Contemporary Past - Die Gegenwart der Vergangenheit

Dokumentarfilm | Deutschland/Polen/Rumänien 2019 | 61 Minuten

Regie: Kamil Majchrzak

Schüler aus Polen, Rumänien und Deutschland erkunden im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald das Schicksal von Sinti und Roma. Neben ihre Erfahrungen werden gegenwärtige Erlebnisse von Roma in Deutschland und Rumänien gestellt, die noch immer unter Diskriminierungen leiden. Der nur 60 Minuten lange Film setzt auf reine Beobachtung und spart erklärende oder einordnende Interviews aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TERAZNIEJSZOSC PRZESZLOSCI
Produktionsland
Deutschland/Polen/Rumänien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Les Funambules Film Prod./filMMate
Regie
Kamil Majchrzak
Buch
Kamil Majchrzak
Kamera
Tomasz Pawlik
Musik
Miroslav Rác
Schnitt
Michael Pawlik
Länge
61 Minuten
Kinostart
01.10.2020
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Der Film begleitet Jugendliche im KZ-Buchenwald auf den Spuren ermordeter Sinti & Roma und spürt der anhaltenden Diskriminierung gegen diese Gruppen nach.

Diskussion

22 Schüler unterwegs in einem Reisebus. Sie unterhalten sich, machen Selfies oder sind auf andere Weise mit ihren Handys beschäftigt. Was wie eine normale Klassenfahrt anmutet, gehört zu einem ungewöhnlichen Projekt. Die Teenager stammen aus Polen, Rumänien und Deutschland und sind unterwegs zur Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar, wo sie mehrere Tage zubringen. Es soll dabei besonders um das Schicksal der Sinti und Roma gehen, das in der Erinnerung an den Holocaust meist nur eine Nebenrolle spielt.

Die Namen ermordeter Kinder

Zu Beginn von „Contemporary Past“ erklären die Jugendlichen, einzeln oder in kleinen Gruppen, was sie über Buchenwald wissen und warum sie an dem Projekt teilnehmen. Es folgen mehrere Besuche der Gedenkstätte, die die Schüler sichtlich bewegen. Im Archiv schauen sie bei der Restauration von Fundstücken aus dem Lager zu oder meißeln die Namen der ermordeten Kinder in Gedenksteine. In Gesprächsrunden diskutieren sie, inwieweit die Morde an den Sinti und Roma im öffentlichen Bewusstsein oder im Geschichtsunterricht in ihren Herkunftsländern präsent sind.

Roma, die den Holocaust überlebt haben, treffen die Teenager nicht. Doch in einem Video erzählt ein ehemaliger Häftling, dass es im Lager am arbeitsfreien Sonntag Fußballspiele zwischen Polen und Roma gegeben habe. Das ist eine dieser Geschichten, die deutlich machen, dass es selbst in Konzentrationslagern eine Form von Normalität gab.

Nach einer halben Stunden wendet sich „Contemporary Past“ einer deutschen Roma-Frau zu, die in Buchenwald zusammen mit ihrer Zwillingsschwester scheußliche medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen musste und lange um Wiedergutmachung und Entschädigung gekämpft hat. Dann kommt eine armselige Barackensiedlung ins Bild, in der Roma klagen, dass ein Großteil ihrer Familien in Konzentrationslagern umgebracht wurde. Die heutige Situation ihres Wohnortes sei auch alles andere als rosig ist. Wo die Siedlung liegt, lässt der Film unerwähnt; da mehrfach der Name Antonescu fällt, darf man mutmaßen, dass die Siedlung in Rumänien steht. Dass Ion Antonescu (1882-1946) als rumänischer Diktator während des Zweiten Weltkriegs die massenhafte Deportation und Ermordung von Juden, Sinti und Roma verantwortete, muss man googlen; erklärt wird diese Historie im Film nicht.

Mehr Informationen wären hilfreich gewesen

Der polnische Dokumentarfilmer Kamil Majchrzak stellt auch eine Gruppe von Roma vor, die aus Mazedonien und Serbien nach Erfurt gekommen sind, um in Deutschland Asyl zu beantragen. Sie berichten von Diskriminierungen in ihren Heimatländern und klagen, dass ihre Chancen, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können, nicht sonderlich gutständen, da beide Nationen als sichere Herkunftsländer eingestuft werden.

Das Vorhaben, die Auseinandersetzung mit dunklen Kapiteln der Vergangenheit als Voraussetzung für die Gestaltung einer (besseren) Zukunft sinnfällig zu machen, ist zweifelsohne ehrenwert, doch der Regisseur hat sich für seinen nur 60 Minuten langen „Filmessay“, wie er die Dokumentation selbst nennt, etwas zu viel vorgenommen. Wie im Fall von Antonescu wären Hintergrundinformationen hilfreich gewesen; auch zum Projekt der Jugendlichen hätte man gerne mehr erfahren. So wie der Film ohne Statements von Historikern oder anderen Experten auskommt, verzichtet er gänzlich auf historisches Bildmaterial aus dem Konzentrationslager. Die Bildgestaltung ist weitgehend unspektakulär. Zumeist folgt die Kamera den Jugendlichen bei ihren Exkursionen; teilweise werden Sequenzen aus deren Handy-Filmen eingeschnitten; zwischendurch gibt es auch Drohnenaufnahmen vom Buchenwald-Gelände, zu denen dezente Klaviermusik in Moll erklingt.

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