Ladybird, Ladybird

Drama | Großbritannien 1993 | 102 Minuten

Regie: Ken Loach

Eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern gerät nach einem Unglück, bei dem eines der Kinder schwer verletzt wird, in Konflikt mit den englischen Behörden, die ihr das Sorgerecht aberkennen. Auch zwei weitere Kinder, die einer neuen Beziehung entstammen, werden ihr fortgenommen. Dennoch ist die Frau fest entschlossen, für ihr Mutter- und Familienglück zu kämpfen. Ein nach einem tatsächlichen Fall stark gefühlsbetont gestalteter Film, der weniger an einer Analyse des sozialen Umfelds und des persönlichen Hintergrunds interessiert ist als am Schicksal einer von ihrem Milieu gezeichneten Frau. Vor allem auch schauspielerisch beachtlich, wenn auch mitunter quälerisch auf die Spitze getrieben. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LADYBIRD, LADYBIRD
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Parallax (für Film Four International)
Regie
Ken Loach
Buch
Rona Munro
Kamera
Barry Ackroyd
Musik
George Fenton
Schnitt
Jonathan Morris
Darsteller
Crissy Rock (Maggie) · Vladimir Vega (Jorge) · Sandie La Velle (Mairead) · Mauricio Venegas (Adrian) · Ray Winstone (Simon)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
In einem Londoner Pub lernt Maggie den Exil-Chilenen Jorge kennen. Doch auf mehr als eine Einladung zum Bier will sich die Mittdreißigerin nicht einlassen, sie hat mit sich genug zu tun. Schließlich gilt es, ihre vier Kinder zu versorgen, die sie von vier verschiedenen Männern empfangen hat, und da ist ja auch noch Simon, ihr augenblicklicher Lebensgefährte. Unter den sozialen Gegebenheiten versucht Maggie, ihren Kindern eine gute Mutter zu sein. Sie organisiert die Familie, auch wenn es immer hektisch und laut zugeht, und erzieht die Kinder zu Selbständigkeit. Oft ist Simon eine Hilfe, doch dann gibt es auch Tage, an denen er einen über den Durst getrunken hat, und dann sind all seine Vorsätze wie weggewischt. Er schreit die Kinder an, verprügelt Maggie, tut ihr Gewalt an. Ihr Leben scheint ein Teufelskreis: prügelnde Männer kennt sie bereits aus dem Elternhaus, sexueller Mißbrauch durch den Vater hat sie so werden lassen, wie sie ist: äußerlich stark, unbeugsam, aufbrausend und aggressiv, innerlich schwach und zerbrechlich. Nachdem sie wieder einmal verprügelt wurde, flieht Maggie in ein Frauenhaus. Während ihrer Abwesenheit bricht eines Tases ein Feuer aus, die drei kleineren Kinder kommen mit dem Schrecken davon, doch ihr "großer Junge" erleidet schwere Verbrennungen. Jetzt sieht sich die Fürsorge-Behörde zum Eingreifen genötigt: sie entzieht der Mutter das Sorgerecht.

Maggie wendet sich dem sanften Jorge zu, der als Opfer von Folter auf seine Aufenthaltserlaubnis wartet. Sie ziehen in eine gemeinsame Wohnung und bauen eine zärtliche Beziehung auf. Bald ist Maggie wieder schwanger, und als ein Mädchen zur Welt kommt, scheint sich der Traum von der Familie zu erfüllen. Doch die Fürsorge ist hinter Maggie her. Einige Zeit gelingt es ihr, die Beamten hinzuhalten, dann erzwingen sie mit Polizeigewalt Einlaß und nehmen die Tochter mit. Eine Gerichtsverhandlung soll darüber befinden, ob Maggie ihre Mutterrolle zum Wohl des Kindes ausfüllen kann. Das Gericht stuft sie als unbelehrbar ein, ihr wird das Sorgerecht auch für dieses Kind entzogen. Depressionen und gesteigene Aggressivität sind die Folge, unter denen Jorge am meisten zu leiden hat. Er, der mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, wird für ihr Leid verantwortlich gemacht. Die Beziehung scheint dem Druck nicht mehr standhalten zu können, doch dann finden die beiden erneut zusammen. Das Ergebnis ist eine erneute Schwangerschaft und wiederum eine Tochter. Dieses Baby wird den beiden bereits im Krankenhaus abgenommen. Doch für Maggie steht fest, daß sie und Jorge eine Familie gründen werden - "und wenn es ein Leben lang dauert".

