Action | Spanien 2017-2020 | (Staffel 1, 13 Folgen) (Staffel 2, 9 Folgen) (Staffel 3, 8 Folgen) (Staffel 4, 8 Folgen) Minuten

Regie: Jesús Colmenar

Eine spanische Krimiserie rund ums Heist-Movie-Motiv spektakulärer krimineller Coups: Ein Mann, der sich „Professor“ nennt, schart eine Crew von acht Einbruchs-SpezialistInnen um sich, um scheinbar unmögliche Raubüberfälle durchzuziehen und als moderne Robin Hoods die Zentren des Geldmarkts hochzunehmen. In Staffel 1 und 2 wird das Team, dessen Mitglieder nach internationalen Metropolen benannt sind, auf die Banknotendruckerei Spaniens angesetzt; in Staffel 3 und 4 haben sie die spanische Zentralbank im Visier. Dabei nimmt sich die Serie Zeit, auch die Beziehungen der Gangster auszuloten und spannt zudem einen Erzählstrang um die ermittelnde Polizeieinheit. Ein cleveres und wendungsreiches „Strategiespiel“ rund um die Planung und Ausführung der großen Coups, das lässig durch die Genres vom Gangsterdrama übers Kammerspiel bis zur Beziehungs-Telenovela wandelt und durch die Raffinesse des Plots ebenso wie durch solide Action und interessante Charaktere überzeugt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA CASA DE PAPEL
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2017-2020
Produktionsfirma
Vancouver Media
Regie
Jesús Colmenar · Alex Rodrigo · Alejandro Bazzano · Miguel Ángel Vivas · Koldo Serra
Buch
Álex Pina
Kamera
Migue Amoedo · David Azcano · Mike Valentine · Sergi Bartrolí
Musik
Iván Martínez Lacámara · Manel Santisteban
Schnitt
Luis Miguel González Bedmar · David Pelegrín · Regino Hernández · Verónica Callón
Darsteller
Úrsula Corberó (Tokio) · Álvaro Morte (Der Professor) · Itziar Ituño (Raquel Murillo) · Pedro Alonso (Berlín) · Alba Flores (Nairobi)
Länge
(Staffel 1, 13 Folgen) (Staffel 2, 9 Folgen) (Staffel 3, 8 Folgen) (Staffel 4, 8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Action | Krimi | Mystery | Serie

Eine spanische Serie, die in mittlerweile schon vier Staffeln von spektakulären Coups einer Einbrecherbande erzählt und dabei gewagt und lässig durch die Genres wandelt, vom Heist-Movie bis zum Beziehungsdrama.

Diskussion

Banküberfälle, das lernt man im ihnen gewidmeten Genre der Heist-Movies, funktionieren nur, wenn man sie bis ins letzte Detail plant und dann minutiös und schnell ausführt. Spielraum für Zufälle oder Pannen: Fehlanzeige. Natürlich kennt der Drahtzieher des größten Raubs aller Zeiten diesen Grundsatz. Sein zugegeben wahnwitzig überhebliches Vorhaben führt ihn und sein Team in das titelgebende „Haus des Geldes“, nämlich in die Banknotendruckerei in Madrid. Der Professor (Álvaro Morte), wie er sich nur nennt, ist ein Pedant vor dem Herrn, immer adrett gekleidet, mit etwas unmodischem Haarschnitt und Kassengestell auf der Nase. Sein Achtzigerjahre-Charme wirkt zwar altbacken, aber auch nerdig genug, um ihn erstmal grundsympathisch zu finden. Der Typ im Retro-Chic ist vermutlich nicht nur mit einem mehrbändigen Lexikon aufgewachsen, sondern auch mit Atari und Nintendo, und das gilt heutzutage ja erstmal als cool.

Wie Pedanterie und Coolness zusammenpassen

In der spanischen Serie „Haus des Geldes“ verknüpft der Showrunner Álex Pina diese beiden scheinbar unvereinbaren Elemente miteinander: die Akribie des klugen Tüftlers und die Coolness der Heist-Movies. Das funktioniert wegen der Präzision, die beide miteinander verbindet. Das Team des Professors ist mit ähnlich irren Figuren besetzt: Der wilden Bankräuberin Tokio (Úrsula Corberó), dem unbedarften Computernerd Rio (Miguel Herrán), der Fälscherin Nairobi (Alba Flores), dem Taktierer Berlin (Pedro Alonso), dem Schläger Denver (Jaime Lorente) und seinem Vater Moskau (Paco Tous), einem klassischen Panzerknacker. Sie alle sind gängigen Figurentypen nachempfunden, widersetzen sich aber mit der Zeit immer mehr den ihnen zugeschriebenen Rollen, was sowohl die Gruppendynamik als auch das Handlungsgerüst regelmäßig ins Wanken bringt. Dieses Team aus Antihelden hat das Zeug zum Publikumsliebling, gerade weil es so durchgeknallt und unberechenbar ist, dabei aber das Herz am rechten Fleck hat. Der zweite Raub zum Beispiel findet nur statt, weil einer aus dem Team im Millionärsruhestand verhaftet wird – die Kollegen eilen ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, zu Hilfe.

