Drama | USA 2020 | 114 Minuten

Regie: Regina King

Am Abend des 25. Februar 1964 wird der junge Boxer Cassius Clay in Miami Schwergewichtsweltmeister. Der Champion feiert mit dem Polit-Aktivisten Malcolm X, dem Musiker Sam Cooke und dem Football-Spieler Jim Brown, spricht mit ihnen über ihre Verantwortung als Vorbilder für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. Die Adaption eines Theaterstücks setzt nicht auf die Aura von Ikonen und große Reden, sondern sucht nach den Menschen hinter den Masken und Ideologien. Behutsam erweitert die Regie das Kammerspiel um filmische Elemente wie Rückblenden und kommentierende Rahmungen und legt so Schicht um Schicht die Emotionen der vier Männer frei. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ONE NIGHT IN MIAMI
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Snoot Ent./ABKCO Films
Regie
Regina King
Buch
Kemp Powers
Kamera
Tami Reiker
Musik
Terence Blanchard
Schnitt
Tariq Anwar
Darsteller
Kingsley Ben-Adir (Malcolm X) · Aldis Hodge (Jim Brown) · Leslie Odom jr. (Sam Cooke) · Eli Goree (Cassius Clay) · Lance Reddick (Kareem X)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Eine Theater-Adaption über eine magische Nacht zum Auftakt der „Black Power“-Bewegung: Am 25. Februar 1964 wird Boxer Cassius Clay Schwergewichtsweltmeister und feiert mit dem Polit-Aktivisten Malcolm X, dem Musiker Sam Cooke und dem Football-Star Jim Brown.

Diskussion

Die Revolution mag schon in der Luft liegen, doch wird sie noch von Feuerwerken überdeckt. Erschöpft und erleichtert stehen die vier Männer auf dem Dach des Hampton House in Miami, eines schicken Motels, das eigens für afroamerikanische Stargäste eingerichtet wurde. „Die Raketen werden wohl für mich abgefeuert“, staunt der Boxer Cassius Clay. Mit nur 22 Jahren hat er gerade den großen Sonny Liston besiegt und ist der neue Schwergewichtsweltmeister; dieser Abend ist der Beginn einer Weltkarriere. Seine drei Kumpels sind nicht minder berühmt: der Bürgerrechtsaktivist Malcolm X, bereits eine Größe im Kampf gegen Rassismus, der NFL-Star Jim Brown, der soeben auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt ist, und der Sänger Sam Cooke, einer der Vorreiter des Soul, der kürzlich ein eigenes Plattenlabel gegründet hat. Die vier haben sich gerade ordentlich gezofft und müssen kurz durchschnaufen. Es ist der Abend des 25. Februar 1964, wenige Stunden nach Clays Boxkampf, der ihn über Nacht zum Superstar machen wird, und ein Jahr vor Malcolm X’ Ermordung.

Die vier Männer, um die der Film kreist, trafen sich damals tatsächlich, die Inhalte ihrer Gespräche hingegen sind nicht verbrieft. „One Night in Miami“ reimaginiert genau diese Nacht. Der amerikanische Autor Kemp Powers, kürzlich auch am Drehbuch von Pixars „Soul“ beteiligt, schrieb 2013 das gleichnamige Theaterstück darüber und lässt darin diese vier Ikonen der „Black Power“-Bewegung in einem Einakter aufeinandertreffen. Die Schauspielerin Regina King hat dieses Stück nun verfilmt. Dabei haben King und Powers die Bühnenfassung behutsam und doch effektiv an die narrativen Möglichkeiten des Films angepasst, ohne die Intimität des Kammerspiels ins Wanken zu bringen.

Vier Männer, vier große Egos, vier Haltungen

In einem ergänzten Prolog führen sie die vier Männer in all ihren Widersprüchen ein: Clays überhebliche Selbstüberschätzung endet in einer unnötigen Boxniederlage. Cookes Auftritt im berühmten Copacabana Club ist Triumph und Niederlage zugleich, weil er zwar vor Weißen spielt, diese ihn aber schändlich ignorieren. Malcolm X tritt im Fernsehen als selbstsicherer Prediger auf, ist jedoch zuhause von Selbstzweifeln geplagt und erwägt, mit seinem Mentor zu brechen. Jim Brown kommt als gefeierter Footballstar nach Georgia zurück und wird von einem weißen Familienfreund herzlich auf die Veranda seines ehemaligen Plantagenhauses eingeladen – was auf vermeintlicher Augenhöhe beginnt, endet darin, dass der Weiße ihn beiläufig-freundlich mit dem N-Wort betitelt und seine Hilfe beim Möbelrücken ablehnt, weil Schwarze das Haupthaus nicht betreten dürfen.

