Mit 48 Jahren ist Al Capone (Tom Hardy) am Ende seines Lebens angekommen. Das Luxusleben und das von ihm gepflegte Image lösen sich mitsamt Körper und Geist eines archetypischen Mobsters auf. Die Syphilis hat „Fons“, wie Capone von Angehörigen wie Freunden genannt wird, zu einem Wrack gemacht. Wacklig tapst er durch die langen Flure seines Anwesens in Florida, um die Terrasse oder den nächsten Liegestuhl zu erreichen. Tief in diese Karikatur eines Throns versunken, starrt er auf das riesige Grundstück hinaus, sieht vermeintliche FBI-Agenten, bellt Befehle in Richtung der Arbeiter und seiner Frau Mae (Linda Cardellini) oder stößt italienische Flüche aus. Seine großen Gesten verhallen zunehmend im Nichts. Die Angst und der Respekt, die der Mann einst anderen einflößte, sind in den Gesichtern seiner Vertrauten kaum mehr sichtbar. Sie wenden ihre Blicke ab oder verharren hilflos, wenn Capone schwitzend seine Spaghetti schlürft, in sich hineinröchelt, sich einpisst und einscheißt. Tom Hardy übergibt seinen Körper gänzlich diesem Dahinsiechen. Eine Sterbe-Performance, die bei aller Hingabe keine Eitelkeit kennt und sich ganz dem Prozess und den Maskenbildern ausliefert.
Die Vergangenheit löst sich im Delirium auf
„Capone“ ist ein Film des Verfalls. Die entscheidende Ebene ist dabei die psychische. Das Porträt des legendären Gangsters (1899-1947) durch Regisseur Josh Trank ist sichtlich um das Delirium des Sterbenden konstruiert, das sich immer wieder auf lange Albtraumsequenzen ausdehnt. Wie ein Fremder schlurft Capone in ihnen durch die Fragmente seines Lebens. Der Glamour und die Brutalität prasseln auf den dementen Traumwandler ein, die Vergangenheit greift nach den letzten Resten seines Bewusstseins. Eine Sequenz bringt ihn zu einem Jazzkonzert, wo er gemeinsam mit Louis Armstrong auf der Bühne singen soll. Als er sie erklommen hat, krächzt er nur ein paar hilflose Töne von Blueberry Hill in die Menge und wird in die nächsten Erinnerungen gestoßen. Hier stolpert Capone blutüberströmt durch die Leichenberge des Valentinstag-Massaker und wird Zeuge, wie einer seiner Soldaten sein Messer ein dutzend Mal in den Nacken eines gefesselten Mannes rammt.
Unaufhörlich nagt die Krankheit an Capones Psyche, um die letzten Reste seines Verstandes aufzulösen. Das Delirium wird im Film nicht genutzt, um die Vergangenheit zu rekonstruieren, sondern um sie auszulöschen. Die Ikone Al Capone und der Glamour von Gewalt und Verbrechen werden der Erinnerung entrissen und als Albtraumvisionen über den degenerierten Verstand des gebrochenen Mannes verstreut.
Das langsame Abtragen von Körper, Geist und Legende ist Tranks Methode, um den wohl berüchtigtsten Verbrecher des 20. Jahrhunderts zu vermenschlichen, ohne ihm Sympathie zu schenken. Die Menschwerdung durch den Verfall macht die Topoi des klassischen Gangsterporträts und den von Capone angesammelten Reichtum hinfällig.
Luxus und Prunk wirken in Anwesenheit des faulenden Mobsters nur noch wie Zeichen, die ihrer Realität enthoben wurden. Der Lebensstil, auf den sie sich beziehen, existiert nicht mehr. Der edle Papierkorb dient nur noch als Kotzeimer, die überall vergoldeten Oberflächen haben ihren Glanz eingebüßt, und ein ikonisches Element wie die Zigarre wird auf Anweisung des Leibarztes Karlock (von Kyle MacLachlan als wunderbar schmieriger Opportunist gespielt) durch eine Karotte ersetzt.
Über dem Unterweltkönig kreisen die Geier
Einzig seine Atlasstatue scheint dem Gangster noch eine Art von Orientierung zu geben, und so verteidigt der Gangster sie mit dem Rest einstiger Kraft. Neben den Anrufen seines außerehelichen Sohns Tony, die sich immer wieder zwischen die Albträume drängen, ist die Statue der einzige Verweis auf die Mysterien, die sich um den verrottenden Gangster ranken.
„Capone“ nimmt einige Längen in Kauf, um sich an derartige Leitmotive zu klammern, ohne dass sich diese jemals wirklich einlösen. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass sich in der Atlasstatue jene zehn Millionen Dollar verbergen, die Capone vor seiner geistigen Umnachtung versteckt haben soll. FBI-Agenten und Komplizen werden zu kreisenden Geiern, die die vermeintliche Beute in den Blick nehmen, um Capone die Gelegenheit für ein letztes Aufbäumen zu geben. Im offenen Bademantel, eine Windel umgeschnallt, die Karotte zwischen die Zähne geklemmt, läuft Capone mit seiner vergoldeten Tommy Gun Amok und mäht die eigenen Bodyguards, das Personal und die fiktiven FBI-Agenten im Hinterland seines Grundstücks nieder. Der delirante Auftritt wirkt, eingebettet in die surrealen Visionen, nicht wie der komische oder gar tragische Versuch eines Befreiungsschlags, sondern ist nur noch das groteske Abbild eines Zerfalls, der Erinnerung und Wirklichkeit in immer kleinere Fragmente zerstückelt. Bis nichts mehr übrig ist.