Drama | USA 2018 | 115 Minuten

Regie: Brady Corbet

Eine junge US-Amerikanerin überlebt ein Schulattentat und trägt bei der Gedenkfeier für die Opfer ein von ihrer Schwester komponiertes Lied vor, was den Grundstein für ihre Karriere als Pop-Diva legt. In zwei Akten beleuchtet der formal herausragende Film die „Geburt“ des Stars im Jahr 2000/2001 und seine 2017 angesiedelte „Wiedergeburt“ nach einem von Drogen befeuerten Absturz. Der Lebensweg der Sängerin wird motivisch immer wieder mit terroristischer Gewalt verknüpft. Ein ebenso expressives wie vielschichtiges Porträt, das das packende Drama um menschliches Elend und künstlichen Glanz eines Musik-Idols mit kühl-analytischer Kritik an der Pop- und Celebrity-Kultur verbindet. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
VOX LUX
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Bold Films/Killer Films/Andrew Lauren Productions (ALP)
Regie
Brady Corbet
Buch
Brady Corbet
Kamera
Lol Crawley
Musik
Scott Walker
Schnitt
Matthew Hannam
Darsteller
Natalie Portman (Celeste) · Jude Law (Manager) · Stacy Martin (Eleanor) · Jennifer Ehle (Josie, Musikpublizistin) · Raffey Cassidy (Celeste, jung / Albertine)
Länge
115 Minuten
Kinostart
25.07.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Musikfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Koch Media
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Eine junge US-Amerikanerin überlebt ein Schulattentat und steigt zum globalen Popstar auf, was mit viel Drogen und dem Verlust der Unschuld verbunden ist. Ein von einem monumental-verstörenden Soundtrack befeuerter Zwitter aus Experimental- und Erzählkino.

Diskussion

„Hey, turn the light on,’cause I got no one to show me the way“, heißt es in dem melancholischen Song, mit dem die junge Celeste ihre Karriere als Pop-Diva begründet. Celeste trägt das Lied erstmals im Winter 1999 im Rahmen eines Gedenkgottesdienstes für die Opfer eines Schulamoklaufs vor, den sie selbst nur mit knapper Not und einer schweren Verletzung an der Halswirbelsäule überlebt hat.

Das Lied für die Toten wird ein Hit; ein Jahr später finden sich Celeste und ihre Schwester (Stacy Martin), die die eingängige Melodie komponiert hat, in Manhattan wieder, um unter den Fittichen ihres Managers (Jude Law) einen Vertrag mit einem Label zu unterschreiben. Wenig später sind sie in Stockholm, um ein erstes Album zu produzieren. Als sie sich am 11. September 2001 wieder auf den Rückweg in die USA machen, hören sie vom Terroranschlag auf das World Trade Center.

Vom Verlust der Unschuld

Willem Dafoe, der sich als Erzählerstimme aus dem Off immer wieder in das abgründige Drama von Brady Corbet einschaltet, spricht von einem doppelten „Verlust der Unschuld“: für Celeste, weil sie in Schweden, erstmals weit weg vom Elternhaus, mit Sex und Alkohol richtig über die Stränge schlägt, und für die Nation, weil nach 9/11 nichts mehr ist wie vorher.

„Vox Lux“ verschränkt die nationalen Traumata, den ans Colombine-Massaker angelehnten Schulamoklauf und den islamistischen Terror, unlösbar mit den zunehmend ins (Selbst-)Destruktive abgleitenden Versuchen seiner schillernden Hauptfigur, das durch die Gewalterfahrung verdunkelte metaphorische Licht wieder anzuzünden – als glitzernder Showbiz-Stern mit einer Musik, bei der die Menschen sich „einfach nur gut fühlen“ sollen, wie Celeste dies ausdrückt. Doch die junge Frau wird die Erfahrung des Dunklen und Bösen nicht los: Viele Jahre später, im Jahr 2017, in dem die zweiten Hälfte des Films spielt, ist Celeste gerade dabei, sich nach einem Sucht-Absturz, einem handfesten Skandal und der Entfremdung von ihr nahestehenden Menschen als Sängerin neu zu erfinden, als Attentäter in Kroatien ein Massaker an einem Strand begehen und dabei Masken aus einem Celeste-Video tragen.

