Dokumentarfilm | Deutschland 2020 | 79 Minuten

Regie: Jim Rakete

Mit unverhohlener Sympathie porträtiert der als Fotograf von Pop- und Rockstars bekannte Jim Rakete Anführer klimaaktivistischer Gruppen, die gegen die scheinbar unaufhaltsame Ausbeutung von Natur und Mensch protestieren. Der Dokumentarfilm gibt den Interviewten über Parolen hinaus viel Zeit für die Darlegung ihrer Erkenntnisse und Forderungen und zeigt sie dabei stets an individuellen Orten ihres Wirkens. Dabei erliegt er zwar selbst dem engagierten Gestus, informiert aber redlich auch über neue Denkansätze und praktische Konzepte gegen den Klimawandel. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Starhaus Filmprod.
Regie
Jim Rakete
Buch
Claudia Rinke
Kamera
Philip Koepsell
Musik
Nils Strunk
Schnitt
Kjell Peterson
Länge
79 Minuten
Kinostart
26.08.2021
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Verleih DVD
W-film
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In seinem Dokumentarfilm lässt sich der Fotograf Jim Rakete von jungen Klima-Aktivisten erklären, mit welchen Mitteln der Planet für künftige Generationen doch noch zu retten wäre.

Diskussion

Gesellschaftliche Krisen, darauf deutet im Moment einiges hin, sind offenbar immer auch Krisen der Wahrnehmung. Zu solchen Verschiebungen gehört das wachsende Unbehagen beim Anblick Demonstrierender. Nicht nur das Image des „friedlichen Protests“ und seiner Parolen wandelt sich dieser Tage, auch die Protestierenden selbst scheinen ein Wahrnehmungsproblem zu haben: „Wo sind denn die vielen Kranken?“, fragte im Oktober ein „Querdenker“ auf einer Nürnberger Veranstaltung gegen die Anti-Corona-Maßnahmen. Als würde das, was man nicht sehen kann, auch gar nicht existieren.

Das muss man vielleicht vorausschicken, um die Tragik des Augenblicks zu ermessen, in dem Jim Raketes optimistisch begeisterter Klimaaktivisten-Dokumentarfilm „Now“ in die Kinos kommt. Die Bilder demonstrierender junger Menschen, die der als Porträtfotograf von Pop-Bands berühmt gewordene Rakete, Jahrgang 1951, unübersehbar mit großer Sympathie eingefangen und mit zupackender Musik untermalt hat, treffen auf eine Gegenwart, in der Versammlungen ohne Abstand mitten in Metropolen zumeist ja gar nicht mehr möglich sind. Anders gesagt: „Now“ wirkt in manchen Passagen ziemlich alt, dabei ist sein Thema – und das ist die Tragik – aktueller denn je, angesichts niedergebrannter Landstriche weltweit, steigender Temperaturen, abgeholzter Wälder und und und. Es geht nicht nur um Greta Thunberg und „Fridays for Future“, es geht um viele verschiedene Konzepte für weltweite Klimagerechtigkeit und die erforderlichen Maßnahmen, die den AktivistInnen zufolge sofort ergriffen werden müssten.

Ein Kreis schließt sich

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur sagte Jim Rakete, er sei „total glücklich“ über diesen Film, damit schließe sich ein Kreis in seinem Leben: Es sei für ihn „wie ein Sequel der 68er“, dass es diese zweite große Bewegung gebe in seinem Leben. „Für die eine war ich ein bisschen zu jung. Für die andere bin ich jetzt ein bisschen zu alt.“

Die offenkundige Ergriffenheit Raketes gibt dem Film freilich ein wenig den Charakter einer aktivistischen Imagebroschüre. Die Idee zu „Now“ hatte die Hamburger Autorin und Juristin Claudia Rinke, die unter anderem für die Vereinten Nationen gearbeitet hat und die Klimaproteste von Anfang an verfolgte. Schon das „Jetzt“ im Titel macht sich ohne Hehl die Kernaussage der Interviewten zu eigen: Die Menschheit müsse alles, was sie gegen die sichere Katastrophe tun könne – und Lösungen gebe es –, nicht irgendwann, sondern genau jetzt umsetzen.

Ausführlich zu Wort kommen ProtagonistInnen von Organisationen wie „Extinction Rebellion“, „Youth v Gov“, „Ende Gelände“, „Plant for the Planet“ und natürlich „Fridays for Future“. Sie haben neben Parolen auch handfeste Ideen im Köcher und Experten an der Hand: So kann man offenbar Wälder renaturieren, indem man die Triebe aus alten Wurzelstöcken pflegt und wachsen lässt. Die Menschheit könne aber so viel auf Fleisch, Plastik und Verbrennungsmotoren verzichten, wie sie wolle, das alles werde nichts nützen, solange man das Wirtschaftssystem nicht ändere, darin sind sich alle einig. Doch Veränderung braucht Wissen, auch das Wissen um neue Begriffe. Bisher, sagt der Londoner Wirtschafts-Anthropologe Jason Hickel, messe jede Wirtschaft ihren Erfolg anhand des Bruttoinlandprodukts: „Wir denken, dieses Maß sei normal und natürlich“, sagt er, dabei führe es zu genau den Schäden, die wir jetzt eindämmen müssten. Deshalb plädiert er für eine neue Maßeinheit, die die sozialen und ökologischen Kosten berücksichtigt, den „Genuine Progress Indicator“ (GPI), den „echten Fortschritts-Indikator“. Dürfte vielen bislang unbekannt gewesen sein.

Überzeugend in den Aussagen

Am überzeugendsten ist der Dokumentarfilm immer dann, wenn er auf dramatisch perlendes Klaviergeklimper verzichtet (das vor allem zu Beginn aufdringlich zum Einsatz kommt) und die Aussagen ins Zentrum rückt. Rakete zeigt seine Gesprächspartner in signifikanten Umgebungen, in denen sie sich in Ruhe auf das Gesagte konzentrieren können und, wie auf Raketes Fotos, „bei sich“ wirken: unterm Baum, im Foyer eines Unternehmens oder einer Forschungseinrichtung, im heimischen Halbchaos.

Wie um zu zeigen, dass die Alten nicht pauschal doof sind, haben auch ein paar Berühmtheiten aus Jim Raketes eigener Generation ihren Auftritt: Patti Smith legt dar, schon als Kind von der Existenz von Einweg-Gegenständen beunruhigt gewesen zu sein; Wim Wenders, der lässig betont, schon viele Bewegungen habe er kommen und gehen sehen, erzählt in zu Herzen gehenden Worten von einem Schmetterlings-Bestimmungsbuch, das er als Kind besessen habe: Jeden Falter daraus, den er auch leibhaftig gesehen habe, habe er damals in einem dicken Heft notiert. 100 Arten seien so zusammengekommen. Kinder von heute, sagt er, bräuchten kein so dickes Buch mehr, „denn die Schmetterlinge passen auf eine Seite“. Wie, fragt er, solle er Kindern erklären, was sie verloren hätten? Man kann es ja nicht mehr sehen.

So sehr also „Now“ sich dem aktivistischen Gestus seiner ProtagonistInnen anschmiegt, so redlich informiert der Film doch auch über neue Denkansätze und praktische Konzepte, die helfen könnten, das Ruder vielleicht doch noch herumzureißen.

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