Snake Eyes

Drama | USA 1993 | 107 Minuten

Regie: Abel Ferrara

In seiner Arbeit an einem Film über den Psychokrieg zweier Ehepartner zieht ein Regisseur die Bilanz seines eigenen Lebens und der Schuld, die er durch seine Untreue gegenüber seiner Frau auf sich geladen hat. Der Versuch, durch ein Geständnis die Situation zu bereinigen, scheitert. Ein vielschichtiger, auf einer komplexen Struktur thematischer Spiegelungen aufgebauter Film, der das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit und religiöse Grundfragen nach der Wahrheit, nach Schuld und Erlösung in anspruchsvoller Weise vermittelt.
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Filmdaten

Originaltitel
SNAKE EYES
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Maverick/Eye/PentAmerica
Regie
Abel Ferrara
Buch
Abel Ferrara · Nicholas St. John
Kamera
Ken Kelsch
Musik
Joe Delia
Schnitt
Anthony Redman
Darsteller
Harvey Keitel (Eddie Israel) · Madonna (Sarah Jennings/Claire) · James Russo (Frank Burns/Russell) · Nancy Ferrara (Madlyn Israel) · Reilly Murphy (Tommy Israel)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18 (Video)
Genre
Drama
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Diskussion
Der Filmregisseur Eddie Israel verläßt seine Frau Madlin und seinen Sohn Tommy in New York, um die Proben für seine neue Produktion in Los Angeles aufzunehmen. Der Film "Mother of Mirrors" handelt von einem Ehepaar, das gemeinsam ein ausschweifendes Leben mit wechselnden Sexualpartnern und unbegrenztem Drogenkonsum geführt hat, bis die Frau, Claire, eine religiöse Wandlung erfahren und dem alten Leben abgeschworen hat, was zu zermürbenden Zimmerschlachten mit ihrem gewalttätigen Mann Russell führt. Die Probengespräche, in grobkörnigen Videobildern festgehalten, vermitteln Deutungen des zentralen Konflikts und der Charaktere, die in den übergangslos eingeschnittenen Szenen des fertigen Films konkrete Gestalt gewinnen. Schnell zeigt sich, daß sich in den dargestellten Szenen auch reale Spannungen widerspiegeln. Der Darsteller des Ehemannes, Frank, hat eine sexuelle Beziehung zur Hauptdarstellerin Sarah, die zwar nicht durch eine religiöse Erfahrung auf Distanz zu ihm gegangen ist, aber eine hochmütige Haltung an den Tag legt, die ihn nicht weniger herausfordert als die religiös motivierte konsequente Haltung der Filmfigur. Eddie, der Regisseur selbst, hat mit seiner Darstellerin ein Verhältnis. Seine Frau Madlyn, die ihm nachreist, überrascht ihn in seinem Hotelzimmer, als die Geliebte ihn gerade verlassen hat. Eddie versucht, die Beziehung zu ihr, die Züge der "madonnenhaften" Filmfigur hat, wieder ins Lot zu bringen, was ihm jedoch nicht gelingt. Die plötzliche Meldung vom Tod ihres Vaters ruft Madlyn nach New York zurück, wenig später folgt ihr Eddie. Die Beschäftigung mit dem Film hat ihn offenbar so weit gebracht, daß er nun auch Ordnung in sein eigenes Leben zu bringen versucht. Um sich seiner Schuldgefühle zu entledigen, gesteht er seine Seitensprünge. Sichtlich getroffen, weist seine Frau ihn schroff zurück. Zur Arbeit zurückgekehrt, wird Eddie von Schuldgefühlen und Visionen seiner ihn mit Haß verfolgenden Frau gequält. Auch läßt er sich auf neue sexuelle Abenteuer mit Zufallsbekanntschaften ein. Die letzte Szene seines Films "Mother of Mirrors" zeigt auch, daß es keine Lösung für den Konflikt gibt; der Ehemann setzt seiner Frau einen Revolver an die Stirn und drückt ab.

