Krimi | Großbritannien 2014 | Minuten

Regie: Tim Fywell

Eine Serienadaption der "Sidney Chambers"-Krimis von James Runcie um einen anglikanischen Priester, der in den 1950er-Jahren im Örtchen Grantchester eine Gemeinde betreut und zusammen mit einem Inspektor aus dem nahen Cambridge Verbrechen aufklärt. Dabei erinnert die Serie oberflächlich an "Father Brown", entwickelt sich aber übers Harmlos-Komödiantische hinaus und beschäftigt sich mit einer Gesellschaft, die noch tief gezeichnet ist von den Folgen des Zweiten Weltkriegs und in der allerlei Spannungen schwelen. Das betrifft die beiden Ermittler, die beide schwer an ihren Kriegstraumata tragen, und spielt auch in diversen Fällen eine Rolle, in denen es u.a. ums Verhältnis der Geschlechter, häusliche Gewalt, kirchlichen Missbrauch oder das Verhältnis der Protagonisten zur Todesstrafe geht. Dabei folgt sie zunächst einer "Ein Fall pro Folge"-Dramaturgie, legt für ihre Hauptfiguren und einige andere Figuren aber auch übergreifende Handlungsbögen an, was sowohl der Spannung als auch der Entwicklung der Figuren zuträglich ist. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GRANTCHESTER
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Lovely Day
Regie
Tim Fywell · Rob Evans · Edward Bennett · Harry Bradbeer · Jill Robertson
Buch
Daisy Coulam
Kamera
Kieran McGuigan · Julian Court · David Rom
Musik
John Lunn
Darsteller
James Norton (Sidney Chambers) · Robson Green (Geordie Keating) · Tessa Peake-Jones (Mrs. Maguire) · Al Weaver (Leonard Finch) · Morven Christie (Amanda Hopkins)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung | Serie

Heimkino

Verleih DVD
Edel Motion
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Diskussion

Staffel 1 & 2

An der Oberfläche ist Grantchester eine Idylle. Jene Art von nostalgieschwangerem, ländlichem „good old England“, wie man es aus „Father Brown“ und diversen anderen britischen Krimiserien in der „Miss Marple“-Tradition kennt, in denen man sich als Zuschauer darauf verlassen kann, dass Recht und Ordnung am Ende jeder Folge durch kompetente Ermittler so sicher wieder hergestellt werden wie das Amen in der Kirche. „Grantchester“ bricht nicht mit dieser Tradition, untergräbt sie aber subtil. Feel-Good-Ingredienzien à la „Father Brown“ – postkartenschöne, meist in warm-goldenem Licht erstrahlende südenglische Schauplätze, liebenswert-kauzige Nebenfiguren, retro-stylische 1950er-Jahre-Ausstattung – werden kontrastiert mit thematischen Widerhaken, die die Idylle immer wieder stören und „Grantchester“ mehr zur packenden Drama-Serie als zum harmlosen Krimi-Vergnügen machen.

Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Serie ihre zeitliche Verortung ernst nimmt. In Daisy Coulams Adaption der „Sidney Chambers Mysteries“, einer zwischen 2012 und 2017 erschienen Romanreihe des Autors James Runcie (Sohn des Kirchenmannes und Erzbischofs von Canterbury Robert Runcie) fällt immer wieder der Schatten des noch nicht fernen Zweiten Weltkriegs auf das Geschehen.

Der Versuch, die Welt ein Stück heiler zu machen

Zwar mögen die Spuren der Verheerung an den Hauptschauplätzen, im Örtchen Grantchester und der nahen Universitätsstadt Cambridge, nicht so sichtbar sein wie in der Hauptstadt London. Doch diejenigen, die den Krieg hautnah erlebt haben, tragen ihn noch in sich. Wie der anglikanische Priester Sidney Chambers (James Norton), die Hauptfigur der Serie. Vor dem Antritt seiner Pfarrstelle in Grantchester war Sidney Soldat und kämpfte gegen die Deutschen; was er dabei erlebt hat, verfolgt ihn noch in Albträumen. Detective Inspektor Geordie Keating (Robson Green), der zu Sidneys „Partner in Crime“ wird und ihn immer wieder in seine Ermittlungen involviert, geht es ähnlich – was mit dazu beiträgt, dass die beiden ein tiefes Verständnis füreinander entwickeln und Freunde werden, obwohl sie sowohl vom Alter, den Lebensumständen als auch der Weltanschauung her ziemlich unterschiedlich sind.

