Mein sprechender Goldfisch

Fantasy | Frankreich/Belgien 2019 | 175 (vier Teile) Minuten

Regie: Etgar Keret

Ein Immobilienmakler mit notorischen Geld- und Familienproblemen erbt überraschend von seiner Mutter ein heruntergekommenes Mietshaus. Als sein Freund und Anwalt darin ums Leben kommt, beginnt der Makler jedoch, merkwürdige Dinge wahrzunehmen. So hört er den Goldfisch des Toten sprechen und wird in Träumen zurück in seine Kindheit versetzt. Vierteilige Miniserie, die mit spielerischer Leichtigkeit drauflosfabuliert und im Tonfall einer märchenhaften Komödie vom Erkenntnisprozess einer orientierungslosen männlichen Figur handelt. Erzählerisch konsequent im Einsatz skurriler Details, ist der versöhnliche Ausgang absehbar, was das Vergnügen an der Serie jedoch nicht mindert. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
L' AGENT IMMOBILIER
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Les Films du Poisson/Arte France/Gapbusters/Shelter Prod./VOO/BE TV
Regie
Etgar Keret · Shira Geffen
Buch
Etgar Keret · Shira Geffen
Kamera
David Chizallet
Musik
Tom Darom · Tamir Muskat
Schnitt
François Gédigier
Darsteller
Mathieu Amalric (Olivier Tronier) · Eddy Mitchell (Rémi Tronier) · Ixyane Lété (Sophie Tronier) · Sarah Adler (Louise Tronier) · Nicole Shirer (Liliane Petresco)
Länge
175 (vier Teile) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Fantasy | Serie | Tragikomödie

Eine märchenhafte vierteilige französische Serie über einen beruflich und privat glücklosen Immobilienmakler, der nach einer unerwarteten Erbschaft und einem Todesfall auf einmal mit einem Goldfisch kommunizieren kann und in skurrilen Träumen in seine Kindheit reist.

Diskussion

Olivier Tronier, gespielt von Mathieu Amalric, ist ständig pleite. Er ist ein Immobilienmakler, der in Wohnobjekten übernachtet, die er eigentlich verkaufen soll. Die Kundentermine verlaufen bei ihm in der Regel holperig. Beste Lage, Feng Shui –die obligatorischen Floskeln bringt Olivier wenig überzeugend rüber. Schuld daran ist die unübersehbare Hibbeligkeit seiner Physis: Er verzettelt sich, erzählt zu viel, verhält sich unpassend.

Der Schauspieler Amalric verkörpert seinen chronisch derangierten Charakter mit Schweißfilm im Gesicht, unrasiert, mit zerzausten Haaren. Sein unfrisches Hemd kann man beinahe riechen. Ein „erbärmlicher Sohn“, ein „beschissener Vater“, ein echter Alptraum von einem Ex-Ehemann – voilà, das ist Olivier, der tragikomische Held, der den Kopf nie hängen lässt. Stets am Kleben, Reparieren und Flicken ist er – noch hält sein ramponiertes Leben an einer Ecke knapp zusammen, nur um sodann an einer anderen aus allen Nähten zu reißen. Mit Zuneigung und Vertrauen, die ihm entgegengebracht werden, geht der Fiftysomething äußerst sorglos um.

Ein marodes Mietshaus, das es in sich hat

Der Wendepunkt, dessen jede Fiktion bedarf, kommt hier in Gestalt eines baufälligen Mietshauses, das Olivier von seiner verstorbenen Mutter sehr überraschend erbt. In Begleitung seines besten Freundes und Anwalts Philippe, der zufällig auch den frisch angeschafften Goldfisch in einer Plastiktüte dabeihat, schaut er sich das marode Erbstück an. Die einzige verbliebene Mieterin, eine ältere Dame, soll zum Umzug überredet werden, damit dem Verkauf und Abriss der Immobilie nichts im Wege steht. So weit, so nachvollziehbar. Einen Schnitt und einen kurzen Zeitsprung später ist vieles anders, mit Olivier zusammen landen wir im Modus des Fantastischen. „Geht es, alles okay?“, hört Olivier den Goldfisch fragen, der ihm nun ein paar Wünsche schuldet. Noch über so einiges wird sich der Immobilienmakler bald nicht mehr wundern.

