Historienfilm | Schweiz 2020 | 94 Minuten

Regie: Micha Lewinsky

Ein braver Schweizer Polizeibeamter soll im Herbst 1989 im Schauspielhaus Zürich Informationen über linke und womöglich umstürzlerische Theaterleute sammeln. Da er an seiner Identität als angeblicher Schauspieler bald großen Gefallen findet und sich in eine Darstellerin verliebt, fallen seine Berichte so verständnisvoll aus, dass er selbst ins Visier seines Vorgesetzten gerät. Intelligenter Zusammenschluss von Komödie, Historienfilm, Romanze und Theatersatire mit einem hochkarätigen Ensemble und fantasievoller Ausstattung. Während die Zeitgeschichte mit origineller Fiktion geschickt verwoben wird, berührt der Film auch existenzielle Fragen nach einem „richtigen“ Verhalten. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MOSKAU EINFACH!
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Langfilm
Regie
Micha Lewinsky
Buch
Plinio Bachmann · Barbara Sommer · Micha Lewinsky
Kamera
Tobias Dengler
Musik
Ephrem Lüchinger
Schnitt
Bernhard Lehner
Darsteller
Philippe Graber (Viktor Schuler) · Miriam Stein (Odile Lehmann) · Mike Müller (Marogg) · Michael Maertens (Carl Heymann) · Eva Bay (Margot)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Historienfilm | Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
375 Media/Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 Schweizerdeutsch/dt.)
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Eine Komödie über einen braven Schweizer Polizisten, der 1989 im Zürcher Schauspielhaus eine linke Theatertruppe ausspionieren soll und Gefallen am Bühnenkosmos findet.

Diskussion

Dieser Film ist etwas ganz Eigenes. Er sträubt sich produktiv gegen viele mögliche Genrezuschreibungen und -festlegungen. „Moskau Einfach!“ ist historischer Schnappschuss, Komödie, zarte Romanze und Theatersatire in einem. Dazu wartet der Film auf mit einem homogenen, hochkarätigen Ensemble und einem intelligenten Drehbuch, das es versteht, geschickt original Zeitgeschichtliches mit origineller Fiktion zu verweben.

Fast fühlt man sich in eine Dystopie à la Brazil versetzt, wenn zu Beginn eine graubraune Bürohölle mit viel Papier, Schreibmaschinen und Abhörmonitoren präsentiert wird, bevölkert von braven Spießern in steilen Hierarchien. Was mit der stets fantasievollen und zeittreuen Ausstattung umgesetzt wurde, erinnert an die DDR in ihrer Hochphase, doch es ist Zürich in den späten Achtzigern. Welten können kaum weiter auseinanderliegen, sollte man meinen, dort Betonkommunismus, da der freie Westen, doch was selbst in der Schweiz kaum bekannt ist: Der eidgenössische Staatsschutz ließ über den Polizeiapparat jahrzehntelang die eigenen Bürger ausspionieren, insbesondere solche mit linken Neigungen, häufigen Auslandskontakten, Intellektuelle und Künstler.

Ein schlichter Polizist am Theater

Einer von jenen, die lauschen und eifrig notieren, ist Viktor Schuler (Philippe Graber), ein junger Polizist schlichten, unkritischen Gemüts, und ausgerechnet er wird plötzlich mit einem großen Spezialauftrag betraut: Er soll eine verdächtige, mit westdeutschen Elementen durchsetzte Theatertruppe am Zürcher Schauspielhaus infiltrieren, die dort unter der Leitung eines typischen Regie-Zampanos namens Heymann (Michael Maertens) „Was ihr wollt“ einstudiert. Mit von der Partie: Jungmimin und Regisseurs-Geliebte Odile (Miriam Stein). Erstaunlich schnell gewinnt Viktor glaubhaften Gefallen am Spiel mit Masken und Rollen – er ist ja schließlich bereits in solchen angetreten –, bis dahin, dass Identitäten zu verschwimmen und Loyalitäten unklar zu werden beginnen.

Insbesondere als sich seine „Ermittlungen“ auf Odile konzentrieren und beide einander auch romantisch näherkommen, ist bei seinen allzu verständnisvollen Rapporten an seinen verschlagenen Vorgesetzten Marogg (Mike Müller) die Rede vom „Stockholm-Syndrom“.

Buntes Treiben mit gekränkten Eitelkeiten

Das bunte Treiben der Truppe wird so satirisch gezeichnet, dass es mit seinen Regietheaterexzessen und gekränkten Eitelkeiten (Etwa Fabian Krüger als Klischee des Statisten) gerade noch realistisch genug erscheint; vielleicht gehört die radikale Auffassung von Shakespeares Komödie um Verkleidung und Verstellung aber auch in eine etwas spätere Zeit. Ob Maertens in sein Spiel Erfahrungen aus seinem Engagement in Bochum einfließen ließ? Die Integration der hoch- und schweizerdeutschen Dialoganteile gelingt übrigens mühelos.

Abseits der Bühne wachsen Odile und Viktor über sich hinaus; sie beweisen in existenziellen Fragen Haltung und äußern differenzierte Meinungen zu gesellschaftlichen Fragen, die den Film in dieser Hinsicht beinahe zum modernen „Bildungsroman“ in verwandelter Gestalt geraten lassen. Natürlich kommt irgendwann der Punkt, an dem vor allem Viktor Farbe bekennen und sich für ein richtiges Leben im falschen entscheiden muss. Dem Film gelingt es dabei, auf Makro- wie Mikroebene überzeugend zu sein, bis hin zu einem ernsthaften Diskussionsangebot über den Zusammenhang von Macht-Kunst-Gesellschaft.

Auch der klassische Handlungsaufbau ist geschickt: Auf dem dramatischen Höhepunkt, quasi dem 3. Akt des Film-„Stücks“, hat Odile ihren großen Auftritt (der auch den leicht obskuren Titel erklärt), und die Dinge laufen nun in beschleunigtem Tempo auf ein grandioses welthistorisches Finale und ein eher stilles Ende für die hier Beteiligten zu, mehr Utopie der Befreiung als reales Geschehen. Interessante Möglichkeiten bietet „Moskau Einfach!“ bei einer Neubewertung des Topos „Zeugen des Mauerfalls vor dem Fernseher“, der in neueren deutschen Serien wie Weißensee oder Deutschland 89 ebenso geschickt wie ansprechend in die jeweilige Handlungsstränge verflochten wurde.

„Eine Komödie. Was sonst?“

„Es ist eine Komödie geworden. Was sonst?“, schrieb Regisseur Micha Lewinsky selbst über den Film. „Die Zeit heilt keine Wunden, aber sie macht es möglich, über Verletzungen zu lachen. (...) Komödie ist Tragödie plus Zeit.“ Aber auch, zu den modernen gesellschaftspolitischen Implikationen, die seine Komödie mit künstlerischen Mitteln verhandelt: „Meine politischen An- und Absichten schreibe ich heute bereitwillig selbst ins Internet. Ohne ernsthaft zu bedenken, welche Konsequenzen das haben könnte.“

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