Waiting for the Barbarians

Drama | Italien 2019 | 109 Minuten

Regie: Ciro Guerra

Eine Adaption des Romans „Warten auf die Barbaren“ (1980) von J.M. Coetzee um den kolonialen Außenposten eines nicht näher definierten Staats. Der dortige Magistrat pflegt ein entspanntes Verhältnis zu dem benachbarten Nomaden-Volk, bis ein Oberst aus Sorge vor kriegerischen Absichten der Nomaden unter dem indigenen Volk Gefangene macht, die er foltern lässt. Von der Unmenschlichkeit entsetzt, aber machtlos, den Militärapparat aufzuhalten, versucht der Magistrat, zumindest eine verletzte Frau zu retten. Eine bisweilen zu brachiale Parabel der Perversion des Kolonialsystems und der Destruktivität rassistischer Feindbilder, fokussierend auf einen an sich guten Menschen, der sich gleichwohl als Teil der Kolonialmacht nicht aus deren die menschlichen Beziehungen vergiftenden Zusammenhängen lösen kann. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WAITING FOR THE BARBARIANS
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Iervolino Ent./Ithaca Pic.
Regie
Ciro Guerra
Buch
J.M. Coetzee
Kamera
Chris Menges
Musik
Giampiero Ambrosi
Schnitt
Jacopo Quadri
Darsteller
Mark Rylance (Der Magistrat) · Johnny Depp (Oberst Joll) · Robert Pattinson (Mandel) · Gana Bayarsaikhan (Mädchen) · Greta Scacchi (Mai)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Edition enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
Constantin (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Constantin (16:9, 1.78:1, dts-HDHR engl./dt.)
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Mark Rylance und Johnny Depp als Gegenspieler in einem parabelhaften Kolonialdrama nach einem Roman von J.M. Coetzee, inszeniert vom kolumbianischen Regisseur Ciro Guerra.

Diskussion

„Waiting for the Barbarians“, der neue Film des kolumbianischen Regisseurs Ciro Guerra, ist eine Geschichte von zwei Gesichtern. Auf der einen Seite ein säkularer Heiliger mit tiefen Sorgenfalten und klugen Augen, die forschen und verstehen wollen. Auf der anderen ein obszöner Folterknecht mit Steinfratze, verborgen hinter dunklen Brillengläsern und wie Klingen gekreuzten Bügeln. Man kann lange nur mutmaßen, ob sich im Schatten seines Gesichts wirklich Augen verbergen oder vielleicht doch Abgründe. Doch vielleicht verbindet die beiden letztlich mehr, als sie trennt. Die Verfilmung eines Romans von J. M. Coetzee zeigt in nahezu apokalyptischen Bildern, wo die Blicke des gnadenlosen und des barmherzigen Herrschers zusammenfallen und letztlich gleichermaßen besitzergreifend sind.

Kolonialer Hochmut an den Rändern eines Empire

Wie in seinen letzten Filmen „Der Schamane und die Schlange“ und „Birds of Passage“ zieht es Guerra an und über die Grenze, die angeblich Zivilisation und Wildnis trennen soll. Der Magistrat einer namenlosen Grenzstadt (Mark Rylance) versucht seit Jahren im Einklang mit den Nomadenstämmen der angrenzenden Wüstenregion zu leben. In seiner freien Zeit studiert er Geschichte und Kultur der Einheimischen. Als der grausame Oberst Joll (Johnny Depp) und sein nicht minder sadistischer Handlanger Mandel (Robert Pattinson) einreiten und mit zunehmend härterer Gewalt gegen die vermeintlichen Barbaren vorgehen, gerät das fragile Gleichgewicht aus den Fugen. Der Magistrat zweifelt an dem Imperium, das er mitverwaltet. Er versucht sich von seinen Sünden reinzuwaschen, indem er ein Nomaden-Mädchen (Gana Bayarsaikhan) rettet. Doch ganz kann er seiner Schuld nicht entkommen.

Der Roman des südafrikanischen Nobelpreisträgers Coetzee entwirft eine große Parabel, die von Guerra noch weiter in die Abstraktion getragen wird. Länder, Völker und Menschen ohne Zeit und Namen, universell bis hin zur Entgrenzung. Imperium und Kolonie als Ideen ohne Beziehung zu Geschichte und Welt. Die visuell einehmenden Schauplätze in Marokko und Italien werden zu Nichtorten, zu Kulissen eines moralischen Konflikts, der reibungslos an ihnen vorbeizieht.

