Anton Bruckner - Das verkannte Genie

Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 97 (TV auch: 55) Minuten

Regie: Reiner E. Moritz

Der österreichische Komponist Anton Bruckner (1824-1896) schuf als Vertreter der Romantik vor allem in den Bereichen der Sinfonik und geistlichen Musik bahnbrechende Werke. Zu seinen Lebzeiten wurde er jedoch angefeindet und galt als exzentrischer Sonderling. Der musikhistorische Dokumentarfilm will dieses Bild geraderücken und lässt Bruckner-Experten und renommierte Dirigenten Leben und Arbeit des Künstlers aufschlüsseln und würdigen. Visuell wenig ehrgeizig, aber seriös, vielschichtig und kenntnisreich, bietet er eine intelligente Annäherung an Anton Bruckner mit guten Musikbeispielen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Monarda Arts/Arthaus Musik/BR Klassik
Regie
Reiner E. Moritz
Buch
Reiner E. Moritz
Kamera
Danny Zober · Ludwig Hart · Christoph Ainedter · Dominique Crespel
Schnitt
Dirk Seliger
Länge
97 (TV auch: 55) Minuten
Kinostart
23.07.2020
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Künstlerporträt
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Heimkino

Verleih DVD
375 Media
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Musikhistorischer Dokumentarfilm über den österreichischen Komponisten Anton Bruckner (1824-1896), der das Bild des vor allem zu Lebzeiten vielgeschmähten Musikers geraderückt.

Diskussion

Machtvoll steigt der Klang der Streicher und Bläser in die Höhe und füllt die Stiftsbasilika Mariä Himmelfahrt von St. Florian. Der treibende, marschartige Fortissimo-Rhythmus des Scherzos von Anton Bruckners 9. Sinfonie entfaltet seine ganze Wucht und illustriert vortrefflich, was im Film später über den Komponisten gesagt wird: „Bruckner kann alles suggerieren... Es kann der Eindruck eines Universums entstehen.“ Und, über die Folge seiner langjährigen Erfahrung als Orgelspieler auf seine Orchesterkompositionen: „In den Klangvorstellungen von Bruckner ist der große Innenraum immer mit komponiert.“

Den großen Innenräumen stehen freilich auch viele unscheinbare bis beengte Gebäude gegenüber, die im Leben von Anton Bruckner ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Ihr gemeinsames Merkmal sind die Gedenktafeln an ihren Außenseiten, die daran erinnern, dass in ihnen eine Berühmtheit geboren, erzogen, geprüft, gedemütigt und geehrt wurde, arbeitete, litt, triumphierte und starb.

Auf diese Weise ließe sich auch Bruckners Lebensweg fast lückenlos rekonstruieren, doch im Dokumentarfilm „Anton Bruckner – Das verkannte Genie“ scheinen diese Formen der Erinnerung und Würdigung vor allem deshalb so reichlich ins Bild gerückt zu werden, um die Grenzen des in Stein gemeißelten Gedenkens aufzuzeigen. Denn weder tritt in diesem ein dreidimensionales menschliches Wesen hervor, noch vermittelt es etwas vom Zauber dessen, was bei einem Komponisten wie Anton Bruckner das Wichtigste ist: Die Musik.

Musikalisch innovativ, aber oft missverstanden

Den Film von Reiner E. Moritz prägt dagegen die Absicht, Informationen und musikalische Beispiele im Gleichgewicht zu halten, um aus beidem das Persönlichkeitsbild des Komponisten zu malen. Hinzu kommt eine bereits zu Beginn eindeutig benannte These, an der sich im Folgenden alle zu Wort kommenden Stimmen abarbeiten: Bruckner als musikalisch innovativer, gerade deshalb aber lebenslang unterschätzter und falsch verstandener Künstler, dem auch die Nachwelt nicht die gebührende Anerkennung zuteilwerden ließ. Das entfernt sich nicht allzu weit von gängigen Deutungen des Romantikers aus Oberösterreich, verleiht dem Film aber ein ausreichendes Spannungsfeld, in dem sich der Musikwissenschaftler und erfahrene Künstlerbiograf Moritz an Bruckners Leben und Werk entlang bewegen und den Einfluss des einen auf das andere zeigen kann.