In der letzten Einstellung des Films sitzt Maggie im Wohn/immer, an der Wand sieht man die Bilder ihrer Kinder - ihren Traum von der Familie. Hin Insert informiert, daß dieser Traum doch noch wahr geworden ist: gemeinsam mit Jorge hat sie noch drei weitere Kinder bekommen, Kinder, für die ihnen das Sorgerecht zugesprochen wurde. Ihre sechs früheren Kindern hat Maggie allerdings nie wiedergesehen. Ken Loach ist seinem Grundsatz, "gewöhnliche Filme über gewöhnliche Menschen" zu machen, treu geblieben: einmal mehr zeigt er das Leben auf der britischen Insel aus der Sicht der kleinen, unterprivilegierten Leute. "Ladybird, Ladybird" beruht auf einem authentischen Fall, schildert das zähe Ringen um Mutter- und Familienglück, zeigt die Schwierigkeiten, der Stigmatisierung durch das Milieu zu entkommen, die Willkür eines über die Maßen fürsorglichen Wohlfahrtsstaates, dessen Vollzugsbeamte nicht nach der gelebten Wirklichkeit, sondern nach der Aktenlage urteilen.

Loach versucht keine Analyse der herrschenden Verhältnisse, sucht keine Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet Menschen, die in einer gewalttätigen Umgebung aufgewachsen sind, diese Gewalt oft zeitlebens anziehen. Es geht ihm in erster Linie um die Emotionalisierung seiner Zuschauer - und daran krankt der dementsprechend emontionsgeladene Film denn auch. Loach konzentriert sich ganz auf Maggie, der all seine Sympathien gehören. Er deutet zwar ihren labilen Charakter hin und wieder an, doch letztlich dominieren Stärke und Lebenswille seiner Hauptfigur, die trotz manch fragwürdiger Charaktereigenschaften in bezug auf ihre Kinder über jede Anfechtung erhaben erscheint. Loach baut eine Kämpferin für soziale und ausgleichende Gerechtigkeit auf, die freilich keine gesellschaftliche Veränderung anstrebt, sondern deren (Selbst-)Bewußtsein primär in ihrem Bauch wächst - das ist durchaus wörtlich zu nehmen.

Untersützt wird Loach dabei durch seine Hauptdarstellerin Crissy Rock, die sich ganz der Rolle des "Muttertiers" hingibt. Ein schauspielerischer "Parforce-Ritt", der über die Dauer des Films ganz schön an den Nerven zerrt. Depression und Hysterie wechseln einander ab, es wird geschrien und geweint, geschlagen, gewimmert, stumm an die Wand gestarrt. Doch in welcher emotionalen Verfassung auch immer, stets wird unbeirrbar der Kinderwunsch zum Ausdruck gebracht. Diese ambivalente Anlage der Hauptfigur erschwert dem Zuschauer die Anteilnahme, verschreckt ihn sogar das ein oder andere Mal. Und die Frage, die eigentlich hinter allem stehen müßte, wird bis zum Ende nicht befriedigend geklärt: Ist Maggie - im sozialen Sinn -wirklich eine gute Mutter, oder sind für sie die Kinder Selbstzweck, um ihrer eigenen Ausweglosigkeit zu entfliehen? Der Film hinterläßt einen eher zwiespältigen Eindruck. Man kommt sich überrumpelt vor, bleibt hilflos und ohne befriedigende Antworten zurück und weiß nicht so recht, ob man Maggies "Politik des Uterus" gutheißen soll.
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