Unheimliche Geschichten (1919)

Horror | Deutschland 1919 | 70 (95 restaur.) Minuten

Regie: Richard Oswald

Fünf durch eine Rahmenhandlung verbundene Gruselgeschichten des frühen Kinos. 1. "Die Erscheinung": Die Geliebte eines Aristokraten verschwindet spurlos aus ihrem Hotel. 2. "Die Hand": Feine Herren buhlen um die Gunst einer Frau, wobei der Unterlegene den Gewinner erwürgt. 3. "Die Katze": Ein Mann tötet seine untreue Frau und mauert sie zusammen mit ihrer lebenden Katze ein. 4. "Der Selbstmörder-Klub": Ein Polizist kommt einem Geheimbund auf die Spur und muss um sein Leben fürchten. 5. "Der Spuk": Ein Baron vereitelt den Seitensprung seiner Frau und demütigt den Möchtegern-Geliebten. Alle Episoden feiern die Schaulust und lassen ein Gespür für effektvolle Spannungsbögen erkennen. Restaurierte Fassung eines Filmklassikers, dessen Originalnegativ weiter verschollen ist, weshalb auch die jetzige Kopie noch starke Schäden aufweist. Die neu komponierte Musik des Films setzt frische Akzente und verstärkt den Gruselcharakter der Geschichten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1919
Produktionsfirma
Richard-Oswald-Film
Regie
Richard Oswald
Buch
Richard Oswald · Robert Liebmann
Kamera
Carl Hoffmann
Musik
Michael Riessler
Schnitt
Richard Oswald
Darsteller
Anita Berber (Dirne, Geliebte, Ehefrau) · Conrad Veidt (Tod, Liebhaber, Clubleiter, Ehemann, Aristokrat) · Reinhold Schünzel (Ehemann, Mörder, Betrunkener, Polizeikommissar) · Hugo Döblin · Paul Morgan
Länge
70 (95 restaur.) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Horror | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Wegen seiner „Phantastik des Unheimlichen“ gilt dieses Werk als das erste künstlerisch gelungene Film-Kammerspiel und im Gegensatz zu dem in expressionistischen Dekors spielenden „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1919) als Vorläufer von Filmen wie „Algol“ (1920), „Nosferatu“ – Eine Symphonie des Grauens“ (1921/22) oder „Schatten“ (1923). Der 1880 in Wien geborene und 1963 in Düsseldorf gestorbene Regisseur Richard Oswald realisierte „Unheimliche Geschichten“ mit drei Stars aus der Zeit des Weimarer Kinos – Conrad Veidt, Reinhold Schünzel und Anita Berber, der Tänzerin und Skandalfrau der 20er-Jahre. Jahrzehntelang war der Stummfilm aufgrund schlechter Materiallage – das Originalnegativ gilt als verschollen – kaum zu sehen. Die von Kirch- Media in der Cinémathèque française gefundene Nitrokopie wurde vom Kopierwerk L’immagine ritrovata in Bologna für die arte-Ausstrahlung restauriert. Trotzdem weist das Material immer noch starke Beschädigungen wie Negativschmutz, Laufstreifen und fehlende Bilder auf.

Eine Rahmenhandlung verbindet fünf Gruselgeschichten zu einem Kabinettstück. Da suchen drei merkwürdige Gestalten – der Tod, der Teufel und eine Dirne – um Mitternacht in einem Antiquariat nach geeigneten Kinostoffen. In Anselma Heines Erzählung „Die Erscheinung“ verliebt sich die Frau eines wahnsinnigen Mannes in einen Aristokraten. Sie mieten sich im Hotelzimmer ein – sie im ersten, er im dritten Stock. Nach dem Besuch einer Abendgesellschaft kann der Mann seine Geliebte nicht wiederfinden. Am Morgen versichern ihm die Hotelangestellten, er sei allein angereist. Auf der Straße erzählt man ihm, die Frau sei an der Pest gestorben und aus Furcht vor einem Skandal „beseitigt“ worden. „Die Hand“ nach Robert Liebmann: Auf einer Party buhlen feine Herren um die Gunst einer attraktiven Dame. Man einigt sich auf ein Spiel, doch der Verlierer erwürgt den Gewinner. Der Mörder nimmt im Haus der Schönen an einer Seance teil und sieht überall die Hand des Toten, sodass er sich das Leben nimmt. In Edgar A. Poes Erzählung „Die Katze“ vernachlässigt ein Trunkenbold seine Frau, die sich auf eine Beziehung mit einem anderen Mann einlässt. Als der Ehemann die Affäre entdeckt, tötet er die Gattin im Affekt und mauert sie mit ihrer Katze im Keller ein. Beim Lokaltermin mit der Polizei hört der Liebhaber das Tier, und das Verbrechen wird aufgedeckt. „Der Selbstmörder-Klub“ nach Robert L. Stevenson: Ein cleverer Polizist schleicht sich bei einem Geheimbund ein, wo man ihn belehrt, es handele sich um einen Selbstmörderverein, den niemand lebend verlassen könne. Wer die Todeskarte zieht, muss als nächster sterben. Prompt fällt die Wahl auf den Eindringling. Der täuscht eine Herzattacke vor und setzt den Klubleiter auf seinen Platz. Von Richard Oswald stammt die schwächste Episode, „Der Spuk“: Eine von ihrem Mann alleingelassene Frau lädt einen Gast auf sein Schloss ein. Jener umschwärmt sie, aber der Baron kehrt zurück und demütigt den Fremden. Danach versöhnen sich der Baron und seine Gattin. Eine Stunde nach Mitternacht verschwinden die drei Besucher des Antiquariats, der Inhaber ist dem Wahnsinn verfallen.

Oswalds Unterwelt-, Aufklärungs- und Sittenfilme verdanken viel seinem Wiener Charme. Kino bedeutete für ihn Amüsement, Schaulust, die Möglichkeit zur Improvisation. Das Spiel in „Unheimliche Geschichten“ ist mitunter noch vom übertriebenen expressionistischen Ausdruck bestimmt, insbesondere in der ersten und dritten Episode. Kameramann Carl Hoffmann hatte bei diesem Schauspieler-Regisseur keine Chance, sein Können zu zelebrieren. Oswald schnitt seine Filme meist selbst und zeigte dabei Gespür für effektvolle Spannungsbögen. Trotz Hunderter Filme und eines von CineGraph 1989 ausgerichteten filmhistorischen Kongresses ist er bis heute eigentlich ein großer Unbekannter geblieben. „Unheimliche Geschichten“ wurde 1932 von Oswald noch einmal als Tonfilm inszeniert. 1938 verfilmte Veit Harlan den Stoff der ersten Episode unter dem Titel „Verwehte Spuren“ und Terence Fisher 1950 als „Paris um Mitternacht“. Die von Michael Riessler (Jahrgang 1957) neu komponierte Musik kommt mit einem Streichquintett, Klarinetten und einer Drehorgel dem Gruselcharakter, dem Fantastischen des Films sehr nahe. Das Entrückte und Kintopphafte gewinnt durch die vertraut-verfremdete Atmosphäre eine überraschend eigenständige Wirkung. Zaghafte, vorsichtige Akkorde und Klänge erzeugen Thrill und Gänsehaut. Von besonderer Raffinesse erweist sich der Einsatz der Drehorgel (Pierre Charial), die ungewohnte Hör- und Seherlebnisse ermöglicht.
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