Drama | USA 2020 | Minuten

Regie: Morten Tyldum

Ein Teenager wird erstochen; in Verdacht gerät ein Mitschüler des Toten, dessen Vater als Staatsanwalt mit den Ermittlungen in dem Fall zu tun hat. Für dessen Familie wird die Situation zur quälenden Zerreißprobe: Obwohl der Junge seine Unschuld beteuert, scheinen Indizien den Verdacht gegen ihn zu erhärten. Das öffentliche Aufsehen, dass der Fall erregt, sorgt für massiven äußeren Druck - der noch größer wird, als ans Licht kommt, dass die Familie bereits ein "schwarzes Schaf" hat und der Vater des Staatsanwalts eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung und Mord abbüßt. Den Eltern stellt sich schließlich die Frage, wie weit ihr Vertrauen in ihren Sohn geht. Eine Krimi-Miniserie nach William Langays Justizthriller "Verschwiegen", die nicht nur als clever und wendungsreich aufgebauter "Whodunit" um die Frage, ob der Junge den Mord tatsächlich begangen hat, bis zum Ende in Atem hält, sondern primär als einfühlsames, von starken Darstellern getragenes Familiendrama überzeugt, in dem Liebe und Vertrauen in einer Mutter-Vater-Kind-Konstallation angesichts nagender Zweifel und der Unfähigkeit, offen miteinander zu sprechen, zu zerbrechen drohen. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
DEFENDING JACOB
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Anonymous Content/Paramount Television
Regie
Morten Tyldum
Buch
Mark Bomback
Kamera
Jonathan Freeman
Musik
Atli Örvarsson
Schnitt
Tanya M. Swerling · Tom Wilson
Darsteller
Jaeden Martell (Jacob Barber) · Chris Evans (Andy Barber) · Michelle Dockery (Laurie Barber) · Pablo Schreiber (Neal Logiudice) · Betty Gabriel (Paula Duffy)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Krimi | Literaturverfilmung | Serie

Eine Krimi-Miniserie nach William Langays Justizthriller "Verschwiegen": Ein Teenager wird beschuldigt, einen Mitschüler erstochen zu haben. Seine Familie stellt der innere und äußere Druck des Verdachts auf eine qualvolle Zerreißprobe.

Diskussion

Niemand wird durch seine Erbanlagen zum Mörder. Zwar gibt es genetische Besonderheiten, die zum Beispiel die Impulskontrolle betreffen und bei Gewaltverbrechern häufiger vorkommen als beim Durchschnitt der Bevölkerung; diese genetischen Anlagen sind aber nur Risikofaktoren und spielen bei juristischen Verurteilungen keine Rolle als Beweis-Material. Das weiß Andy Barber (Chris Evans) als Staatsanwalt natürlich. Er weiß aber auch, dass im Prozess gegen seinen Sohn Jacob (Jaeden Martell), der beschuldigt wird, einen Klassenkameraden auf dem Schulweg erstochen zu haben, das „Mörder-Gen“ nichtsdestotrotz zur Sprache kommen und die Meinung der Geschworenen negativ beeinflussen könnte.

Ein dunkles Familiengeheimnis

Für Barber ist ein Albtraum. Mit seinem kriminellen Vater, der eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Vergewaltigung und Mord abbüßt (von J.K. Simmons mit einer bösartigen Dominanz gespielt), hat der Jurist schon vor langer Zeit gebrochen und sich als Gesetzeshüter und liebevoller Vater und Ehemann eine Muster-Existenz aufgebaut. Den „Schandfleck“ in der Familiengeschichte hatte er bisher sogar vor seiner Ehefrau Laurie (Michelle Dockery) geheim gehalten. Doch nun droht ihn das Verdrängte einzuholen, denn es ist abzusehen, dass sowohl für den ermittelnden Staatsanwalt als auch für die Presse der gewalttätige Großvater von Jacob ein gefundenes Fressen ist.

Barber setzt alle Hebel in Bewegung, um seinen Sohn zu schützen. Überzeugt von Jacobs Unschuld, nimmt er einen anderen Verdächtigen in Visier, der wegen Übergriffen auf Heranwachsende vorbestraft ist, und fahndet nach Beweisen für dessen Schuld. Er lässt sich sogar dazu bewegen, seinen Vater im Gefängnis zu besuchen, um Material für einen Gentest zu beschaffen, der für eine biologisch-psychiatrische Evaluation von Jacob gebraucht wird. Seine Frau hat auf diese Evaluation gedrängt – in der Hoffnung, damit das Geraune vom „Mörder-Gen“ kontern zu können, fass die Ergebnisse günstig ausfallen. Oder will sie eher die eigenen Zweifel an der Unschuld ihres Sohnes beschwichtigen?