Die Versuche, durch ihre detektivische Arbeit die Welt ein Stück heiler zu machen, sind auch ein Stück weit Kompensation für jene Dinge, die im Krieg passiert sind und die sie nicht mehr gutmachen können. Ein Ruhigstellen der inneren Dämonen - ähnlich wie der ausgiebige Alkoholkonsum, ein Laster, das beide teilen. 

Ein 1950er-Jahre-Setting, in dem die Hefe gesellschaftlicher Veränderung gärt

Auch die Fälle, mit denen es die beiden im Lauf der Serie zu tun bekommen, führen immer mal wieder zurück in den Krieg und zu dem Erbe von Hass und Gewalt, das er hinterlassen hat. Und sie zeigen die 1950er-Jahre, trotz aller äußerlichen Freude am entsprechenden Mid-Century-Style, als Zeit, in der hinter scheinbar noch stabilen gesellschaftlichen Rollenbildern schon leise die Hefe gesellschaftlicher Veränderung gärt. Das betrifft nicht zuletzt das Verhältnis der Geschlechter, das immer wieder eine wesentliche Rolle spielt – bei diversen Verbrechen, die Themen wie häusliche Gewalt, voreheliche Schwangerschaft, Missbrauch etc. anschneiden, aber auch im Privatleben der Ermittler, das schon von Staffel 1 an neben einer „Ein Fall pro Folge“-Dramaturgie Stoff für übergreifende Handlungsbögen liefert, die dann im Lauf der Serie schnell an Bedeutung gewinnen. Dabei geht es zum Beispiel um Sidneys komplexe Beziehung zu seiner alten Freundin und Geliebten Amanda (Morven Christie), die er wegen des Standesunterschieds – Amanda ist eine elegante Oberschichts-Dame – nicht um die Ehe bittet, von der er aber auch nach ihrer Hochzeit mit einer „guten Partie“ genauso wenig lassen kann wie sie von ihm.

Auch wenn sich Sidney und Geordie als „Dream Team“ erweisen, wenn es darum geht, die Wahrheit hinter zunächst rätselhaften Verbrechen zu ergründen, bleibt die Serie bisweilen bewusst sowohl ihren Hauptfiguren als auch den Zuschauern die Befriedigung schuldig, die die Aufklärung in herkömmlichen Krimis immer mit sich bringt. Denn Fakten aufzudecken ist eine Sache, Gerechtigkeit herzustellen eine ganz andere – wie in Staffel 2 beispielhaft an einem über mehrere Folgen entwickelten Fall gezeigt wird, in dem ein junger Mann der Tötung einer Freundin überführt und dann wegen Mordes vor Gericht gestellt wird, obwohl die Tat, wie Sidney glaubt, ein Unfall war. Eine Affäre, die ganz Grantchester und sogar Sidney und Geordie zu spalten droht. Wirklich gute Enden sind nach Gewaltverbrechen eben schwerlich möglich. Am Ende der Episoden von „Grantchester“ steht immer eine Szene, in der Sidney in der Kirche vor seiner Gemeinde versucht, in seiner Predigt das Geschehene in verallgemeinerter Form in den Kontext seines Glaubens zu stellen – anders könnte er wohl manchmal nur verzweifeln.

Staffel 3

In einer seiner Predigten spricht Sidney Chambers (James Norton) vom „Krieg zwischen dem Geist und dem Fleisch“, dem Kampf zwischen Pflichten und Begierden, der in jedem Menschen tobe, und warnt seine Gemeinde wortreich vor der Versuchung. Es ist nicht gerade Sidneys überzeugendste Predigt – weil man ahnt, dass der junge Priester vor allem zu sich selbst spricht, angesichts einer sehr konkreten Versuchung namens Amanda (Morven Christie), die vor ihm in der Kirchenbank sitzt und deutlich signalisiert, was sie von seiner Moralpredigt hält.