Das alte Haus hat es in sich. Dort kommen Olivier fortan seltsame Träume, die keine Träume sind. Die Miniserie „Mein sprechender Goldfisch“ ist eine waschechte „Was wäre, wenn“-Geschichte. Sie fabuliert mit spielerischer Leichtigkeit im ein wenig aus der Mode gekommenen Verfahren des „Drauflos“. Olivier fällt von einem Jahrzehnt in ein anderes, wacht in den 1970er-Jahren auf, begegnet sich selbst als Kind und seinen damals noch jüngeren Eltern. Tapete in Orange-Tönen, Olivier wird für den Falschen gehalten, mit einem Goldbarren geschlagen und anschließend gar als Hausmeister angestellt. Nach der Rückkehr in die Gegenwart warten die alten Schieflagen.

Jede Episode bringt neue Blessuren

Alle zerren an ihm: Die Teenagertochter Sophie (Ixyane Lété) braucht für ihr Schulprojekt eine Kamera, der Vater Rémi (Eddy Mitchell) eine runde Summe für das schicke Seniorenheim, wo er, anstatt sich zur Ruhe zu setzten, mit polnischen Hausmeister-Zwillingen Tag und Nacht Poker spielt. Zudem rückt der skrupellose, aber nicht uncharismatische Geldleiher Simon (Michelangelo Marchese) Olivier ununterbrochen auf die Pelle. Olivier bleibt fortdauernd im Modus des Abhauens, er tänzelt um spitze Ecken herum, redet um den heißen Brei. Ein Gipsarm, blaue Flecken auf seiner Visage, Bisswunden am Arm und zahlreiche Kratzer – jede Episode beschert dem Protagonisten neue Blessuren. „Keine Sorge, ich pass’ auf dich auf“, meldet sich leise der Goldfisch. Auf dem Fischkopf stehen die Augen weit hervor wie zwei Donuts.

Das israelische Regie- und Autorenpaar Etgar Keret und Shira Geffen hat, so scheint es, eine echte Vorliebe für Wasserwesen, wobei es natürlich nicht wörtlich um Wasserwesen geht. Ihr gemeinsames Debüt Jellyfish – Vom Meer getragen, das 2007 in Cannes mit Caméra d’Or ausgezeichnet wurde, handelt vom existenziellen Treiben dreier Figuren, die sich in parallelen Erzählsträngen hin und wieder über den Weg laufen. In der Tradition des europäischen Autorenfilms sucht und findet der Film seinen Zauber in den Schilderungen von Alltäglichkeiten und Missgeschicken, von kleinen und großen Krisen.

„Creative Writing“, eine Kurzgeschichte Kerets, erzählt unter anderem von einem Fisch, der von einer bösen Hexe in einen Menschen verwandelt wird. Der Fisch sehnte sich nach dem Fisch-Sein zurück, doch die Zeit verging und, ohne es zu merken, wurde er zu einem erfolgreichen Geschäftsmann, der die halbe Welt besaß. Irgendwann vergaß er ganz, wer er wirklich war – bis er an seinem Lebensabend eines Tages am Horizont das Meer erblickte.

Zappelnde Figur im Schleuderprogramm

Auch „Mein sprechender Goldfisch“ porträtiert eine männliche Figur, die ähnlich das Entscheidende nicht sieht, die nicht begreifen, sich nicht bessern will. Mit erzählerischer Konsequenz halten Keret und Geffen ihre zappelnde Figur solange im Schleuderprogramm, ziehen ihn durch den Fleischwolf, tauchen ihn mit dem Kopf ins Wasser, machen es ihm solange ungemütlich, bis der angestoßene Erkenntnisprozess in einer Erleuchtung mündet. „Mein sprechender Goldfisch“ arbeitet sich im Genre der märchenhaften Komödie bis zum tiefliegenden Knackpunkt, bis zu diesem vernachlässigten inneren Kind, das einfach mal fest umarmt werden möchte.

Macht es sich die Serie allzu leicht? Verzeiht sie ihrem männlichen Protagonisten nicht auch allzu viel? Steht ihr Schluss nicht schon am Anfang klar und fest? Die Antwort ist: ja. Aber was soll’s! Olivier hat sich am Ende rasiert und die Haare gekämmt. Er ist jetzt ruhig und sieht ganz passabel aus.

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