Spider Murphy Gang - Glory Days of Rock 'n' Roll

Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 91 Minuten

Regie: Jens Pfeifer

In den 1980er-Jahren verkörperte die Spider Murphy Gang mit ihrem zunächst noch recht klassischen Rock'n'Roll den Traum von einem „anderen“, alternativen Bayern. Der Film zeichnet die Geschichte der höchst erfolgreichen Band und ihrer Mitglieder nach. Eine kluge Montage, tolles Archivmaterial und die mitreißende Musik verwandeln die Chronologie von Aufstieg und Altern der Rockmusiker in ein sympathisch-nostalgisches Buddy-Movie. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Juno Film/BR/mdr
Regie
Jens Pfeifer
Buch
Jens Pfeifer
Kamera
Tobias Tempel
Schnitt
Eric Asch
Länge
91 Minuten
Kinostart
04.07.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation | Musikfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Weltkino (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl.)
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Sympathisch-nostalgischer Dokumentarfilm über die wohl erfolgreichste bayerische Rock’n’Roll-Band.

Diskussion

 Es ist Sommer in der Stadt. Günther und Barny sitzen im Biergarten am Chinesischen Turm im Englischen Garten, essen Schweinebraten und reden darüber, wie alles angefangen hat mit der Spider Murphy Gang.

Der Chinesische Turm ist einer jener Orte in München, an denen die Zeit stehengeblieben scheint. So zeitlos wie der Turm ist auch der Song „Sommer in der Stadt“: „I renn nackert durch’n Englischn Gartn, sitz high aufm Monopteros, i kauf ma a Mass am Chinesischn Turm, und flanier mit Dir auf da Leopoldstraß’“ (auch wenn die „Nackerten“ traurigerweise vielleicht bald Historie sind).

Diese Zeitlosigkeit zu transportieren, ein Lebensgefühl zu beschwören, das man heute noch erleben kann, wenn man nur will, und gleichzeitig eine unwiederbringlich vergangenen Epoche spürbar zu machen – dieses Kunststück gelingt den Filmemachern um Regisseur Jens Pfeifer in „Spider Murphy Gang – Glory Days of Rock’n’Roll“ bravourös.

Liebesklärung im Circus-Krone-Bau

Der Film beginnt zwar obligatorisch mit dem größten Hit der Band, dem „Skandal im Sperrbezirk“. Doch die Montage springt zwischen den Konzerten von heute und gestern sichtbar hin und her, ein versöhnlicher, zutiefst sympathischer Effekt. Ist es Barny und Günther, den beiden noch verbliebenen Gründungsmitgliedern der Band, die bis heute dabei sind, gelungen, sich treu zu bleiben? Ihre Energie ist jedenfalls ungebrochen, und Freunde sind sie auch noch. Kurz vor Ende des Films gibt es eine hinreißende Liebeserklärung, im leeren „Circus Krone“-Bau, auch so ein Ort jenseits der Zeit. Wenn „da Barny“, sagt Günther, jetzt also „anrufen tät und sagen würd’ ‚i hab a Problem’ – ja, da wär i dann scho da“. Und schaut zur Seite: berührt, nicht beschämt.

Günther Sigl, der Sänger, und Barny Murphy, der Gitarrist, stehen im Zentrum des Films; aber auch die anderen ehemaligen und aktuellen Mitglieder kommen zu Wort. Alle sprechen nur über sich, bleiben im positiv-paartherapeutischen Sinne ganz bei sich. Es gibt keine Lästereien, keine Abrechnungen mit anderen, etwa dem Schlagzeuger Franz, der zu viel Alkohol und zu viele Drogen konsumierte, damals, mit dem vielen Geld, den vielen Konzerten und einem Leben auf der Überholspur. Das besorgt der Musiker schon selbst, der der Band nachtrauert, die sein Leben war.

Im Stil von Chuck Berry & Elvis

„Mir san a bayerische Band“, singen die „Spiders“, doch das waren sie keineswegs immer. Im Stil von Chuck Berry und Elvis spielten sie Rock’n’Roll mit Post-Punk-Attitüde, Günther sang auf Englisch. Der Radiomoderator Georg Kostya vom „Zündfunk“-Jugendsender des Bayerischen Rundfunks überredete sie, es doch auch mal auf Bayerisch zu versuchen – mit durchschlagendem Erfolg, nicht nur in Bayern. Prompt landete „Skandal im Sperrbezirk“ auf dem bayerischen Index. „Das war eigentlich die beste Werbung für uns“, kommentiert Günther. Weil es in Bayern diese Sehnsucht nach einem anderen Bayern gibt, nach dem paralleluniversalen Bayern eines Herbert Achternbusch, eines Josef Bierbichler oder Klaus Lemke: nach einem anarchischen, hellsichtigen, selbstreflektierten und selbstironischen Land jenseits vom großspurig-selbstbesoffenen „Mia san mia“.

Die Songs sind allesamt Evergreens, Gassenhauer, Ohrwürmer – wie schön, dass es nur altmodische Worte für zeitlos gewordene Lieder gibt –; schon in den späteren 1980er-Jahren gehörten sie zum generationsübergreifenden Standardrepertoire in Bayern; die Schallplatten standen im elterlichen Schrank – und auf Schulpartys wurde zu „Skandal im Sperrbezirk“ mitgegrölt.

Die Stasis & die Spiders

Der Film versammelt wunderbares Archivmaterial, das ins Herz der Nostalgie trifft. Plattencover, alte Autos, eine Fahrt in der Straßenbahn, jubelnde Fans mit verspiegelten Pilotenbrillen. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs spielten die „Spiders“ sogar in der DDR, auch wenn die Staatssicherheit offenkundig nicht viel mit den gut gelaunten Bayern anfangen konnte, was die Akten belegen.

Lakonisch stellt Günther auf einer Zugfahrt fest, dass alternde Rockmusiker meist schon etwas komisch aussähen. Die Erfolgsgeschichte der Band wird chronologisch aufgeblättert. Keine Liebesgeschichten, keine Home-Stories: ein dokumentarisches Buddy-Movie, das glücklich macht.

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