Seriosität und Informationsgehalt stehen für Moritz an erster Stelle, weshalb musikwissenschaftliche Kenner und ausgewiesene Bruckner-Experten am ausführlichsten zu Wort kommen. Die Jugend mit den nicht nur musikalisch prägenden Jahren bei den St. Florianer Sängerknaben schildert überwiegend der heute künstlerische Leiter des Stiftchors, Franz Farnberger; über Bruckners Erfolge als Orgelvirtuose, die lange Zeit seine Bekanntheit als Komponist überstiegen, berichtet der Organist Bernhard Prammer; den größten Teil der übrigen Lebensstationen deckt die Bruckner-Biografin Elisabeth Maier ab.

Ihre Beiträge sind zwar überwiegend sachlich-trocken und greifen einiges auch nur stichwortartig auf. Doch dem Regisseur gelingt es, aus ihren Berichten eindrückliche Aussagen zu ziehen, die gerade Bruckners musikalische Bedeutung untermauern. Etwa die plastische Schilderung, wie Bruckner als Orgel-Improvisator brillierte, aber Bach und Mendelssohn nicht öffentlich zu interpretieren verstand, sodass ihm in der Wiener Hofburgkapelle die Begleitung von Gottesdiensten untersagt wurde. Oder Aussagen zu seinem Verständnis der Musik als Wissenschaft, was ihn die letztlich verliehene Ehrendoktorwürde höher habe schätzen lassen als Auszeichnungen durch den Kaiser.

Auch für interessierte Einsteiger

Indem Reiner E. Moritz Bruckners Leben und Oeuvre chronologisch und umfassend aufarbeitet, bietet sich sein Film durchaus auch interessierten Einsteigern an, obgleich man besser schon einmal von zeitzentralen Begriffen wie der „Neudeutschen Schule“ und ihrer vom Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick betriebenen Schmähung gehört haben sollte. Auszüge aus den zeitgenössischen Rezeptionen von Bruckners Musik, insbesondere seiner Sinfonien, dienen Moritz als auflockernde Intermezzi, die vom österreichischen Schauspieler Cornelius Obonya vorgetragen werden – wobei neben harschen Verrissen auch einige bemerkenswerte Lobeshymnen stehen.

Obonyas Einsätze verschaffen dem redlichen, aber auch etwas verkopften Film ein wenig Kurzweiligkeit, ähnlich wie die Beiträge von berühmten Musikpraktikern. Während sich der Auftritt von Simon Rattle auf einen einzigen Satz beschränkt, mischen seine Dirigenten-Kollegen Kent Nagano und Valery Gergiev ausführlicher mit. Naganos knappe Statements zu Bruckners Musik („Was heißt Moderne? Bei Bruckner spürt man Originalität!“) bringen salopper auf den Punkt, was bei den Musikexperten mit weniger Öffentlichkeitserfahrung etwas gedrechselt klingt, während Gergiev vor allem die Radikalität der Sinfonien anreißt – jener Werke, auf denen Bruckners Ruhm in erster Linie gründet und die ihn zum wohl bedeutendsten Komponisten dieser Gattung nach und neben Beethoven machten.

Der ganze Reichtum von Bruckners Sinfonien

Als Zeuge davon, wie Gergiev alle Sinfonien als Zyklus mit den Münchner Philharmonikern einspielt, kann der Film mit ausgezeichneten Musikbeispielen der Orchesterwerke aufwarten, während Bruckners geistliche Musik und Chorwerke solide von diversen Chören interpretiert werden. Diese werden zwar allesamt nur angespielt, sind aber der wesentliche Grund, warum sich der Film für einen Kinoeinsatz empfiehlt (eine angemessene Tonanlage vorausgesetzt).

Visuell verrät Moritz dagegen wenig Ehrgeiz. Das Äußerste an Kamera-Aufwand sind Schwenks von Kirchendecken in Kircheninnenräume. Alle Interviews finden im selben Stil vor einschlägigem Hintergrund (Bücherwände, Notenständer, Orgel usw.) statt. Das dient zwar zweifellos der Konzentration auf die vorgestellte Persönlichkeit, verbindet „Anton Bruckner – Das verkannte Genie“ aber mehr mit dem Bereich des intelligenten Bildungsfernsehens oder einer museal-institutionellen Auswertung als mit der Strahlkraft der großen Leinwand.

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