Sie und Sidney verbindet eine lange gewachsene Zuneigung. Aus Standesgründen hat Amanda einst einen anderen Mann geheiratet und ein Kind mit ihm bekommen, doch mittlerweile lebt sie in Trennung, steht finanziell auf eigenen Beinen und ist bereit, mit ihrer großen Liebe Sidney ein neues Leben zu beginnen. Der anglikanische Priester befindet sich allerdings in einem Dilemma: Er erwidert Amandas Gefühle, doch ist ihm in den 1950er-Jahren eine offizielle Verbindung mit einer demnächst geschiedenen Frau nicht erlaubt – woran ihn der Erzdiakon höchstselbst erinnert, als er von der Affäre Wind bekommt.

Ein moralisches Dilemma

Dieses Dilemma auf ein einfaches Gut-Böse-Schema von Pflicht versus Begierde herunterzubrechen, wie Sidney es in seiner Predigt indirekt versucht, ist allerdings viel zu einfach und wird weder Amanda noch ihm gerecht. Sidney weiß das auch und hadert mit seinen Optionen: Weder will er seine Loyalität zu Amanda und ihrem Kind aufkündigen, für das er längst ein Ersatzvater ist, noch auf seine Berufung verzichten und nicht mehr für die Menschen in der südenglischen Gemeinde da sein. Doch es liegt auch nicht in seiner Macht, die Kirche und die gesellschaftlichen Vorstellungen zu ändern, die ihm verbieten, beides miteinander zu vereinen.

Staffel 3 der auf den „Sidney Chambers“-Romanen von James Runcie beruhenden Krimi-Serie rückt, wie schon Staffel 2, parallel zu den „Ein Fall pro Folge“-Mordfällen übergreifende Dramen ins Zentrum. Dabei geht es immer wieder ums moralische Klima der „Mid-Century“-Ära und speziell um die Haltung zu Ehe, Liebe und Sexualität – und ums Vorbeben der gesellschaftlichen Veränderungen, die in den späten 1960er-Jahren die (Geschlechter-)Verhältnisse durchrütteln werden.

Wenn die Versuchung wie eine Pflicht aussieht

Neben Sidney sind davon auch die anderen Hauptfiguren der Serie betroffen, vom Polizisten Geordie (Robson Green), der sich auf eine außereheliche Affäre eingelassen hat, bis zum homosexuellen Kaplan Leonard (Al Weaver): Sie alle geraten in „Versuchung“, wobei diese mitunter sogar wie ein vernünftiges Zugeständnis an die Pflicht aussehen kann – wenn Leonard sich auf das Liebeswerben einer jungen Frau einlässt, die ihm die Option eröffnet, sich vor seinen eigenen Gefühlen in den kirchlich-gesellschaftlich anerkannten Hafen der Ehe zu flüchten.

Auch in Staffel 3 gelingt es den Drehbuchautoren geschickt, in der Ausmalung dieser Wirren zwischen Melodramatischem und Tragikomischem zu changieren und nebenbei die Spannungsmomente nicht zu kurz kommen zu lassen. Die Verbrechen, die Sidney und Geordie aufzuklären haben – vom Banküberfall bis zum Gift-Anschlag beim Cricket-Match, von der Kindsentführung bis zur Blutrache – sind so konstruiert, dass sie dieses Zeitbild spannungsvoll erweitern. Immer wieder geht es dabei um gesellschaftliche Schieflagen wie die Missachtung von Frauen bzw. das subkutane Gewaltpotenzial eines rigide geordneten sozialen Kosmos, der alles irgendwie „Andersartige“ – seien es Personen anderer Hautfarbe, seien es Behinderte – und Rebellionen gegen bestehende Rollenbilder streng sanktioniert. Und es geht um eine tief verwurzelte Bigotterie, die dazu führt, dass mancher im Zweifelsfall lieber tötet, anstatt unliebsamen oder schambesetzten Wahrheiten ins Auge zu blicken.

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