PUSH - Für das Grundrecht auf Wohnen

Dokumentarfilm | Schweden 2019 | 96 Minuten

Regie: Fredrik Gertten

Die kanadische Juristin Leilani Farha reist als UN-Sonderberichterstatterin rund um den Globus, um die Ursachen und Hintergründe der weltweiten Wohnungskrise zu ermitteln. Trotz regionaler Unterschiede lassen sich die Gründe in den Metropolen meist auf das Gewinnstreben mächtiger Finanzgesellschaften und Pensionsfonds zurückführen, für die Wohnraum zum lukrativen Spekulationsobjekt geworden ist. Die vielstimmige Bestandsaufnahme begnügt sich nicht mit der Dokumentation der Misere, sondern ergreift Partei und benennt Verantwortliche. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PUSH
Produktionsland
Schweden
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
WG Film
Regie
Fredrik Gertten
Buch
Fredrik Gertten
Kamera
Janice D'Avila · Iris Ng
Musik
Florencia Di Concilio
Schnitt
Erik Bäfving
Länge
96 Minuten
Kinostart
06.06.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Mindjazz/Al!ve (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion

In den letzten zehn Jahren hat sich die Wohnungssituation weltweit dramatisch verschärft. Wohnraum ist zur beliebten Anlagemöglichkeit des internationalen Kapitals geworden. Die kanadische Juristin Leilani Farha ist „Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für angemessenes Wohnen“. In Toronto, Uppsala, Seoul, Berlin-Kreuzberg oder New York sucht die engagierte Frau das Gespräch mit Mietern und Hausbesitzern, Bankern, Politikern und anderen. Sie reist um die Welt und schaut, wie die Menschen (über-)leben. Auf diesen Reisen begleitet sie der schwedische Regisseur Fredrik Gertten und beleuchtet in Gesprächen mit der Soziologin Saskia Sassen, dem ehemaligen Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz, sowie dem Schriftsteller Roberto Saviano die Hintergründe der Vertreibung von Mietern und dem Immobilienboom.

Der Film beginnt in Toronto, wo die Mieten binnen eines Jahrzehnts um 425 Prozent gestiegen sind. In Valparaiso mussten Krankenhäuser und Parkanlagen neuen Luxusapartments weichen, die sich kaum noch jemand leisten kann. In Notting Hill stehen ganze Wohnblöcke leer, während ihr Wert permanent steigt. Gleichzeitig gibt es immer mehr Wohnungs- und Obdachlose.

Ein Symbol für diese Entwicklung sind die Bilder vom brennenden Grenfell Tower aus dem Jahre 2017, der für seine Bewohner der letzte erschwingliche Wohnraum in Notting Hill war.

Menschen werden aus ihren Wohnungen geprügelt

Wer soll künftig noch in den Städten wohnen? Teilweise verfallen Häuser wie in den Sozialbauten in Uppsala; in Toronto rufen Einwohner zum Mietstreik auf, weil bei den ständigen Besitzerwechseln selbst die grundlegende Instandhaltung zu kurz kommt; in Seoul werden die Menschen aus ihren Häusern geprügelt, weil internationale Pensionsfonds dort Luxuswohnungen errichten wollen.

Die Schicksale sind unterschiedlich, aber ähnlich: Bewohner werden vertrieben, damit die Immobilien teuer verkauft werden können. Diese Praxis verändert auf Dauer aber nachhaltig die gewachsenen Strukturen in den Stadtteilen. „Kreuzberg ist jetzt hip und tutto bebe“, sagt ein Konditor in Berlin nach der Mieterhöhung, die seinen Betrieb in der Existenz bedroht.

Leilani Farha sucht immer wieder das Gespräch mit großen Investmentgesellschaften wie Blackstone, wird aber nicht angehört. Für die Soziologin Saskia Sassen hat die heutige Immobilienbranche nichts mehr mit dem klassischen Mietgeschäft zu tun; sie fühlt sich vielmehr an die Bergbauindustrie, an den rücksichtslosen Abbau von Rohstoffen erinnert: „Sobald sie ihren Gewinn herausgezogen haben, lassen sie die ganze Gegend verwüstet zurück und ziehen weiter.“

Der Begriff „Gentrifizierung“ greift nicht mehr

Der Begriff der Gentrifizierung greift hier nicht mehr, da es in diesem Prozess längst nicht mehr um die Verdrängung ärmerer Schichten durch wohlhabendere Bewohner geht; der Mehrwert der Immobilien hat nichts mehr mit Miete, sondern primär mit dem schnellen und teuren Weiterverkauf zu tun. Der italienische Schriftsteller Roberto Saviano vermutet hinter dem Immobilienboom eine gigantische Geldwäsche von Einkünften aus Waffen-, Drogen- und Menschenhandel. Joseph Stiglitz deckt in der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt die Konsequenzen neoliberaler Politik auf: „In den 1970er-Jahren entwickelt sich die Pseudoreligion des Marktes, mit Milton Friedman als dem Hohepriester und dem großen Experiment der Diktatur unter Pinochet.“

Mittlerweile haben auch Stadtverwaltungen und Bürgermeister eingesehen, dass bei der Privatisierung von Sozialwohnungen und städtischen Immobilien auch politisch einiges schiefgelaufen ist. In dem von Leilani Farha gegründeten Aktionsbündnis „The Shift“ tun sich Lokalpolitiker mit NGOs zusammen, um gegen die hemmungslose Spekulation in den Innenstädten zu kämpfen. Der Berliner Bürgermeister Michael Müller proklamiert einen Politikwechsel; es werde kein öffentliches Bauland mehr an private Investoren verkauft. Und die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, berichtet, wie sie mit gewaltigen Bußgeldern die US-Plattform airbnb an den Verhandlungstisch zwang.

Gründe für die weltweite Krise

„Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ ist eine vielstimmige und spannende Bestandsaufnahme einer weltweiten Krise. Die Stärke des klugen Films, den manche wahrscheinlich als ideologisch abstempeln werden,  sicherlich als ideologisch bezeichnen werden, liegt gerade in seinem engagierten Standpunkt und dem Mut, über die Dokumentation der Misere und einem empathischen Blick auf die Opfer der Krise hinaus nach den Hintergründen zu fragen und Verantwortliche zu benennen.

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