roman-Tetralogie um zwei aus ärmlichen Verhältnissen stammende neapolitanische Freundinnen sind Elena und Lila erwachsen geworden.

Es war eine eindrückliche Szene in der zweiten Staffel von „Meine geniale Freundin“, als die frisch vermählte Lila mit einem blauen Auge aus den Flitterwochen zurückkam – was der Rest der Familie in stiller Übereinkunft ignorierte. Die in einer dunklen Wohnung angesiedelte Sequenz erzählte zugleich von der Fremdheit zwischen Lila und ihrer Umgebung. Eine Entsprechung dazu findet sich nun in der dritten Staffel, nur dass diesmal Lilas Freundin Elena im Zentrum des Geschehens steht: Elenas Freund Pietro hält in den düsteren Räumen ihrer Eltern um ihre Hand an, während die Mutter sie auf ihre etwas grobe Art von hinten mit den Händen umschlingt. Aus dieser Konstellation wird in einer Albtraum-Sequenz, die Elenas Wahrnehmung der Situation widerspiegelt, eine Quasi-Vergewaltigung, bei der Elena mit roher Gewalt der Verlobungsring angesteckt wird. Hier wie dort geht es also um die gesellschaftlichen Zwänge im Süditalien der 1960er-Jahre, die nicht nur, aber insbesondere die Frauen betreffen. Und erst recht jene, die wie Lila und Elena aus ärmlichen Verhältnissen kommen.

Die Grenzen der eigenen Identität

Zugleich erzählen die beiden Szenen davon, wie sich die Schicksale von Lila und Elena über- und ineinanderschieben, wie diese engsten Freundinnen und größten Rivalinnen eine Art Alter Ego der jeweils anderen zu bilden scheinen. Und sie erzählen von den unentrinnbaren Gemeinsamkeiten ihrer Herkunft, bei aller Unterschiedlichkeit der eingeschlagenen Lebensläufe. Während Lila, die so brillante wie freigeistige Tochter des Schusters, ihr Glück zunächst in einer reichen, aber unglücklichen Ehe suchte, schaffte es die weniger scharfsinnige, aber fleißige Elena mithilfe von Schulbildung raus aus dem von Armut, Enge und Gewalt geprägten neapolitanischen Stadtviertel, dem „Rione“.

Um Grenzen geht es in „Meine geniale Freundin“: Die, die man (vielleicht) überwindet. Die, an die man dann doch irgendwann stößt, trotz aller Mühen. Aber auch die Grenzen der eigenen Identität, des eigenen Körpers, verschwimmende Konturen – Lila ist besessen von der Angst, sich aufzulösen, zu verschwinden.

Von Zweifeln geplagt

Zu Beginn der dritten Staffel, die auf dem dritten Band der gleichnamigen Romantetralogie von Elena Ferrante beruht, hat es die mittlerweile erwachsene Elena, genannt Lenù, vermeintlich geschafft. Sie hat ihren ersten Roman veröffentlicht, ist umgeben von belesenen Menschen und steht kurz vor der Heirat mit dem etwas langweiligen, aber gebildeten und aus guter Familie stammenden „Professore“ Pietro, mit dem sie in Florenz leben wird. Glücklich ist sie dennoch nicht, was ihr besonders bewusst wird, als sie zu Beginn der ersten Folge zufällig auf ihren alten Schwarm Nino Sarratore trifft. Sie fühlt sich noch immer hingezogen zu dem selbstgefälligen jungen Mann, dem wie ihr selbst mithilfe von Bildung der Absprung aus dem Rione gelang. Auch in ihrer Rolle als Schriftstellerin ist sie nicht angekommen, zweifelt an sich und ihrem Talent. Der einzige Mensch, dessen Urteil über ihr Buch sie wirklich interessiert, ist Lila.

Lila hingegen ist aus ihrer Ehe geflohen und lebt nun mit ihrem kleinen Sohn Gennaro und dem platonischen Freund Enzo in San Giovanni a Teduccio, einem Viertel im Osten Neapels. Die junge Frau muss harte körperliche Arbeit verrichten, um sich und Gennaro durchzubringen, arbeitet lange Schichten in der Wurstfabrik Soccavo. Das bereitet ihr gesundheitliche Probleme und setzt sie zudem sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte und Kollegen aus. Als sie, vermittelt durch ihren alten Freund Pasquale, bei einem Treffen des lokalen kommunistischen Gewerkschaftskomitees von ihren Erfahrungen spricht, wird diese Rede für ein aufrührerisches Flugblatt benutzt – was ihr weiteren Ärger mit ihrem Chef Bruno einbringt. Den Boden unter den Füßen weg zieht ihr schließlich der Moment, als Michele Solara wieder in ihr Leben tritt: Denn auch Bruno Soccavo steht bei der im Rione tonangebenden, bei Lila verhassten Camorrista-Familie in der Kreide.

