All In - The Fight for Democracy

Dokumentarfilm | USA 2020 | 102 Minuten

Regie: Lisa Cortes

2018 trat die afroamerikanische Politikerin Stacey Abrams als Kandidatin der Demokraten bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Georgia an und unterlag knapp dem konservativen republikanischen Gegenkandidaten – nachdem zahlreiche Wähler daran gehindert worden waren, ihre Stimme abzugeben. Von diesem heftig umstrittenen Ergebnis ausgehend arbeitet der Dokumentarfilm heraus, wie das US-amerikanische Wahlsystem Minderheiten schon immer systematisch diskriminierte. Obwohl der Film keine Distanz zu seiner Protagonistin erkennen lässt, überzeugt er als historisch wie filmisch stringente Beweisführung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ALL IN - THE FIGHT FOR DEMOCRACY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Story Syndicate
Regie
Lisa Cortes · Liz Garbus
Buch
Jack Youngelson
Kamera
Wolfgang Held
Musik
Gil Talmi
Schnitt
Nancy Novack
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Was sind Wahlen wert, wenn der Zugang zu den Wahlurnen von der Hautfarbe abhängt? Vor der US-Präsidentschaftswahl im November 2020 geißelt ein Dokumentarfilm Schieflagen im US-Wahlsystem.

Diskussion

Die Botschaft dieses Filmes ist einfach: „Geht wählen!“, lautet sie. In Wahlkampfzeiten mag das keine ungewöhnliche Aufforderung sein, doch angesichts der bevorstehenden US-Präsidentenwahl Anfang November 2020 gewinnt der Slogan besonders für die Wählergruppe der Afroamerikaner an Dringlichkeit. Denn ihr Urnengang ist – und das zeigt die Dokumentation „All In: The Fight for Democracy“ von Lisa Cortes und Liz Garbus eindringlich – auch heute beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Welcher der beiden Kandidaten – Donald Trump oder Joe Biden – sich nach dem 3. November 2020 Präsident der Vereinigten Staaten nennen darf, wird in einem höheren Maß als je zuvor vom Stimmverhalten der beiden größten Minderheiten im Land abhängen, dem der Latinos und der schwarzen US-Bevölkerung. Was aber, wenn genau diesen Wählergruppen systematisch der Zugang zur Wahl verwehrt werden sollte?

Gouverneurswahl in Georgia als Präzedenzfall

Dass es sich bei dieser Befürchtung keinesfalls um bloße Spekulation handelt, zeigen die Filmemacherinnen exemplarisch anhand der Vorgänge um die Gouverneurswahl im Bundestaat Georgia. Im Jahr 2018 war dort die Kandidatin der Demokraten, Stacey Abrams, gegen den ultrakonservativen Republikaner Brian Kemp angetreten. Die Umfragen vor der Wahl schienen für die Demokratin zu sprechen. Das war bemerkenswert in einem US-Bundesstaat, der lange Zeit als stabile republikanische Hochburg galt. Doch der demografische Wandel hat die Kräfteverhältnisse in Georgia verschoben. Waren es früher vor allem weiße Wähler in ländlichen Gebieten, die den Republikanern regelmäßig zur Macht verhalfen, sind es heute Minderheiten in Metropolen wie der Millionenstadt Atlanta, die zunehmend zum politisch bestimmenden Faktor werden.

Der Zweikampf um den Posten des Gouverneurs endete im Jahr 2018 knapp zu Ungunsten von Stacey Abrams. Mit 50,2 Prozent zu 48,8 Prozent setzte sich der umstrittene Brian Kemp durch. Dem Endergebnis ging jedoch eine heftige Diskussion um die Auszählung der Wählerstimmen voraus. Und noch mehr. Denn schon während der Abstimmung meldeten Bürgerrechtsgruppen gravierende Verstöße gegen den freien Zugang zur Wahl.

Wählergruppen werden diskriminiert

Vier bis fünf Stunden mussten laut Medienberichten zahlreiche Wähler anstehen, um ihre Stimme abzugeben. Eine erschreckende Zahl – vor allem afroamerikanischer Wahlwilliger – wurde zudem in den Stimmbüros abgewiesen. Begründung: Ihre Namen seien nicht im Wählerverzeichnis auffindbar. Anderen wurde die Stimme aufgrund fehlender Ausweispapiere verweigert. Wieder anderen wurde mitgeteilt, sie hätten ihre Stimme bereits abgegeben und dürften nicht zweimal abstimmen – Behauptungen, die nachgewiesenermaßen nicht zutrafen.