Die Passionsgeschichte eines säkularen Heiligen

Innenräume werden von flackerndem Kerzenlicht erhellt; wo Gut und Böse zum Thema werden, sind auch Licht und Schatten nicht weit. Wenn der Magistrat zum ersten Mal auftritt, sitzt er am Schreibtisch eines schummrigen Arbeitszimmers. Ein einziger Sonnenstrahl bricht von Himmel durchs Gebälk und steht im Raum wie eine tragende Säule. Später fällt der gleiche Strahl in seine Gefängniszelle. Der Magistrat, so wird visuell (und später auch verbal) verdeutlicht, ist der letzte gute Mensch in einer korrupten Welt. Er muss gar nicht erst ins Licht treten, sein Heiligenschein ist unübersehbar. Die Sonnenbrille seines Pendants hingegen macht diesen unempfänglich für alle Reize dieser Welt, er will die Schönheit nicht sehen und die Wahrheit nicht erkennen.

Wenn der Film später zu seiner blutigen Passionsgeschichte geworden ist und der Magistrat eher durch die Evangelien als die Romanvorlage wandelt, klagt der pilatusartige Oberst ihn an: „Sie möchten sich einen Namen machen als der einzige Gerechte. Sie sind einfach ein Clown. Sie sind dreckig, Sie stinken, man kann Sie meilenweit gegen den Wind riechen. Sie wollen, dass Ihr Name in den Geschichtsbüchern steht. Geschichte? Hier ist Grenzgebiet, das Nirgendwo. Hier wird keine Geschichte geschrieben. Es interessiert sich niemand für die Geschichte am Ende der Welt.“

Eine unerbittliche Parabel

Der Film ist voll von derart plakativen Sätzen, die nur durch das hochkarätige Ensemble vor der Komik gerettet werden. Und er gibt dem Oberst letztlich recht, weil er sich für die Grenzstadt und die Menschen darin nicht interessiert. Auch da, wo Figuren hinterfragt werden oder sich neu justieren müssen, entsteht nie das Gefühl, es hätte je etwas anderes geschehen können. Nicht ein Hauch von chaotischer Menschlichkeit stört die Parabel in ihrem Lauf.

Dabei gibt sich Mark Rylance redlich Mühe. Zuletzt hat er oft Männer gespielt, die das Gewicht der Welt auf ihren Schultern trugen. Müde Krieger für die Gerechtigkeit, die ihre schwindenden Kräfte in den heraneilenden Sturm verwerfen, vom rettenden Kapitän bis zum Bürgerrechtsanwalt. In „Waiting for the Barbarians“ wird seine großherzige Wärme zum Klischee. Wie ein Märtyrer wirft er sich vor generische Opfer imperialer Gewalt, so selbstlos, dass kein Charakter mehr bleibt. Die Beziehung zu dem namenlosen Nomaden-Mädchen soll offenlegen, dass auch er von Lust und Egoismus getrieben wird. Er ist Teil von grausamen Strukturen, auch in seinem Forschergeist liegt Überheblichkeit und Herrschsucht. Doch der Film labt sich zu gierig an seiner Vollkommenheit, um derartige Urteile glaubwürdig zu machen.

Zu vollendet ist auch die Boshaftigkeit seiner Feinde Oberst Joll und Mendel. Johnny Depps Figur bildet die Quersumme aus dem sadistischen Hauptmann Vidal („Pans Labyrinth“), dem dunklen Zauberer Grindelwald („Phantastische Tierwesen“) und Boss Godfrey („Cool Hand Luke“). Halb verborgen und fast statuesk sollte er eine enigmatische Präsenz darstellen. Trotzdem ist er schnell durchschaut; nichts an ihm birgt ein Geheimnis. Je mehr sein Spiel verschleiern will, desto mehr legt es offen. Die Kamera zoomt bedächtig auf sein Gesicht, während er gefühlskalt von Folter spricht wie ein Comic-Bösewicht. Robert Pattinson trägt seine übliche Intensität in den Film, bleibt aber durch seine eng geschneiderte Rolle immer ein tumber Schläger.

Wenn letztendlich alle Schlachten geschlagen sind und alle Sandstürme sich gelegt haben, bleibt die reichlich dürftige Erkenntnis: Nichts hat Bestand. Die Imperien von heute sind die Asche von Morgen. Wer Barbar geheißen wird, muss nicht im Unrecht sein. Der Feind erwartet uns oft nicht in der Fremde, sondern an unserer Seite. Gerade da, wo der Film glaubt, eine Frage komplexer zu gestalten, vereinfacht er sie. Letztlich reicht wirklich der Blick in zwei Gesichter, um jede seiner Fragen zu beantworten. In der Wirklichkeit kann ein vermeintlich Heiliger auch ein Folterknecht sein, die Welt ist ärgerlich komplex. In diesem Film sind sie sich so fern wie Himmel und Hölle.

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