Der Schlag sitzt tief, denn diese Szenen machen deutlich: Egal wie groß der Erfolg auch sein mag, auch als Superstars werden sie nie gut genug für den weißen Durchschnitt sein, weil sie schwarz sind. So treffen an diesem Februarabend im Motelzimmer nicht nur vier übersprudelnde Egos aufeinander, sondern auch vier Geschichten und vier Auffassungen davon, welche Verantwortung sie als afroamerikanische Stars für ihre Community haben und mit welchen Mitteln sie sich für Gleichgerechtigkeit einsetzen können oder gar müssen. Malcolm X, damals bereits kurz davor, sich von der „Nation of Islam“ zu lösen, um eine eigene Organisation zu gründen, ist sicherlich der radikalste der vier, Sam Cooke der am wirtschaftlichsten denkende, dem die Genugtuung reicht, den Weißen mit seiner Musik das Geld aus den Taschen zu ziehen. Ähnlich ist Jim Brown drauf und dran, die Sportlerkarriere an den Nagel zu hängen und Schauspieler zu werden – schlichtweg um mehr Geld zu verdienen und es den Weißen so heimzuzahlen. Cassius Clay hat Malcolm X zu seinem Mentor gemacht und will am Tag nach seinem Sieg öffentlich bekanntgeben, dass er zum Islam konvertieren und fortan Muhammad Ali heißen wird – ein Affront gegen die weiße Presse, die sein übermäßiges Selbstbewusstsein bereits kritisiert hatte. 

Die kluge Inszenierung öffnet Reflexionsräume

Das Bitzeln und die Brisanz, die „One Night in Miami“ umgeben, speisen sich natürlich aus diesen schillernden Persönlichkeiten, aber auch aus dem historischen Blick des Films: aus dem Wissen, dass wenige Monate später der Civil Rights Act verabschiedet werden wird und sowohl Sam Cooke als auch Malcolm X ein Jahr später nicht mehr am Leben sein werden – Cooke wird Ende 1964 in einem Hotel erschossen und Malcolm X im Februar 1965 bei einer seiner Reden von Mitgliedern der „Nation of Islam“ ermordet. Der erst 1966 geprägte Begriff der „Black Power“ liegt hier schon in der Luft und „One Night in Miami“ schaut den ihm zugrundeliegenden Gedanken im Entstehen zu, ohne sich je von den vier Männern als Individuen abzuwenden.

Regina King nutzt dabei die Räumlichkeiten des Motels klug, um neben den teils philosophischen Gesprächen, teils harschen Auseinandersetzungen zwischen den vier Männern Platz für reflexive Momente zu schaffen: In visuellen Rahmungen öffnet sie Fenster zu den verschiedenen Identitäten und Rollen, die von den Männern erwartet werden: Fernsehauftritte laufen nebenher, Malcolm taxiert seine Freunde durch den Sucher eines Fotoapparats, private Gespräche mit der Familie werden in einer Telefonzelle geführt und stille Blicke in den Badezimmerspiegel geworfen. Denn statt in diesem geschützten Raum die Aura von Ikonen aufeinandertreffen zu lassen und ihnen große Reden in den Mund zu legen, sucht Regina King nach den Menschen hinter den Masken, Ideologien und Gesten, nach ihren emotionalen Beweggründen und Zweifeln.

Es geht um emotionale Genauigkeit

Gemeinsam mit ihren vier brillanten Darstellern gelingt es King, tief in die Psyche und die Gefühlswelt der Männer einzutauchen. Besonders Kingsley Ben-Adir (bekannt als Barack Obama in „The Comey Rule“) in der Rolle des Malcolm X schafft es kraftvoll, die innere Zerrissenheit hinter dem überzeugten Ego des Anführers zu erkunden. Leslie Odom Jr., der als Aaron Burr im Musical Hamilton zum Star wurde, schillert in der Rolle des Sängers Sam Cooke. Dessen Wille, mit seiner Musik am gesellschaftlichen Wandel mitzuwirken, verdichtet King sowohl in dessen neidvoller Bewunderung für Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“ – eine tatsächlich überlieferte Anekdote – und einer der wenigen Rückblenden des Films, in dem er seinen Song „Chain Gang“ mit einem ganzen Konzertsaal in Baltimore zur Andacht werden lässt.

Ob die Gespräche und Geschichten wirklich alle so stattgefunden haben, ist dabei unerheblich, denn es geht nicht um historische Präzision, sondern um emotionale Genauigkeit, die King um diese realen Figuren webt. Ihr Dilemma zwischen intellektueller und ökonomischer Selbstbehauptung, privater und öffentlicher Persona sowie der Offenheit, die sie selbst fordern und der Loyalität, die sie ihrer Community schulden, werden umso deutlicher. Dass King diese nicht alle auflösen kann, sondern als im Werden begriffen so stehen lässt, ist eine der Stärken des Films, denn das Besondere an diesen vier Männern wird nicht sein, dass sie alle Probleme lösen werden, sondern dass sie die richtigen Fragen gestellt haben – und Teil der Antwort sein wollen.

Kommentar verfassen

Kommentieren