Komödie | Großbritannien 2020 | 227 (St. 1), 176 (St. 2) Minuten

Regie: Chris Addison

Ein britisches Mittelschichtspaar kämpft sich gemeinsam durch den ganz normalen Alltagswahnsinn zwischen Job, Haushalt und Kindererziehung. Der lebhafte Nachwuchs bringt die Eltern mit seinen Marotten immer mal wieder an ihre Grenzen, und die Großeltern sind leider auch nicht gerade ein Fels in der Brandung. Eine erfrischend unverblümt-ehrliche Familienserie im Sitcom-Format, deren Pointen rund um die Turbulenzen des Elterndaseins immer wieder ins Schwarze treffen und die mit einem durchweg guten Schauspielensemble glänzt. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
BREEDERS
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Avalon Television/BBC/Sky
Regie
Chris Addison · Ben Palmer · Ollie Parsons
Buch
Chris Addison · Simon Blackwell · Martin Freeman · Barunka O'Shaughnessy · Oriane Messina
Kamera
Michael Coulter · Oli Russell
Musik
Oli Julian
Schnitt
Pete Drinkwater · Mark Henson
Darsteller
Martin Freeman (Paul) · Daisy Haggard (Ally, Staffel 1) · George Wakeman (Luke, Staffel 1) · Jayda Eyles (Ava) · Alun Armstrong (Jim)
Länge
227 (St. 1), 176 (St. 2) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Komödie | Serie

Die britische Miniserie verfolgt mit viel ehrlichem Sarkasmus den Kleinkrieg eines Ehepaars zwischen Erziehungs- und Jobpflichten.

Diskussion

Staffel 1

Eine Traumfamilie: Paul Worsley (Martin Freeman) und seine Frau Ally (Daisy Haggard) haben ein kleines Reihenhäuschen in der Stadt, neiden einander nicht den Erfolg im Beruf und können sich folgenlos die ein oder andere „Ehrlichkeit“ an den Kopf werfen. Eine Liebe, deren leibliche Früchte Luke (George Wakeman) und Ava (Jayda Eyles) das kleine Häuschen mit jener Art Leben füllen, das nur Vier- und Siebenjährige versprühen können: mit chronischem Geschrei begleitetes Rumgezanke, eine mit viel Starrsinn garnierte Art der selektiven Essensaufnahme, die irrationale Ansammlung nicht erklärbarer Ängste oder die allabendliche Weigerung, an Orten und zu Zeiten zu schlafen, die von erwachsenen Menschen dafür vorgesehen sind. Kurz gesagt: Es ist die Hölle! Dabei lieben die Worsleys ihre Kinder, ohne Frage. Doch manche Tage sind das pure Chaos. Besonders Paul hat sich dann kaum unter Kontrolle. Nicht, dass er jemals die Hand erheben würde. Aber Mordgedanken hegt er insgeheim manchmal schon.

Das familiäre Mikroklima: unbeständig

Paul ist einer dieser treusorgenden englischen Familienväter, die gelegentlich einen über den Durst trinken und sich dann so ihre Gedanken machen. Zum Glück findet er in Ally ein Korrektiv, die zwar auch gerne mal einen Wein trinkt und sich auch so ihre Gedanken macht, aber dabei nicht ganz so laut wird. Trotzdem steht der Familienfrieden öfters auf der Kippe. Und Allys vagabundierender Vater Michael (Michael McKean) und Pauls eigenbrötlerische Eltern Jackie (Joanna Bacon) und Jim (Alun Armstrong) sind auch nicht gerade der Felsen in der Brandung, den man braucht, wenn das familiäre Klima auf unbeständig mit Hang zu Gewitterstürmen schwenkt.

