Die Staatsfeinde - Kalter Krieg und alte Nazis

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 72 Minuten

Regie: Daniel Burkholz

In den 1950er-Jahren begehrten in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Menschen, von ihren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt, gegen die Remilitarisierung auf. Etliche Aufrüstungsgegner, darunter viele Kommunisten, kamen deshalb auch vor Gericht, wo sie sich oft Justizvertretern gegenübersahen, die schon in der NS-Zeit Karriere gemacht hatten. Der konzentrierte Dokumentarfilm befragt Frauen und Männer, die wegen ihrer pazifistischen Einstellung damals von der Justiz verfolgt wurden, und gewinnt durch ihre Erinnerungen große Eindrücklichkeit. Hinzu kommen Einschätzungen von Historikern, die verklärte Vorstellungen über die frühe BRD als Mythos enttarnen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Roadside Dokumentarfilm
Regie
Daniel Burkholz · Sybille Fezer
Buch
Daniel Burkholz
Kamera
Daniel Burkholz · Ruzbeh Sadeghi · Lilli C. Thalgott
Musik
Herbert Wils
Schnitt
Jan-Malte Enning
Länge
72 Minuten
Kinostart
01.03.2020
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Ein Dokumentarfilm über Frauen und Männer, die in den 1950er-Jahren wegen ihrer pazifistischen Einstellung in der Bundesrepublik vor Gericht kamen und sich vielfach Justizvertretern mit NS-Vergangenheit gegenübersahen.

Diskussion

„Wir wollten nie wieder eine Armee. Wir wollten nie wieder Krieg. Adenauer hat uns einfach überrollt.“ So erinnerte sich die 1923 geborene Mutter des Regisseurs Daniel Burkholz an die Frühgeschichte der Bundesrepublik und ihr eigenes politisches Engagement – eine Reminiszenz, die für den Sohn, Jahrgang 1963, gleichsam zur Initialzündung für seine filmischen Untersuchungen wurde. In „Verboten – verfolgt – vergessen“ (2012) porträtierte er eine Reihe von Männern und Frauen, die sich in der Adenauer-Zeit gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht und für eine Verständigung mit der DDR einsetzten und dafür zum Teil drastische Strafen erhielten. „Die Staatsfeinde – Kalter Krieg und alte Nazis“ setzt diese Recherche nun fort, befragt einstige kommunistische Aufrüstungsgegner in der alten Bundesrepublik nach ihren Erfahrungen und begleitet deren Aussagen durch Statements kundiger Historiker.

Beide Filme tragen dazu bei, das gern gepflegte Bild der Bundesrepublik als ungebrochener Hort der Demokratie zu hinterfragen und auch die dunkleren Seiten der Erfolgsgeschichte zu beleuchten. Dabei sind die Filme nicht nur als nachholende Fußnoten zu einem vermeintlich längst abgeschlossenen historischen Kapitel interessant, sondern können auch zur Beantwortung aktueller Fragen herangezogen werden. Im Licht der von Burkholz recherchierten Beispiele überrascht die unlängst diskutierte „Enthüllung“, dass der „Berlinale“-Gründungsdirektor Alfred Bauer vor 1945 ein strammer NS-Bürokrat war, durchaus nicht mehr: Waren doch zahlreiche Honoratioren der BRD, und zwar bis in höchste Regierungsämter, zuvor in die Machtstrukturen des „Dritten Reiches“ verwickelt.

Konzentration aufs Wesentliche

Der Film besteht hauptsächlich aus Interviews, in die Originalfotos und Wochenschauszenen aus den 1950er-Jahren einmontiert sind. Keine formalen Spielereien, kein Reenactment; stattdessen Konzentration aufs Wesentliche, auf Gesichter, Gesten, auch Momente der Stille, der Trauer, der Besinnung. Zu Wort kommen Frauen und Männer, die sich, wie Burkholz’ Mutter, nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges geschworen hatten, in der BRD nie wieder Krieg und deshalb auch keine Remilitarisierung zuzulassen. Deswegen galten sie als Feinde. Und: „Die militärische Wiederbewaffnung wurde von einer Aufrüstung im Gerichtssaal begleitet“, wie der Historiker Robert Steigerwald vor der Kamera sagt, der letzte Zeitzeuge des KPD-Verbotsprozesses von 1956.

Gegner der Aufrüstungspolitik, die der Kommunistischen Partei oder der in der Bundesrepublik verbotenen Jugendorganisation FDJ nahestanden, sahen sich vor Gericht mit Justizbeamten konfrontiert, die schon unter Hitler praktiziert hatten und ihr in zwölf Jahren „Drittes Reich“ fest verankertes Gedankengut nun neu ausleben durften. Die linken Pazifisten, auch Sozialdemokraten und Kirchenleute, waren für sie schlichtweg Umstürzler, ihre Friedenssehnsucht ein Sakrileg.

Ermittlungsverfahren gegen 200.000 Personen

Der Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Rolf Gössner spricht im Film von Ermittlungsverfahren gegen rund 200.000 Personen, denen Geheimbündelei und Staatsgefährdung vorgeworfen wurde. Jedes 20. Verfahren endete mit einem Urteil. Damit verbunden waren Observationen, Lauschangriffe, monatelange Isolationshaft, Berufsverbote – und Renteneinbußen bis zum heutigen Tag. Gössner: „Das war mit bürgerrechtlichen Maßstäben kaum noch zu vereinbaren. Es war politisch motiviertes Unrecht, das die politische Kultur in der jungen Bundesrepublik nachhaltig beeinflusste – mit lang anhaltenden Folgen bis hin zum NSU.“ Rosemarie Stiffel von der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer der Verfolgung, resümiert: „Der Unrechtsstaat ist nur die DDR. Was hier geschehen ist, ist unbekannt.“

Die nicht so neue Erkenntnis, dass der Kalte Krieg keineswegs nur von einer Seite aus geführt wurde, belegt der Film mit Beispielen von Betroffenen, deren Erinnerungen vor der Kamera vielleicht die eindrücklichsten Passagen in „Die Staatsfeinde“ sind. Alte Menschen blättern in Briefen, Akten, Fotos, erinnern sich der Solidarität, die ihnen damals Halt und Hoffnung gab, und stimmen auch noch einmal alte Lieder an. Das Unrecht, das ihnen in der politisch aufgeheizten Atmosphäre der frühen Adenauer-Ära widerfuhr, ist nicht vergessen. Sie am Ende ihres Lebens noch mit der Kamera begleitet und sie befragt zu haben, ist ein Baustein auf dem Weg zur historischen Wahrheit.

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