Tatort - Die Ferien des Monsieur Murot

Krimi | Deutschland 2020 | 88 Minuten

Regie: Grzegorz Muskala

Ein „Tatort“ auf den Spuren des Komödienklassikers „Die Ferien des Monsieur Hulot“ von Jacques Tati. Der hessische Kommissar Murot stößt beim Urlaub im ländlichen Idyll auf einen Geschäftsmann, der ihm bis aufs Haar gleicht. Als dieser auf verdächtige Weise ums Leben kommt, beschließt Murot kurzerhand, undercover zu ermitteln, indem er in die Rolle des Toten schlüpft. Das verlockende Spiel mit einer anderen Existenz nutzt lustvoll filmische wie literarische Referenzen und liebäugelt melancholisch mit der Atmosphäre der 1970er-Jahre, lässt es aber etwas an kriminalistischer Spannung missen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Hessischer Rundfunk
Regie
Grzegorz Muskala
Buch
Grzegorz Muskala · Ben Braeunlich
Kamera
Carol Burandt von Kameke
Musik
Bertram Denzel
Schnitt
Stefan Blau
Darsteller
Ulrich Tukur (Felix Murot/Walter Boenfeld) · Barbara Philipp (Magda Wächter) · Anne Ratte-Polle (Monika Boenfeld) · Thorsten Merten (Peter Lessing) · Carina Wiese (Birgit Lessing)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Krimi
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Anspielungsreicher „Tatort“ um den Wiesbadener Kriminalkommissar Felix Murot, der in die Rolle eines tödlich verunglückten Geschäftsmannes schlüpft, dem er bis aufs Haar gleicht.

Diskussion

Ein Postkartenidyll, „Herzliche Urlaubsgrüße aus dem schönen Taunus“. Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) macht Ferien und versucht in einem der wenigen original erhaltenen Hotel-Restaurant-Cafés auszuspannen, die den zweifelhaften Charme vergangener Jahrzehnte versprühen ‒ „draußen nur Kännchen!“. Nostalgie liegt in der Luft wie der Geruch von Kaffee Hag, vielleicht auch ein wenig die Melancholie langer, beschäftigungsloser Sommertage. Murot jedenfalls, gewandet in weißes Leinen irgendwo zwischen Monsieur Hulot und Gustav von Aschenbach und herangeglitten in seiner ganz speziellen Barke, seinem NSU Ro 80, fühlt sich zu philosophischen Betrachtungen animiert, als er mit dem Füllfederhalter jene Postkarte an seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) verfasst, die ihr auf eher makabre Weise zugespielt wird. „Aus dem gewohnten Raum heraustreten“ und „als ein ganz anderer wiederkehren“, das könne er sich wohl vorstellen. Doch wer solches wünscht, fordert wie im Märchen das Schicksal heraus.

Die Betonung liegt auf „Alter“

Durch eine absurde Verwechslung steht Murot plötzlich seinem veritablen Alter Ego gegenüber, mit Betonung auf „Alter“, denn der großsprecherische Autohändler Walter Boenfeld (eine Doppelrolle für Tukur), der Murot wie ein Ei dem anderen gleicht, hat rein gar nichts von dessen diskreter Eleganz. Doch Boenfeld kann (sich) verkaufen und besitzt etwas unwiderstehlich Gewinnendes; und so verbringen die beiden alternden Herren einen rauschenden Abend mit viel Wein und Albernheit zusammen, inklusive eines gemeinsamen Besuchs in Boenfelds Privatsauna, die ein ganz in Rot getaucht infernalisches Gepräge bekommt.

Am nächsten Morgen findet sich Murot schwer verkatert in den Kleidern des anderen wieder, während dieser bei seinem betrunkenen nächtlichen Gang auf der Landstraße, der wie ein Fluchtversuch wirkt, (offenbar vorsätzlich) von einem Auto überrollt wurde. Murot ist sogleich misstrauisch, umso mehr als Boenfeld ihm zuvor noch halb scherzend erzählt hatte, dass seine Frau ihn umzubringen plane. Um seinem Verdacht nachzugehen, setzt er auf die Strategie des teilnehmenden Beobachters. Er fügt sich, so gut es geht, in die Rolle des anderen ‒ die Anpassung gelingt wie bei Monsieur Hulot nicht gerade glänzend ‒ und erprobt zunächst tastend, dann immer souveräner und mit sichtlichem Gusto die so andere Lebensweise mit Frau und Hund, echten und falschen Freunden, wirklichen und erträumten Geliebten, Gartenpartys und Tennis-Matches.

Jung, schön und rätselhaft

Die fremde Kommunikation wird ihm eigen, das große Entweder-oder von Ehe und Freiheit offenbart sich komplex und verlockend, denn Boenfelds Frau (Anne Ratte-Polle) ist jung, schön und rätselhaft. Nie weiß er, ob er überzeugt oder längst aufgeflogen ist, da auch die anderen ihre eigene Agenda verfolgen und ein neuer, falscher Boenfeld ihnen womöglich nur zupasskäme. So geistert Murot (beinahe im Wortsinn) als irrlichternde Existenz durch sein neues Leben, sichtlich unschlüssig, wie weiter zu verfahren sei. Aber wem ginge es nicht ebenso in seiner Situation?

Unterdessen müssen auch kriminalistische Ermittlungen zu dem Toten auf der Landstraße in Gang kommen, schließlich handelt es sich auch bei den „Murot“-Fällen um einen Krimi der „Tatort“-Reihe. Zunächst hält die arme Kollegin Wächter den Toten für ihren verblichenen Chef. Spitzbube, der er ist, kann Murot es sich in Tom-Sawyer-Manier nicht verkneifen, bei seiner eigenen Beerdigung als Zaungast zu erscheinen. Dies quittiert Kollegin Wächter dann doch mit einigen gezielten Backpfeifen, als der Schwindel zumindest hier auffliegt und die beiden nun verdeckt im Team ermitteln.

In einer optisch hinreißenden, filmisch sehr gut eingefangenen Szene im Kurpark von Bad Homburg wird man Zeuge eines hart geführten Tennis-Doppelspiels, das Murot nicht nur endgültig Boenfelds Frau gewinnt, sondern auch mit einer kleinen vergleichenden Studie zum Anfängerglück in jener Sportart aufwartet, über (erneut) Herrn Hulot zurück bis zu einem anderen Felix (Krull), denen solches ähnlich glückte. Und wie dort muss hier offenbleiben, wie sehr Murot sich den endgültigen Ausstieg aus seinem alten Leben herbeisehnt - was diesem „Tatort“-Folge ein ziemlich packendes Finale beschert.

Eine solipsistische Rolle

Regisseur Grzegorz Muskala und Drehbuchautor Ben Braeunlich operieren dramaturgisch und inszenatorisch geschickt mit den Motiven von Spiegel, Doppelgänger und ein wenig auch des Hochstaplers ‒ man achte etwa gleich auf den Beginn oder rätsle mit, wie viele Autos der Marke Mercedes es in diesem Fall eigentlich geben muss. Die Ausstattung ist tadellos und erweckt wie so oft in der „Tatort“-Reihe die Zeit der 1970er-Jahren zu fragwürdig neuem Leben. Der „schöne Taunus“ kommt zu seinem Recht. Murots Rolle im Wiesbaden-Team war von jeher solistisch angelegt; hier ist sie es umso mehr, wobei Tukur vielleicht allzu geschmeidig durch das Set und die Krimihandlung gleitet. Ein wenig mehr Binnenspannung, generell, aber auch in Tukurs Agieren, hätte dem Fall gutgetan.

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