Die Mini-Serie „Breeders“ von Simon Blackwell ist ein mutiges Unterfangen. Sie nutzt mit 25 Minuten pro Folge ein klassisches Sitcom-Format, das man von „Eine schrecklich nette Familie“ bis zu „Big Bang Theory“ gewöhnt ist, entfaltet dann aber eine Ton, der für unbeschwertes Komödien-Entertainment eigentlich zu ehrlich und ungehobelt ist. Die bissigen Pointen über den ganz normalen Alltagswahnsinn einer Familie treffen ins Ziel. Beim Zuschauer stellt sich nach einem Schmunzler oder Lacher immer ein fatalistisches „Ja, stimmt!“ oder ein „Das kann ich gut nachvollziehen!“ ein. Ist „Breeders“ also eher ein Sozialdrama? Vielleicht! Dann aber zumindest ein verdammt komisches.

„Normaler“ und „pathologischer“ Familienwahnsinn

Das liegt in erster Linie an den klugen Beobachtungen der fünf Drehbuchautoren, die genau zu wissen scheinen, dass die kleinen und mittleren Blessuren eines heranwachsenden Tölpels im Krankenhaus zwangsläufig einen Psychologen auf den Plan rufen, der die Familie via Sozialamt ins asoziales Zwielicht rückt. Wie dicht der „normale“ am „pathologischen“ Familienwahnsinn vorbeischrammt, ist eine der treffenden Erkenntnisse der Serie, die unter der heiteren Oberfläche gefährliche Untiefen aufdeckt.

Dennoch ist „Breeders“ in erster Linie ein komödiantischer Genuss. Dass liegt an Martin Freeman, der dem sich anbahnenden Unheil mit stoischer Attitüde begegnet. Und es liegt an Daisy Haggard, die in einer Mischung aus Prolligkeit und grenzenloser Fürsorglichkeit diesen fragilen und doch so starken Ferbund gegen alle Wahrscheinlichkeit zusammenhält. Nicht zuletzt sind da auch noch die beiden Kinderdarsteller George Wakeman und Jayda Eyle, die so nahe am Rande des Nervenzusammenbruchs spielen, als hätten sie das alles schon in ihrem eigenen (Familien-)Lebens durchexerziert.

Ein mutiges Unterfangen

„Breeders“ ist ein Serienjuwel, weil sich die Inszenierung nicht nur auf die organische Pointe verlässt, sondern unvermittelt mit „Was-wäre-wenn“- oder „So-könnte-es-gewesen-sein“-Szenarien konfrontiert. Dieser formale Kniff schärft die Sinne und hindert auch formal am schlichten Wegkonsumieren der handlichen Kurzfolgen. Außerdem wagt die Serie am Ende der ersten Staffel einen emotionalen U-Turn, der für einen Augenblick andeutet, wie aus dem Spaß ganz schnell bitterer Ernst werden kann. „Breeders“ ist ein mutiges Unterfangen, bei dem man nichts mehr herbeisehnt als die (gerade in Arbeit befindliche) zweite Staffel.

Staffel 2

„Wieso kann das Leben nicht ganz einfach leicht sein?“ Ganz einfach: Es wäre zu einfach! Und es würde niemanden interessieren. „Breeders“ ist die Chronologie eines ganz normalen, nicht einfachen Daseins einer Londoner Mittelstands-Familie. Ein „verfickt“ normales Leben, wie es Paul (Martin Freeman) in seiner sarkastisch-selbstironisch-fatalistischen Art zu sagen pflegt. Eine Sprache, die so gar nicht zu seinem biederen Aussehen passen will. Stille Wasser eben! Er ist der Mann von Ally (Daisy Haggard). Und das Beste, was Ally passieren konnte. Denn ihre impulsive, mitunter harsche, nur scheinbar selbstbewusste Art braucht dieses selbstironisch-fatalistische Korrektiv.

Zusammen haben sie mit Luke und Eva zwei Kinder – wunderbar, aber auch anstrengend. Die erste Staffel drehte sich um die schlaflosen Jahre, in denen die zwei klein waren, und um die ersten innerfamiliären Unwägbarkeiten – pointiert zusammengefasst in 25-minütigen Logbucheinträgen über den ganz normalen Familien-Alltags-Wahnsinn, aufgerollt mit erfrischend ehrlicher Wahrhaftigkeit. Die Sitcom über das Chaos, in dem das Streben nach geordnet-bürgerlichen Lebensverhältnissen immer wieder unterzugehen droht, geht nun in die zweite Staffel. Ava und Luke sind inzwischen zehn und 13 Jahre alt, was den Eltern vielleicht zu ein wenig mehr Schlaf verhilft, wenn auch sicher nicht der erholsameren Sorte.