Der Erzähler spricht schließlich am Ende von einem „Pakt mit dem Teufel“, den Celeste damals nach dem Schulamoklauf geschlossen habe, als sie zwischen Leben und Tod schwebte – und erklärt ihre Musik damit sozusagen zur luziferischen Verblendung.

Die Genese von etwas Monströsem

„Vox Lux“ ist der zweite Spielfilm von Brady Corbet, den man bislang vor allem als Schauspieler kennt. 2015 reüssierte er mit dem Regiedebüt „Childhood of a Leader“, einem düsteren „Bildungsroman“ um eine Kindheit in Europa am Ende des Ersten Weltkriegs, aus der in den 1930er-Jahren ein faschistischer Führer erwächst.

Die Genese von etwas Monströsem steht auch im Zentrum von „Vox Lux“, wobei die Inszenierung die realistische Erzählebene um die zunehmend egomanische Celeste immer wieder ins Zeichenhaft-Zeitgeistige überhöht. Dazu trägt der Gebrauch der Off-Stimme bei, aber auch expressive Verfremdungen, wenn Celestes Ankunft in Manhatten von einer bedrohlich anmutenden Montagesequenz begleitet wird, die Bilder der Hochhausarchitektur (noch inklusive des World Trade Center) aneinanderreiht und die Stadt als babylonischen Moloch erscheinen lässt. Oder wenn rasende Fahrten die ansonsten eher ruhige Kameraarbeit unterbrechen, die am Anfang noch in der Realität verankert sein mögen, wenn Celeste nach dem Schulattentat per Krankenwagen in die nächste Klinik gefahren wird, später aber als wilde Jagd durch einen Tunnel albtraumhafte Züge annehmen: Fanale eines Klimas der Hysterie, die nicht mehr weichen will.

One for the money, two for the show

Bis zum Schluss liegt eine latente Beklemmung über dem Film, durch Bilder, in denen die düster-kalte Tönung nie verschwindet, und durch einen Soundtrack von Scott Walker, der mit gespenstisch anmutenden Vocals und Elektro-Klängen einen Horror verbreitet, den Celestes Pop (beigesteuert von der Sängerin Sia) auch mit einem etwa 20-minütigen finalen Bühnenauftritt nicht neutralisieren kann. Wie „Childhood of a Leader“ changiert auch „Vox Lux“ vom Erzählkino hin in eine neue Art von Film-Expressionismus. Brady Corbet schafft es damit, energetisch-sinnlich ein Gefühl für den Star-Appeal der „himmlischen“ Celeste wie auch für ihre menschlichen Abgründe zu vermitteln – und zugleich kühl-analytisch auf Abstand zu bleiben.

Im ersten Kapitel wird Celeste von Raffey Cassidy verkörpert, die hinter der mädchenhaften Zartheit eindrucksvoll einen eisernen Willen durchschimmern lässt; eine geradezu dämonische Faszination gewinnt die Figur aber erst im zweiten Kapitel, wenn Natalie Portman den Part übernimmt und zu einer Figur ausbaut, die mit ihren Diven-Attitüden Katy Perry oder Lady Gaga wie Waisenmädchen aussehen lässt und einen so rasanten Parcour zwischen Größenwahn und heulendem Elend hinlegt, dass einem Hören und Sehen vergeht.

Aus dem jungen Mädchen, das einst zusammen mit seiner Schwester dem sinnlosen Sterben seiner Schulkameraden ein Lied entgegenhielt, ist ein Aufmerksamkeitsvampir einer kapitalistischen (Pop-)Kultur geworden, die alles, seien es Gefühle, sei es Gewalt oder die Suche nach Sinn, wie in einem schwarzen Loch absorbiert und als glitzerndes Hologramm wieder ausspuckt: one for the money, two for the show.

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