Die Wand der Schatten

Dokumentarfilm | Polen/Deutschland/Schweiz 2020 | 94 Minuten

Regie: Eliza Kubarska

Ein nepalesischer Bergführer aus dem Volksstamm der Sherpa wird von einer russisch-polnischen Bergsteiger-Gruppe angeheuert, sie auf den Gipfel des Kumbhakarna zu führen. Nicht nur der Aufstieg sorgt dabei jedoch für Schwierigkeiten, zwischen den drei Bergsteigern entsteht ebenso Zwist wie zwischen dem Bergführer und seiner Frau. Ein mit imposanten Bildern des Himalaya-Gebirges aufwartender Dokumentarfilm, der den Bogen von Alltagsaufnahmen der Einheimischen bis zum packenden Szenario um die Macht der Natur und die Ohnmacht der Menschen spannt. Dabei werden die Gewissenskonflikte der Sherpas effektvoll der Arroganz der Bergsteiger gegenübergestellt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WALL OF SHADOWS
Produktionsland
Polen/Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Braidsmade Films/Corso Film/TILT Prod.
Regie
Eliza Kubarska
Buch
Eliza Kubarska · Piotr Rosolowski
Kamera
Piotr Rosolowski
Musik
Marcel Vaid
Schnitt
Barbara Toennieshen
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Ein bildgewaltiger Dokumentarfilm über die Konflikte eines nepalesischen Bergführers, der europäische Bergsteiger auf den als heilig geltenden Gipfel des Kumbhakarna führen soll.

Diskussion

Der Kumbhakarna ist mit seinen 7.700 Metern deutlich kleiner und weniger bekannt als der Mount Everest, doch er birgt ebenso viele, wenn nicht sogar mehr Geheimnisse und Gefahren. Er gilt als schwer bezwingbar und reizt daher Bergsteiger auf der ganzen Welt. Der mächtige Berg erinnert mit seinem kleinen Gipfel in der Mitte und den beiden hohen Steilgraten rechts und links davon an einen breitschultrigen Riesen und gilt als Haus Gottes. Am Fuße des Kumbhakarna lebt Ngada mit seiner Frau Jomdoe und den Kindern. Die Familie gehört zu den Sherpas, einem Volksstamm, der seit vielen Jahrzehnten davon lebt, Bergsteiger auf die Gipfel des Himalayas zu führen, ihre Lasten zu schleppen und sie zu versorgen.

Ngada ist einer der erfahrensten Bergführer vor Ort, seine Dienste sind begehrt, und trotzdem reicht das Geld nicht dafür, dass sein Sohn Dawa studieren kann. Da kommt die Anfrage von drei europäischen Bergsteigern gerade zur richtigen Zeit. Die sehr religiöse Jomdoe ist dagegen, dass Ngada den Auftrag annimmt. Für sie ist der heilige Berg ein schlafender Dämon, der jederzeit aufwachen kann, um sich zur Wehr zu setzen. Ngada setzt sich aber durch, und so gehen Ngada, Jomdoe und Dawa mit den Bergsteigern auf den Kumbhakarna. Aufgrund von Schneefällen und Stürmen wird das immer schwieriger, sodass der gesamte Zeitplan durcheinanderkommt.

Doch nicht nur das Wetter wird schlechter, auch die Stimmung im Camp ist auf dem Tiefpunkt. Ngada ist im Zwiespalt: Jomdoe fühlt sich in ihrer Ansicht bestätigt, dass der Berg sich rächen wird, aber Ngada weiß, dass er kein Geld bekommen wird, wenn er die Arbeit niederlegt. Die Bergsteiger haben sich mittlerweile zerstritten. Der Pole Marcin möchte den Aufstieg angesichts der Lawinengefahr und der Witterungsverhältnisse komplett abbrechen. So steigen die beiden anderen allein zum Gipfel auf.