Was die Geschwindigkeit betrifft, kehrt die Serie die Vorzeichen gänzlich um. Auf ganze zwei Staffeln dehnt sie den Überfall in der Notendruckerei, ebenso den Folge-Coup der Räuberbande in der spanischen Zentralbank in Staffel 3 und 4. Das ist alles andere als langatmig, denn Pina gelingt ein schlaues Genrekonstrukt, das die Struktur des Heist-Movies lediglich als Gerüst verwendet. Die Ausführung des Coups in der Notendruckerei ist nicht als normaler Raub angelegt, kein, wie die Räuber es nennen, „Rein-Raus-Spiel“, sondern als Verschanzung des Teams in dem Gebäude. Sie haben es nämlich nicht auf die im Tresor lagernden Millionen abgesehen, sondern wollen innerhalb von zehn Tagen selbst zwei Milliarden drucken – in nicht zurückverfolgbaren Scheinen.

Aus dem Strategiespiel wird ein Kammerspiel, aus dem Heist-Movie eine Beziehungs-Telenovela

Diese Verschanzung macht das Strategiespiel zum Kammerspiel: die sieben Gang-Mitglieder, alle nur mit Codenamen nach Städten benannt, und 67 Geiseln. Der Professor leitet die Aktion als Mastermind von außen über ein abhörsicheres Festnetztelefon. In dieser aufgezwungenen WG-Situation lassen natürlich die großen Gefühle nicht lange auf sich warten – von Psychospielen bis hin zu Liebesschwüren ist alles dabei, und das macht „Haus des Geldes“ zu einer scheinbar leichtfüßig zwischen den Genres tänzelnden Metaserie. Angefangen beim despotischen Berlin, der seine Machtfantasien sowohl an den Geiseln als auch seinen Kollegen auslebt, über das Verhältnis von Tokio und Rio, bis hin zu Denver, der sich nicht in irgendeine Geisel verknallt, sondern in die Sekretärin des Notenbankdirektors Arturo. Diese ist, wie sollte es auch anders sein, schwanger von ihrem Chef und trägt den Beziehungsstreit nun unter erschwerten Bedingungen aus. Die Regel des Professors, dass keiner der Ganoven eine persönliche Bindung in diesem Unterfangen aufbauen soll, wird so zum augenzwinkernden Running Gag der Serie. Die teils in die Telenovela überzeichneten Beziehungsdramen geben dem Gesamtkonstrukt einen herrlich komischen Anstrich.

Pina führt die Telenovela ad absurdum, indem er die Räuberbande zudem noch in der vor der Druckerei postierten Polizeieinheit doppelt. In deren Zentrum steht die leitende Inspectora Raquel Murillo (Itziar Ituño). Anders als im klassischen Heist-Movie ist sie als Vertreterin der Staatsgewalt keine Karikatur, sondern Zugpferd eines eigenen Plots, der quer zur Haupthandlung läuft. Wie die sorgfältige und kleinteilige Planung des Professors sind die narrativen Fäden in „Haus des Geldes“ schlau von Rückblenden durchsetzt und zu einem Puzzle angeordnet, das bis zuletzt Spannung und Wendepunkte verspricht.

Genre-Stoff mit politischer Dimension

Was in den ersten beiden Teilen bisweilen etwas überfrachtet wirkt, entfaltet sich ab der dritten Staffel in einem wilden Strom aus weiteren Verwicklungen. Waren Themen wie häusliche Gewalt, Sorgerechtsstreitigkeiten und Demenz bereits angetippt worden, bekommt „Das Haus des Geldes“ mit dem zweiten groß angelegten Raubüberfall eine eindeutig politische Dimension. Denn diesen Coup inszeniert die Gruppe, um den verhafteten Kollegen aus der Folterhaft freizupressen und löst damit regelrecht eine Staatskrise aus. „Das ist kein Bankraub mehr, das ist Krieg“, sagt der Professor. In diesem Handlungsbogen findet auch der bemerkenswerte Soundtrack der Serie zu einem Kristallisationspunkt. In einem bunten Genremix aus 1960er-Jahre-Gitarren in Reminiszenz an „Ocean’s Eleven“, spanischen Volksliedern und Sitcomgeplänkel, ist just das italienische Partisanenlied „Bella Ciao“ aus dem Zweiten Weltkrieg von Anfang an der Song, auf den sich die Bande um den Professor einschwört. Die Bankräuber stilisieren sich selbst damit zu politischen Widerständlern, zu modernen Robin Hoods im Kampf gegen menschenverachtenden Kapitalismus. Das klingt sehr cool und sieht auch sehr stylisch aus.

Für die roten Overalls und die Salvador-Dalí-Masken, die sie sich zur Uniform gemacht haben, standen wohl der Comic „V wie Vendetta“ oder die Cyberserie Mr. Robot Pate, auch die Bewegung „Occupy Wallstreet“ kommt einem in den Sinn. Die Kapitalismuskritik ist in „Haus des Geldes“ vor allem in der zweiten Staffel sehr plakativ inszeniert. Das kann in einem solch breitgefächerten Konstrukt natürlich nicht tiefgründig verhandelt werden, muss es jedoch auch nicht, denn die Serie lebt von ihrem Selbstverständnis als gewagtes und lässig durch die Genres wandelndes Gangstermärchen – und „Haus des Geldes“ funktioniert in dieser absichtlichen Überfrachtung an Themen und Stilen als betörender Rausch aus Bildern, Songs und Emotionen.

Staffel 4 von „Haus des Geldes“ ist seit 3.4. bei Netflix verfügbar. Ebenfalls neu zu sehen ist bei Netflix die Doku „Haus des Geldes: Das Phänomen“, die der weltweiten Begeisterung für die Serie nachspürt.

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