Als im Sommer 2016 das Buch „Hillbilly Elegy“ erschien, galt es schnell als Erklärfibel über den bis dato (medial) weitgehend unbekannten Trump-Wähler. Es wurde zu einem Erfolgstitel, der monatelang die US-amerikanischen Bestsellerlisten dominierte. Der Autor J.D. Vance erzählt darin seine Geschichte und die seiner Familie. Die ursprünglich aus Kentucky stammenden Vance-Familie verschlug es nach Ohio, in den so genannten „Manufacturing Belt“, aus dem nach dem wirtschaftlichen Niedergang der oft zitierte „Rust Belt“ wurde. In Middletown, Ohio, fasst die Arbeiterfamilie Fuß und baut ein höchst bescheidenes Leben auf, das von Gewalt, Drogensucht und Armut geprägt ist. J.D. und seine ältere Schwester Lindsay wachsen bei einer alleinerziehenden, wankelmütigen Mutter auf, die ihrer tristen Realität mit wechselnden Liebesbeziehungen und dem Konsum harter Drogen zu entfliehen versucht. Zwar kann sie auch eine liebevolle, fröhliche Mutter sein, doch sie vermag keine Stabilität zu bieten. Deshalb wird die Großmutter „Mamaw“ zur wichtigsten Konstante im Leben von J.D. Eine Stütze, ohne die sein Lebensweg kaum möglich gewesen wäre. Der führte ihn über die Marines zum Jura-Studium nach Yale; heute arbeitet er erfolgreich im Finanzsektor.
Ein Familiendrama im luftleeren Raum
Dass sich Hollywood auf den schillernden Stoff stürzte, ist kaum überraschend. Regisseur Ron Howard hat die Aufsteiger-Story nach einem Drehbuch von Vanessa Taylor verfilmt. Doch der in vielerlei Hinsicht spannende Stoff findet keine überzeugende filmische Gestalt. Das zentrale Problem der Adaption liegt darin, dass die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten vollständig ausgeklammert bleiben. Wie es dazu kam, dass es der Vance-Familie und ihrem Umfeld finanziell und sozial so schlecht ergeht, wie ein reiches Land ganze Regionen und Milieus komplett vergessen konnte, und wieso im Leben von J.D.s Mutter nur noch Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit herrschen, erfährt man schlichtweg nicht.
Howard konzentriert sich ganz auf das Familiendrama, die über Generationen weitergegebenen Verhaltensmuster, aber auch auf deren Bruch durch Mamaw. Es hätte aber unbedingt einer Einbettung der Story in politisch-ökonomische Zusammenhänge bedurft. So hängt die Lebensgeschichte von J.D. Vance im luftleeren Raum; sein Schicksal und das seiner Angehörigen scheint pure Willkür oder reiner Zufall zu sein. Das ist eindeutig zu unterkomplex, gerade in Zeiten, in denen ein Populist wie Donald Trump auch nach seiner Wahlniederlage noch immer fast die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung hinter sich weiß – und eine Drogenepidemie das Land seit Jahren fest in ihrem Griff hält. Dagegen wirkt die Botschaft von „Hillbilly Elegy“ viel zu simpel: Wenn Du dich nur selbst genug reinhängst und zufällig auch noch eine toughe Oma hast, die an dich glaubt, dann kannst Du den „American Dream“ leben.
Hollywoods Ausflug ins „Prekariat“
Es gibt noch ein weiteres Problem mit „Hillbilly Elegy“: Der Ausflug der Hollywood-Prominenz in die ärmliche Appalachen-Provinz fühlt sich nicht richtig an. Zwar spielen vor allem Glenn Close als Mamaw, aber auch Amy Adams als Mutter Bev ihre nicht einfachen Rollen jeweils fantastisch: Mamaw, diese Kette rauchende, handfeste Frau, die eigene Fehler und Schuldgefühle an ihrem Enkel wiedergutzumachen versucht. Und Bev, die so gerne unbeschwert und stark wäre, es aber einfach nicht schafft und sich immer wieder aufgibt. Zwei tolle schauspielerische Leistungen. Dennoch fragt man sich, ob man diesen Stoff nicht mit unbekannteren, vielleicht sogar aus der Region stammenden Schauspielern hätte adäquater verfilmen können. Ähnliches gilt für Drehbuch und Regie. Man spürt eine gewisse Fremdheit gegenüber den Protagonisten und ihrem Setting. Wirklich durchdrungen haben Howard und Taylor das Milieu, in dem der Film spielt, nicht. Dieser Eindruck setzt sich auch in Kamera, Bildgestaltung und Lichtsetzung fort, die allzu glatt, konventionell und „hollywoodesk“ daherkommen.
Starke Momente als Familienmelodram
Trotzdem besitzt das Melodram starke Momente, die stets auf die Darsteller zurückzuführen sind. Neben Glenn Close und Amy Adams sind dies vor allem Owen Asztalos als junger J.D., der nuancenreicher wirkt als sein erwachsenes Alter Ego, das von Gabriel Basso etwas blass und unentschlossen gespielt wird. Auch Haley Bennett überzeugt als J.D.s aufopferungsvolle, müde wie lebenskluge Schwester Lindsay, während Freida Pinto als J.D.s Freundin zu wenig zu tun bekommt. Auch ragen manche Szenen heraus, in denen J.D.s Verbindung bzw. auch Abhängigkeit zu starken Frauenfiguren in stimmige Bilder gesetzt wird, etwa das wiederkehrende Motiv der hilfesuchenden, nach ihrem Sohn tastender Hand seiner Mutter.
Alles in allem aber verhandelt „Hillbilly Elegy“ ein zu brisantes Thema, um sich mit einem gänzlich unpolitischen und eher mittelmäßigen Melodram aus der Affäre stehlen zu können.