Dass sich hinter der notorisch niedrigen Wahlbeteiligung in den USA, selbst bei Präsidentschaftswahlen, eine Methode systematischer Diskriminierung von Minderheiten verbirgt, zeigt der Film in einer historisch wie filmisch stringenten Beweisführung auf. Für die Filmemacherinnen ist die Geschichte der Vereinigten Staaten durch eine unzulängliche Demokratisierung bestimmt, denn in den Genuss bürgerlicher Privilegien kamen lange Zeit fast ausschließlich Weiße; trotz vieler Fortschritte hat sich daran bis heute nicht viel geändert habe.

Düstere Aussichten für die Wahl im November

In der Wahlschlacht von Georgia waren es die historischen Traumata der Jim-Crow- und Reconstruction-Ära, die - vorangetrieben vom offenkundigen Manipulationswillen der republikanischen Partei - auf geradezu obszöne Weise erneut zu Tage traten. Wahlbüro-Schließungen, Wählereinschüchterung, regelrechte Säuberungen der Wählerlisten, unerfüllbare Identifizierungskriterien bei der Registrierung sowie die berüchtigten Wahlkreismanipulationen (das sogenannte „gerrymandering“) bescherten Kemp einen denkbar knappen Wahlsieg.

Vor den US-Präsidentschaftswahlen sind die Republikaner daher gewarnt. Die angstschürende Wahlkampfrhetorik von Donald Trump weist nicht zufällig Parallelen zur Mythenkonstruktion der dunkelsten Kapitel der US-Geschichte auf. Ohne Schwarze direkt als Gefahr für das friedliche Zusammenleben des Landes zu benennen, spielt Trump immer wieder auf angeblich unhaltbare Zustände in bestimmten Kommunen des Landes an; oft spricht er in dem Zusammenhang von „shitholes“ oder diffamiert afroamerikanische Politiker, die diesen Gemeinden vorstehen.

Bilder eine Gesellschaft in Flammen

Filmhistorisch spüren Cortes und Garbus der Beschwörung solch rassistischer Bilder einer Gesellschaft in Flammen anhand von D.W. Griffiths „The Birth of a Nation“ nach. In dem 1915 erschienenen Film wurde das Szenario einer schwarzen Mehrheitsgesellschaft an die Wand gemalt, in der eine weiße Minderheit unter den Repressalien ihrer neuen Herren zu leiden hat.

Es ist nicht überzogen, wie Cortes & Garbus zu behaupten, dass sich die Republikaner im Wahlkampf aus diesem verbalen wie bildsprachlichen Fundus bedienen, wenn sie vom drohenden gesellschaftlichen Kollaps schwadronieren, herbeigeführt durch radikale Kräfte. Filmisches Anschauungsmaterial liefern hierfür aktuelle Wahlwerbespots der Republikaner.

Der Blick auf die US-amerikanische Geschichte ist in „All In“ auch der von Stacey Abrams. Ihr Hintergrund in der Civil-Rights-Bewegung macht sie zur geradezu idealen Protagonistin. Die Regisseurinnen bereiten der demokratischen Politikerin eine Bühne und zeigen sich als regelrechte Fangirls von Abrahms. Etwa mehr Distanz zu seinem Gegenstand hätte dem Film gutgetan. Befremdlich mutet in dem Zusammenhang auch Abrams’ (Mit)wirken als Produzentin von "All In" an.

Cortes & Garbus zeigen sich aber gewissenhaft genug im Aufzeigen historischer Zusammenhänge und politischer Einordnung, um Vorwürfen der Parteinahme zu entkräften. Ihr engagierter Dokumentarfilm erhebt keinen Anspruch, ein Werk für die Ewigkeit zu sein. Es ist ein Film mit Verfallsdatum, ein Werk, das für den Gebrauch bis zum 3. November, dem Tag der Präsidentenwahl, bestimmt ist. Doch das macht „All In: The Fight for Democracy“ nicht weniger sehenswert.

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