Sarah spielt einen Werwolf

Coming-of-Age-Film | Schweiz/Deutschland 2017 | 86 Minuten

Regie: Katharina Wyss

Eine etwas verschrobene 17-Jährige geht nur aus sich heraus, wenn sie auf der Bühne steht, wo sie düster-tragische Stoffe magisch anziehen. Dahinter verbirgt sich ein dunkles Familiengeheimnis, das der mit Anspielungen und Verweisen überladene Film eher verdeckt als offenlegt. Das sich hinter den Pubertätsproblemen andeutende Missbrauchsthema spielt das klaustrophobische Drama nur sehr indirekt an. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SARAH JOUE UN LOUP GAROU
Produktionsland
Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Intermezzo Films/dffb/Mnemosyn Films
Regie
Katharina Wyss
Buch
Josa Sesink · Katharina Wyss
Kamera
Armin Dierolf
Musik
Conrad Oleak
Schnitt
Tania Stöcklin
Darsteller
Loane Balthasar (Sarah) · Michel Voïta (Raphaël) · Manuela Biedermann (Monica) · Annina Walt (Alice) · Sabine Timoteo (Mme Schroeter)
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Coming-of-Age-Film | Drama
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Eine unnahbare, etwas verschrobene 17-Jährige geht nur aus sich heraus, wenn sie auf der Bühne steht. Düster-tragische Stoffe ziehen sie magisch an. Dahinter verbirgt sich ein düsteres Geheimnis.

Diskussion

Sarah ist eine, von der man nicht weiß, ob man sie mag. Vielleicht, weil sie lügt. Es gehe ihr nicht gut, erzählt sie einer Schulkameradin, ihr Bruder sei gestorben. Doch wenig später skypt sie mit Benjamin, der in Heidelberg studiert. Ein anderes Mal erzählt sie, ihr Freund sei gestorben, doch schon bald hat man den Verdacht, dass es diesen Luke nie gegeben hat. Sarah ist ein Mädchen, das genervt die Braue hochzieht, wenn Mitschüler aus ihrer Klasse „Romeo & Julia“ kitschig finden. „Es gibt stärkere Gefühle, als du dir vorstellen kannst“, entgegnet sie einem Klassenkameraden. Damit macht sie sich keine Freunde.

Die Jugendliche wirkt unnahbar, auch ein wenig verschroben in ihren langen Röcken. Sie geht nur aus sich heraus, wenn sie mit anderen auf der Theaterbühne steht. Dort spielt sie dann um ihr Leben und verliert sich ganz im Moment. Das Düstere, Tragische, sogar Gewalttätige zieht die junge Frau geradezu magisch an: Tod aus Liebe, Romeo und Julia, Tristan und Isolde, die Qualen der heiligen Barbara, Folter, der Wunsch zu sterben.

Die Pubertät dauert nicht ewig!

Man könnte sagen: Mit 17 Jahren darf man doch ein wenig neben der Spur sein und sich unverstanden und alleine fühlen. Man möchte dem Mädchen freundlich auf die Schulter klopfen und sie zur Zuversicht ermahnen. Die Pubertät dauert schließlich nicht ewig. Aber ganz so einfach ist es nicht, und um das herauszufinden, muss man sich schon sehr auf „Sarah spielt einen Werwolf“ einlassen. Damit macht es einem die Schweizer Regisseurin Katharina Wyss aber nicht leicht. Ihr Film ist so mit Bedeutung überladen, dass man den Kern der Geschichte fast übersieht.

Auf der Tonspur läuft Wagner. Sarahs Kurzzeit-Freundin liest so offensiv „Das obszöne Werk“ von Georges Bataille, dass jeder den Titel mitschreiben kann; außerdem malt sie Bilder von geschundenen, sexualisierten Körpern. Es gibt aber auch ausschnittartige Momentaufnahmen, die einen an die Gefühlswelt des Mädchens heranführen. Sarahs Blicke aus dem Auto, wenn sie durch ihre Heimatstadt Fribourg fährt, die Stromleitungen, der Vater am Schreibtisch, den man durch den Türspalt sieht, eine tote Biene.

Der Vater dominiert

Alles ist eng, geradezu klaustrophobisch in diesem Film, was bildlich nicht uninteressant ist: das fast quadratische Bildformat, die Kamera, die ganz nah heranrückt, die Bildkompositionen, die Stadt, die Wohnung und vor allem Sarahs Familie, die zunächst zugewandt und offen erscheint, in Wirklichkeit aber von einem Vater dominiert wird, von dem Sarah offenbar den Hang zur Dramatik und zum großen Gefühl, zu Oper, Literatur und Theater, aber auch zum Geheimnis geerbt hat. Überhaupt diese eigenartigen und manchmal schwer nachvollziehbaren Beziehungen zwischen den Menschen, die keinen wirklichen Zugang zueinander haben. Welcher Vater würde seine Tochter schon bestärken, Selbstmord zu begehen? Aber bitte so, dass er sie nicht finden muss!

„Sarah spielt einen Werwolf“ handelt von einer jungen Frau, für die man nur schwer ein Gefühl oder gar ein Mitgefühl entwickelt. Dabei hat diese verstockte Figur, die Loane Balthasar eindringlich spielt, genau dies dringend nötig. Denn man beginnt zu ahnen, dass der Vater für Sarahs Verlorensein verantwortlich ist und für den inneren Druck, der sich bei einer Theaterprobe so heftig entlädt, dass Sarah völlig haltlos zum titelgebenden Werwolf mutiert.

Der Grund für die Verstörung

Das vermeintliche stille Einverständnis zwischen dem schöngeistigen Vater und seiner offenbar ebenso veranlagten Tochter verbreitet zunehmend Unbehagen und schließlich Ablehnung. Die zweideutigen Sätze, der Blick auf den Körper des Mädchens, eine leidenschaftliche Annäherung im Auto nach einem vertrauten Gespräch über Liebe. Diese junge Frau hat offenbar allen Grund, verstört zu sein. Es geht in dem Film nicht um ein Mädchen, das sich nur im Theater spüren kann oder mit dem Erwachsenwerden Probleme hat. Es geht um Missbrauch, auf welche Art auch immer – und diese Erfahrung verbaut Sarah den Weg zu sich selbst, zu anderen und zum Leben.

Man muss Missbrauch auf der Leinwand nicht explizit zeigen. Doch eine etwas eindeutigere Haltung zu diesem Thema hätte „Sarah spielt einen Werwolf“ tatsächlich gutgetan.

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