Die Hybris, den Berg zu besiegen

Der Dokumentarfilm beginnt mit Alltagsbildern aus dem Leben der Sherpa-Familie, doch er entwickelt sich bald in Richtung eines Thrillers. „Dieser Film geht nicht ums Bergsteigen, er geht um Menschen“, sagt einer der beiden russischen Bergsteiger, und das hört und fühlt sich so an, als ob er es bedaure. Vorrangig stehen tatsächlich die Menschen im Mittelpunkt – als kleine, unbedeutende Winzlinge, die sich in ihrer Hybris vorgenommen haben, den Berg zu besiegen. Die handelnden Personen verfolgen dabei gegensätzliche Interessen, wobei aus dieser Konstellation eine beinahe ebenso große Spannung rührt wie aus der Frage, ob es gelingen wird, den Gipfel des Kumbhakarna zu besteigen.

Auf der einen Seite steht die einheimische Familie, die in der Region und in der Kirant-Religion verwurzelt ist. Doch sie ist finanziell komplett abhängig von den Bergsteigern, die mit dem Hubschrauber im Schnee beim Basislager landen, für das die Sherpa-Familie, viele Träger und Yaks vorher mühevoll alle Lasten bergauf transportiert haben. Dass sich Ngada und Jomdoe uneins sind über die Besteigung des Berges – zwar für einen guten Zweck, nämlich das Medizinstudium des Sohnes, aber letztlich doch aus materiellen Gründen – bleibt unterschwellig als Herausforderung erhalten, wird aber mehr und mehr verdeckt durch die Ansprüche und Forderungen der drei Europäer, denen die Familie gerecht werden muss. Die Widersprüche, die sich daraus entwickeln, sorgen dafür, dass die Sympathien sehr schnell eindeutig der Sherpa-Familie gehören. Zusätzlich wird der Aufstieg der beiden russischen Bergsteiger extrem spannend. Wird der Berg siegen oder die mit feinster Technik ausgestatteten Menschen in ihrem Willen, die Natur zu kontrollieren?

Größe, Schönheit und Grausamkeit der Natur

Eliza Kubarska ist nicht nur eine profilierte, preisgekrönte Dokumentarfilmerin von Werken wie „K2 – Touching the Sky“ (2015), sondern auch eine begeisterte Alpinistin. Sie weiß um die Gefahren in den Bergen, und sie zeigt die Größe und die Schönheit der Natur, aber auch ihre Grausamkeit. Für diesen Film hat sie eine ebenso einfache wie raffinierte Form gewählt: In Off-Texten, die häufig Jomdoe auf ihren Wegen begleiten, werden gleichnishafte Legenden um den Kumbhakarna und die Himalaya-Region erzählt. Durch die Verbindung zur Handlung, insbesondere was die Sherpa-Familie betrifft, ergeben sich dadurch immer neue spannende Bezüge, die letztlich in der Erkenntnis münden, dass Gott und damit die Natur dem Menschen überlegen ist.

Unfassbar schöne Aufnahmen aus der Bergwelt unterstreichen dies noch – glitzernde Eisfälle, bizarr geformte Gletscher und eigenartig rund gespülte Steilwände, aber auch spärlich bewachsene Gletschertäler, in denen die Familie den Dung der Yaks einsammelt, um ihn als Brennmaterial zu nutzen. Die Menschen in dieser imposanten Bergwelt sind demütig gegenüber der Schöpfung – die Berge sind eine ganz eigene, faszinierende Welt, die sie gleichzeitig verehren und fürchten. Kubarska arbeitet immer wieder mit Kameraeinstellungen, die die Bedeutungslosigkeit des Menschen gegenüber der Natur betonen: ein winziges Menschlein, das in der Steilwand hängt, oder ein Treck, der zwischen gewaltigen Gipfeln entlangführt. Sparsame Großaufnahmen zeigen gelegentlich auch Emotionen, geredet wird wenig. Hier werden Gefühle nicht ausgesprochen, hier werden sie gelebt. Im Angesicht der Schöpfung hat der Mensch zu schweigen.

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