Die Eltern schlittern in die Midlife-Crisis

Wie macht man es sich und den Kindern recht? Paul sieht es von der pragmatischen Seite. Warum sollte sich sein Sohn nicht genauso über eine Fotokamera zum Geburtstag freuen wie er, als er in seinem Alter war? Die Tatsache, dass Musik nicht mehr von CDs und Fotos nur noch vom Handy kommen, ist eng verknüpft mit der harten Erkenntnis, dass nicht nur Kinder älter werden, sondern besonders auch deren Eltern. Die krisengeschüttelte, in Windeseile erreichte Mitte des Lebens ist dekoriert mit Selbstzweifeln und der Angst davor, dass die eigene Frau irgendwann einen anderen küssen könnte.

Aber so ist eben das Leben: Eltern streiten sich, und Kinder suchen außerhalb des Familien-Kokons Freunde und irgendwann ihr eigenes Leben. Doch was, wenn die eigenen Kinder vielleicht doch nicht so cool und rebellisch sind, wie man sie gerne hätte, um sich im selben Augenblick trefflich über sie aufregen zu können?

„Wieso kann das Leben nicht ganz einfach leicht sein?“ Auch die zweite Staffel hält allerlei Probleme bereit und spielt dabei nicht auf der Feel-Good-Klaviatur üblicher Familien-Sitcoms: Ruppig und ungerecht geht es mitunter hier zu, wenn sich Paul und Ally mit sich und ihren Zöglingen beschäftigen. Das tut weh, hat aber auch etwas Heilsames: Hier kracht es oft, aber es wird auch viel verziehen, weil man sich doch eben noch liebt und keine Alternative zum familiären Zusammenleben in Betracht ziehen mag. Wie im richtigen Leben geht es in erster Linie darum, sich zu arrangieren. Das kann sehr anstrengend sein. Doch wenn Paul das Problem seines Sohnes versteht, wenn Ally erkennt, was sie für einen Schatz an Ava hat, oder wenn Paul und Ally im Lästern über wildfremde Menschen im Kaffee erkennen, dass sie nicht nur verheiratet, sondern auch Freunde sind, dann ist „Breeders“ auch in der zweiten Staffel dem Zuschauer wieder ganz nah.

Kein zwanghaftes Happy End

Keine halbe Stunde geben die Autoren ihren Charakteren pro Episode Zeit, um sich zu bewähren, und demonstrieren, dass es ehrlicher ist, dabei nicht zwanghaft auf ein Happy End abzuzielen. Das ist mitunter deprimierend, aber auch erfrischend, weil man zusammen mit den Protagonisten wächst. Keines der Familienmitglieder steht im Mittelpunkt. Im Gegenteil, manchmal spielen plötzlich die „Alten“ von Paul und Ally die erste Geige und zeigen, dass es noch mehr gibt als den von Reihenhausmauern begrenzten Kleinfamilien-Erlebnishorizont.

„Breeders“ weitet in der zweiten Staffel seine Erzählperspektiven. Episch könnte es werden – sozusagen das bürgerliche Gegenstück zu „The Crown“. Die Lebensverhältnisse mögen wesentlich kleinformatiger sein; aber wenn zum Beispiel in einer Folge Fragen von Religiosität im Alltag von zehnjährigen Mädchen in einem atheistischen Haushalt problematisiert werden, dann kommen doch ziemlich große Existenz-Fragen aufs Tapet. Wer braucht da noch das Königshaus? Um die Ecke an der Themse wird das wahre Leben gelebt – und man will wissen, wie es weitergeht.

Ab 20. Juli 2021 ist die komplette zweite Staffel von „Breeders“ bei Sky abrufbar.

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