Der Hinweis auf die Produktionsfirma "Maverick Entertainment" könnte auf den ersten Blick Bedenken wecken, ist doch die Pop-Ikone Madonna zusammen mit ihrem Manager Freddy DeMann Geschäftsführerin in diesem Unternehmen. Wenn sie dazu noch im ersten Filmprojekt der Firma die weibliche Hauptrolle übernimmt, könnte man ein Star-Vehikel vermuten. Aber genau diese Erwartung trifft nicht zu: Madonna zeigt die vielleicht beste Leistung ihrer schauspielerischen Karriere und ordnet sich ganz einem Projekt unter, das durch und durch die Handschrift von Abel Ferrara trägt und in dem "Bad Lieutenant" (fd 30 227) Harvey Keitel wieder die alles dominierende Rolle spielt. Inhaltlich setzt der Film die Reflexion über Schuld und Erlösung auf einem Niveau fort, das Ferrara in "Bad Lieutenant" erreicht hatte. "Snake Eyes" ist jedoch strukturell und ästhetisch ein ganz anderer Film, auch wenn ihn in der schonungslosen Offenlegung menschlicher Neigungen zur Gewalttätigkeit eine ebenso radikale Grundhaltung prägt. Am deutlichsten zeigt sich dies in einer besonders harten Schlüsselszene einer inszenierten Vergewaltigung, die in eine echte Vergewaltigung umkippt. Während "Bad Lieutenant" seine Erlösungsgeschichte gradlinig entwickelt, ist "Snake Eyes" weniger vom Fortgang der Handlung als von der thematischen Entwicklung her und über den Dialog gestaltet. Der schnelle und oft unvermittelte Wechsel der verschiedenen Ebenen der Realität und Fiktion (Szenen des Privatlebens, Probengespräche, Szenen des fertigen Films) entwickelt die Themen in komplexen Spiegelungen und Brechungen ("Mother of Mirrors" -"Mutter der Spiegel" heißt Eddie Israels Filmprojekt!). Die Reflexion über das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit wirkt wie eine Zwischenbilanz des Regisseurs Ferrara. Mit der Hauptfigur des in Zweifeln an seiner Arbeit und an seinem Leben verstrickten Regisseurs hat er einen Charakter geschaffen, der - wenn auch ein ganz anderer Typ - in eine Reihe mit Fellinis Guido Anselmi ("Achteinhalb", 1962; fd 11 996) oder Woody Allens Sandy Bates ("Stardust Memories", 1980, fd 22 755) zu stellen ist. "Dieser Film taucht tief in die Welt hinter den Kulissen der modernen amerikanischen Filmindustrie ein und zeigt, wieviel es wirklich kostet, heutzutage einen Film zu drehen", wird Ferrara im Presseheft zitiert. Es geht aber nicht um einen Blick hinter die Kulissen. Der Psychokrieg der Eheleute, den der Regisseur Eddie Israel im Film inszeniert, ist nicht nur eine exemplarische Darstellung des Wertekonflikts in der amerikanischen Gesellschaft zwischen exzessivem Konsum und idealistischer Askese, sondern ein geradezu allegorischer Kampf zwischen Gut und Böse, "ein Streit zwischen Himmel und Hölle um den richtigen Weg", wie Eddie es seinen Darstellern erklärt. Russell, der Ehemann in "Mother of Mirrors", verkörpert das Verlangen nach unmittelbarer Triebbefriedigung: Sex. Alkohol, Drogen, Gewalt, emotionale Explosionen bestimmen sein Leben, und er verteidigt dies gegen die durch seine Frau Claire verkörperte "Heiligmäßigkeit". Er wirft ihr vor, ihre religiöse Läuterung sei geheuchelt und sein Lebensstil genauso wahr und authentisch wie der, den sie angeblich verfolge. In den Probengesprächen Eddies mit seinen Darstellern und in den ausgeführten Szenen werden die Themen explizit angerissen: die Entscheidung für einen Lebensweg, die Wahrheit eines Lebensstils, die Frage nach der Existenz Gottes, die Erfahrung der Verlassenheit, die Lüge des amerikanischen Traums vom unbegrenzten Konsum usw. Die Erfahrung, die sich darin spiegelt, ist nicht unähnlich der der seelischen Hölle, die der "Bad Lieutenant" erfahren mußte. In der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach Erlösung und Gnade wird Ferrara in "Snake Eyes" bedeutend skeptischer: Eddie Israel - der in den Stabangaben den Namen des auserwählten Volkes Gottes trägt, auch wenn er im Film selbst nur bei seinem Vornamen gerufen wird - sucht auch Erlösung. Er schafft es aber nicht, durch ein offenes Geständnis seiner Schuld alles zu bereinigen, denn seine Frau ist in ihrer Verletztheit zu keiner Geste der Vergebung fähig. Als Zeichen seiner Unfähigkeit zu einer echten Umkehr oder als Ausdruck der Resignation mag man deuten, daß er schon auf dem Rückflug alle Versprechen einer Besserung hinter sich läßt und mit einer Stewardess schläft, die er zufällig kennengelernt hat. Die Arbeit an seinem Film ist für Eddie ein Versuch, die Fragen, die ihn in seinem Innersten umhertreiben, für sich zu lösen. Wie in "Bad Lieutenant" fällt am Ende ein Schuß, und ein Leben wird ausgelöscht, während im ersten Film aber die Gewißheit zum Tragen kommt, daß Gottes Gnade auch ein verfahrenes Leben noch retten kann, bleiben in "Snake Eyes" Zweifel an der Existenz Gottes und Möglichkeit der Umkehr am Schluß bestehen. "Snake Eyes" ist keine einfache Kost, aber wenn man sich darauf einläßt, wird der Film in seiner Vielschichtigkeit spannend und anregend.
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