Quälende Unsicherheit bis zum Ende

„Defending Jacob“, der auf dem Roman „Verschwiegen“ von William Landay basiert, etabliert wie die Vorlage eine Rahmenhandlung, in der Barber vor Gericht vom Staatsanwalt (Pablo Schreiber) ins Verhör genommen wird. Barber wirkt in diesen Szenen wie ein gebrochener Mann. Man weiß also früh, dass die Dinge für die Familie Barber keinen guten Lauf nehmen werden, ohne allerdings zuordnen zu können, wie genau diese Rahmenhandlung sich zur Binnenhandlung verhält. Ist sie Teil des Prozesses gegen Jacob? Steht Barber seinerseits vor Gericht, weil er als Staatsanwalt den Fall des ermordeten Jungen zunächst selbst untersuchte und in dieser Funktion die Ermittlungen manipuliert haben könnte? Eine von vielen Unsicherheiten, mit denen Roman wie Serie das Publikum in konstanter Anspannung halten. Im Zentrum steht dabei natürlich die Frage, ob Jacob den Mord begangen hat oder nicht.

Das Eindrucksvoll-Perfide an diesem „Whodunit“ ist allerdings nicht nur, wie wendungsreich die Schuldfrage immer wieder durch neue Informationen und Entwicklungen angeheizt wird, sondern wie dadurch die psychologischen Auswirkungen auf die Barbers und ihr Umfeld spürbar werden.

„Defending Jacob“ ist an erster Stelle ein von den Darstellern ungemein intensiv verkörpertes Familiendrama rund um die auf dem Prüfstand stehende Vertrautheit zwischen Vater, Mutter und Sohn: Wie gut kennen sich diese drei Menschen, die am Anfang noch so harmonisch erscheinen? Wie viel ans Licht kommende Wahrheiten kann die Liebe zwischen ihnen verkraften?

Eine enorme Verdrängungsleistung

Im Lauf der Serie merkt man bald, dass zwischen dem Jacob, den seine Eltern wahrnehmen, und dem, den seine Mitschüler kennen, eine gewisse Differenz besteht: Ein gleichaltriger Freund ist der erste, der Jacob in einem Online-Chat beschuldigt, den Mord an seinem Mitschüler begangen zu haben, noch bevor das erste Indiz dafür gefunden wird. Nicht zuletzt wegen Jacobs Aktivitäten auf gewaltpornografischen Websites, wie der Junge schließlich, von Barber befragt, rausrückt. Der Vater schiebt diese Information beiseite, ohne sich weiter damit auseinanderzusetzen – weil er lieber nach handfesten Beweisen dafür sucht, dass jemand anderer den Mord begangen hat. Vielleicht aber auch, weil das ein Einblick ins Innenleben seines Sohnes ist, mit dem er sich nicht konfrontieren will.

Chris Evans spielt diese Vaterfigur als Mann, hinter dessen starker Beschützerfassade immer mehr eine enorme Verdrängungsleistung sichtbar wird. Indem er sich mit wachsender Verbissenheit hinter seinem  Professionalismus verschanzt und ganz darauf konzentriert, mit Hilfe einer erfahrenen Anwältin (Cherry Jones) und einer ihm gewogenen Polizistin (Betty Gabriel) das für die Geschworenen und Öffentlichkeit inszenierte „Theaterstück“ des Prozesses so weit es geht zu beeinflussen, entfernt er sich innerlich immer mehr von seiner Frau (Michelle Dockery). Die wird weniger von der Angst vor dem Prozess als vielmehr von der bohrenden Furcht zerfressen, dass Jacob tatsächlich schuldig sein könnte.

Den vielen Dialogen – den Plädoyers und Verhören vor Gericht und den Befragungen von Zeugen und Verdächtigen – stehen die Binnenansichten vom Zusammenleben der Barbers gegenüber, in denen zwar durchaus gesprochen wird, die aber mehr und mehr ein von Andy ausgehendes Schweigen offenbaren: eine Unfähigkeit, offen miteinander zu sein und auch das Dunkle, Hässliche, Schamvolle und Schmerzhafte anzusprechen. Es ist dieses Schweigen, nicht ein „Mörder-Gen“, dass das Schicksal der Barbers besiegelt.

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