Krimi | Polen 2020 | Minuten

Regie: Leszek Dawid

Eine polnische Krimiserien-Adaption von Harlan Cobens gleichnamigem Roman: Vor zwanzig Jahren verschwanden mehrere Jugendliche nachts im Wald; zwei davon wurden später ermordet aufgefunden, zwei andere tauchten nie wieder auf. Der Bruder einer der Verschwundenen ist mittlerweile Staatsanwalt, als das damals Geschehene ihn wieder einholt: Eine weitere Leiche wird gefunden. Für den Staatsanwalt der Beginn einer aufreibenden Recherche zwischen einer quälenden Vergangenheit und einer beklemmenden Gegenwart. Die Adaption überzeugt durch sorgfältige Figurenzeichnung, eine geschickt mit den beiden Zeitebenen arbeitenden Spannungsdramaturgie und einen klugen Transfer der in den USA spielenden Romanhandlung in die polnische Zeitgeschichte von den Jahren nach der Wende bis in die rechtskonservativ dominierte Gegenwart. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
W GŁĘBI LASU
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
ATM Grupa S.A./Netflix
Regie
Leszek Dawid · Bartosz Konopka
Buch
Agata Malesinska · Wojciech Miloszewski · Michael Armbruster · Emilio Mauro · Michael Yebba
Kamera
Pawel Flis
Darsteller
Grzegorz Damięcki (Paweł Kopiński) · Agnieszka Grochowska (Laura Goldsztajn) · Hubert Miłkowski (Paweł Kopiński als Junge) · Wiktoria Filus (Laura Goldsztajn als Mädchen) · Jacek Koman (Dawid Goldsztajn)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung | Serie

Polnische Miniserie, die einen auf zwei Zeitebenen spielenden Plot aus dem Roman des US-amerikanischen Thriller-Autors Harlan Coben geschickt in ein Polen wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und in eine Gegenwart verlegt, wo die Rechtsprechung droht, korrumpiert zu werden.

Diskussion

Serien sind wie dafür geschaffen, Geschichten zu erzählen, in denen die Vergangenheit die Gegenwart einholt. Etwas Schreckliches geschieht, dessen Fundament vor vielen Jahren in oft noch schrecklicheren Ereignissen gelegt wurde. Sowohl das Zurückliegende als auch das Gegenwärtige lässt sich dank des dezidiert horizontalen Erzählens differenziert und bis ins kleinste Detail, in die kleinste Geste, in das nebensächlichste Objekt alternierend erzählen, sodass sich die Zeitebenen durchdringen.

Die polnische Serie „Das Grab im Wald“, basierend auf dem Roman „The Woods“ des US-amerikanischen Thriller-Autors Harlan Coben, erzählt von grausamen Ereignissen in einem Ferienlager im Jahre 1994, die in einem Mordfall des Jahres 2019 wieder an die Oberfläche vordringen. Im Mittelpunkt steht Pawel Kopiński (Grzegorz Damięcki), ein Staatsanwalt in Warschau, dessen Schwester und drei weitere Jugendliche damals im Wald verschwanden. Zwei von ihnen, ein Mädchen und ein Junge, wurden tot aufgefunden. Pawels Schwester sowie sein damaliger Kumpel Artur blieben verschollen. 

Coming of Age-Thriller

Das Durchdringen der Zeitebenen gelingt in „Das Grab im Wald“ besser als in vielen anderen Serien, die mit Zeitebenen allzu oft nur deshalb zu spielen scheinen, weil es nun mal en vogue ist. Der in der Vergangenheit angesiedelte Handlungsstrang erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte, die sich zum Mystery-Thriller ausdehnt. Das Setting ist mit Gespür für Details in Szene gesetzt; nach und nach hält der Schrecken Einkehr. Doch nicht nur das.

Vor allem beim zweiten Schauen zeigt sich, wie die Kamera fast beiläufig Beobachtungen macht, die später zu Bedeutungen verdichtet werden. Die Lust für das Verbotene im Handeln der abenteuerlustigen Jugendlichen wird im Verlauf der Handlung geschickt verwoben mit Verfehlungen der aufsichtspflichtigen Erwachsenen, die sich zu expliziten Straftaten auswachsen. Dazwischen ist Pawel, selbst noch ein Kind, aber als Co-Betreuer mit mehr Verantwortung ausgestattet als die anderen im Camp, weshalb er auch Abstand zu Laura (Agnieszka Grochowska) halten muss, die sich in den blondlockigen Jüngling verliebt hat.

Staatsanwälten droht man nicht

In der zweiten, gegenwärtigen Zeitebene übt Pawel als Staatsanwalt einen besonders verantwortungsvollen Beruf aus, und scheint auch generell ein äußerst verantwortungsbewusster Mensch zu sein, wie schon jene Szene zeigt, in der man ihn zum ersten Mal in seinem Alltag sieht (und sich zugleich davon überzeugen kann, wie gut in der Serie die Dialoge geschrieben sind): Pawels Tochter nimmt an einem Turmspring-Wettbewerb teil; seine Schwägerin wundert sich, dass Pawel keine Fotos macht, worauf er entgegnet, dass genügend Leute mit Handys zugange seien und außerdem Vorsicht geboten sei, Kinder in hautengen Badeanzügen zu fotografieren. Das könne missverstanden werden.

In wenigen Worten ist damit nicht nur Pawel charakterisiert, sondern es werden bereits motivische Spuren gelegt zu einem Fall, den Pawel als Staatsanwalt gerade bearbeitet: Ein Mädchen beschuldigt zwei Jungs, sie vergewaltigt zu haben. Es geht um sexuelle Gewalt und Bilder, die das belegen oder auch widerlegen können. Und es geht darum, wie Medienmacher Informationen und Meinungen manipulieren, um die Rechtsprechung zu umgehen, womit sie letztlich nur die Pressefreiheit in den Schmutz ziehen. Pawel sieht sich zunehmend in die Enge gedrängt; durch die Vergangenheit in Gestalt einer Leiche, die es so nicht geben dürfte; durch die Gegenwart, die zunehmend seine Existenz bedroht. Doch er versucht, stets die Kontrolle zu behalten. Grzegorz Damięcki spielt dies mit Überzeugungskraft und Präzision: In einer überzeugenden Schauspieler-Riege sticht er besonders hervor.

Gestern und Heute

„Das Grab im Wald“ überzeugt durch eine ausgeklügelte Spannungsinszenierung, die das Krimi-Genre bedient, zugleich aber komplexe Charaktere entwirft. Besonders überzeugend ist zudem die Art und Weise, wie die ursprünglich in den USA spielende Geschichte des Romans nach Polen verlegt wird. Auf einer zeitlichen Ebene ist es das Polen wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und auf der zweiten Ebene ist es die Gegenwart eines konservativen Staates. Die Jugendlichen im Sommercamp, die sich ausprobieren und auch mal über die Stränge schlagen, stehen vielleicht symptomatisch für eine neue Generation, die sich von der Vergangenheit befreien will (wobei die Serie u.a. auch das Thema Antisemitismus aufgreift), deren Freiheit heute aber von einem Staatspräsidenten abhängt, der LGBT-Menschen als Bedrohung sieht und im Begriff ist, die Unabhängigkeit der Justiz abzuschaffen. Für den Kampf gegen diese besorgniserregenden Tendenzen könnte die moralische Integrität von Staatsanwalt Pawel Kopiński stehen.

 

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