Die Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln

Die Erkenntnis, dass sich die Vergangenheit nicht abschütteln lässt, lässt Lila zusammenbrechen. Sie fiebert, wird abermals von ihrer alten Angst vor Auflösung und Verschwinden gepeinigt. Der einzige Mensch, den sie in diesem Moment der Not zu sehen wünscht, ist Lenù.

Für Beständigkeit in Sachen Tonfall und Atmosphäre ist gesorgt: Das stimmige Drehbuch zu den acht Folgen hat erneut Elena Ferrante selbst zusammen mit Francesco Piccolo, Laura Paolucci sowie Saverio Costanzo geschrieben. Auch der britisch-deutsche Komponist Max Richter steuert wieder seinen melancholischen und sehr stimmungsvollen Soundtrack aus reduzierten Streichertönen bei. Anders als in den ersten beiden Staffeln zeichnet allerdings nicht mehr Saverio Costanzo für die Regie von „Meine geniale Freundin“ verantwortlich (zudem hatte Alice Rohrwacher zwei Folgen aus der zweiten Staffel inszeniert). Souverän übernommen hat Daniele Lucchetti, den man vor allem seit „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ kennt. Zudem wechselte die Kamera, Ivan Casalgrandi ist nun verantwortlich für die Bilder, deren Look sich jedoch erkennbar und überzeugend um Kontinuität bemüht. Hervorzuheben sei zudem der atmosphärisch starke Vorspann, der in körnigen Bildern einen schönen Einblick in Stimmung und Thema gibt.

All dies aber wäre nichts ohne die nach wie vor hervorragend spielenden Hauptdarstellerinnen, Gaia Girace und Margherita Mazzucco – eine perfekt gewählte Besetzung. Auch der Rest des Ensembles überzeugt, die Leistung der dafür zuständigen Casterinnen, Sara Casani, Laura Muccino und Florinda Martucciello, ist bemerkenswert. Ebenso ist Alba Rohrwacher als Erzählerin aus dem Off wieder dabei, sie leiht der aus der Rückschau erzählenden Autorin Elena Greco ihre eindringliche Stimme.

Am meisten bei sich in den Neapel-Passagen

Nicht nur Rohrwacher ist ein Argument dafür, sich die Serie möglichst im Original mit Untertiteln anzusehen. Es ist insbesondere der unmöglich zu übersetzende neapolitanische Dialekt, der wesentlich zum hier kreierten Lokalkolorit beiträgt. Sowie im starken Gegensatz dazu das Hochitalienisch, das in Elenas Universitätskreisen gesprochen wird.

Tatsächlich scheint auch die Serie selbst vor allem dann bei sich zu sein, wenn sie nach Neapel und zu Lila zurückkehrt – das fällt in den ersten beiden Folgen der neuen Staffel auf, von denen die erste in Mailand und rund um Elena, die zweite in Neapel und rund um Lila angesiedelt ist. Es ist Elenas ewiges Schicksal (um das sie, klug und selbstreflektiert, wie sie ist, auch weiß), dass ihre Freundin seit Kindheitstagen die aufregendere Figur von beiden ist. Auch als Zuschauer ist man nicht frei von dieser Prioritätensetzung. Man vermisst in der – trotz ihres Settings im aufrührerischen Klima der Studentenproteste der ausklingenden 1960er-Jahre – eher bedächtigen Auftaktfolge das Wilde, Unberechenbare, Faszinierende der süditalienischen Stadt, aber auch Lilas Temperament, das nicht zufällig ganz ähnlich gestrickt ist. Was beim Lesen des Romans aber übrigens nicht anders war: Nicht nur insofern ist der von HBO und RAI Fiction produzierten Serie auch in ihrem dritten Teil eine stimmige Adaption der literarischen Vorlage gelungen. Die vierte und letzte Staffel ist bereits in Auftrag gegeben.
 

Kommentar verfassen

Kommentieren