„Louis van Beethoven“ von Niki Stein handelt vom jungen Beethoven, der „Louis“ statt „Ludwig“ genannt wurde. Er wuchs in Bonn auf, wie das auch bei Niki Stein der Fall war. Diese Parallelität mag durchaus eine Rolle gespielt haben, aber es gibt noch ein weiteres Vorbild: „Amadeus“ (1984) von Miloš Forman, der den Wunderkind- und Genie-Mythos um die Person von Wolfgang Amadeus Mozart zugunsten eines jungen Menschen mit Stärken und Schwächen dekonstruierte.
Stein geht es ebenfalls darum, den in Bonn aufgewachsenen Beethoven von seiner Kindheit und Jugend aus zu denken; Mozarts Musik spielt dabei immer auch eine Hauptrolle. Hier am Rhein hatte er dem Drehbuch zufolge all jene geistigen Anregungen erhalten, die sein späteres Schaffen prägten. Mit diesem Ansatz gelingt zugleich auch ein eindrückliches Porträt von Bonn als Residenzstadt während der Zeit der einflussreichen kurkölnischen Fürstbischöfe, die 1794 mit der Besetzung durch napoleonische Truppen endete. 1815 wurde Bonn Teil der preußischen Rheinprovinz, wodurch der Stadt nicht nur die alte politische Elite, sondern auch ein Teil ihrer eigenständigen kulturellen Identität abhandenkam. Beethoven verließ Bonn 1792 im Alter von 22 Jahren und ist dann nie mehr zurückgekehrt. Sein neuer Schaffensort wurde Wien.
Jugend und Alter spiegeln sich
Der Film erzählt von Beethovens Jugendzeit ab 1778, wobei der Musiker zunächst von Colin Pütz und Anselm Bresgott dargestellt wird. Rückblenden aus dem Jahr 1826 enthüllen, wie in dieser Zeit das Fundament für Beethovens Genialität gelegt wurde. Dieses Jahr verbrachte der erwachsene Ludwig van Beethoven (Tobias Moretti) bei seinem Bruder im österreichischen Krems. Aus dem Komponisten ist inzwischen ein gehörloser Griesgram geworden, der seine erfolgreichste Zeit hinter sich hat. Stein erzählt von dieser Zeit jedoch in einer Weise, dass sich in ihr Ereignisse aus Beethovens Jugendzeit spiegeln. Am Ende wird die Abreise aus Bonn im Jahr 1792 parallel zur Abreise aus Krems zurück nach Wien erzählt. Auf dieser Reise erkrankte Beethoven an einer Lungenentzündung, an deren Folgen er am 26. März 1827 erlag.
Beethovens rheinischer Zungenschlag bleibt ihm im Film zeit seines Lebens erhalten, wie hier auch die Wiener leicht wienern und sein Bonner Lehrer Christian Gottlob Neefe (Ulrich Noethen) gelegentlich einen sächsischen Akzent hörbar werden lässt. Die Person des aus Sachsen stammenden reformierten Komponisten und Bonner Hoforganisten Neefe als dem musikalischen Lehrer Beethovens ist historisch verbürgt. Ob Neefe aber tatsächlich die dominante Rolle spielte, die Stein ihm hier andichtet, bleibt offen. Auch die Figur der Helene von Breuning (Silke Bodenbender) als große Förderin von Beethovens Talent ist zwar historisch belegt, doch die dargestellten Details sind vom Drehbuch hinzuerfunden.
Der Orgel droht die Luft auszugehen
Dass Beethoven katholisch getauft und erzogen worden ist, wird sichtbar gemacht, ohne explizit benannt zu werden. Dass es auch Protestanten am Rhein gab, wird mit einer historisch eher unwahrscheinlichen Episode verdeutlicht. Bei einer Aufführung von Händels „Halleluja“ durch seinen Lehrer Neefe muss Louis als Kind den Blasebalg für die Orgel treten. Er lässt sich dabei aber ablenken, woraufhin der Orgel die Luft auszugehen droht. Darauf spricht Neefe überdeutlich in die Kamera: „Macht man das hier im Rheinland so mit Protestanten?“
Auch Mozart tritt als Person auf, allerdings eher als karikaturhaft überzeichnete Figur (Manuel Rubey), zu der der junge Beethoven bei seinem ersten Wien-Aufenthalt vergebens Kontakt aufzunehmen versucht. Wie das dann doch geschieht, ist eine Erfindung Steins; historisch überliefert ist dagegen, dass Joseph Haydn auf der Rückreise aus England in Bonn Station machte und Beethoven so zu seinem zweiten Aufenthalt in Wien verhalf, von dem er dann nicht mehr nach Bonn zurückkehrte.
In dem von Kurfürst Maximilian Franz von Österreich, einem Sohn der österreichischen Regentin Maria Theresia, regierten Bonn blickte man zu Beethovens Jugendzeit kulturell nach Wien. Es war deshalb auch selbstverständlich, dass dieser musikalisch hochbegabte Junge dorthin geschickt wurde und nicht nach Berlin oder Leipzig. Auch die neuen politischen Ideen kamen zu dieser Zeit nicht aus Deutschland nach Bonn, sondern der revolutionäre Wind wehte eher aus dem Südwesten, sozusagen von Frankreich aus den Rhein hinunter. In der Region gab es seinerzeit politische Unruhen; auf diese Weise dürfte Beethoven in Bonn mit den Ideen der Französischen Revolution in Berührung gekommen sein. Stein bringt ihn aber auch explizit mit deutschen Geistesgrößen in Berührung: mit der Literatur von Lessing, Goethe und Schiller und der Musik von Johann Sebastian Bach.
Die Lebensgeschichte steht im Mittelpunkt
Was in der Filmerzählung fehlt, sind die Jahre der großen Erfolge Beethovens in Wien, so auch die Zeit, als dort der Wiener Kongress tagte (1814/15), an dem über 200 europäische Staaten teilnahmen, um nach dem Sieg über Napoleon den europäischen Kontinent neu zu ordnen. Man kann davon ausgehen, dass auch Beethoven am kulturellen Rahmenprogramm der Veranstaltung gut verdient hat. Neben etlichen, aus diesem Anlass von ihm verfassten Huldigungsmusiken, die heute vergessen sind, entstanden in dieser Zeit auch seine siebte und achte Sinfonie. Ebenso feierte damals die dritte (endgültige) Fassung seiner Oper „Fidelio“ Premiere, eine sich gegen politische Tyrannei richtende Befreiungsoper. Beethoven könnte mit dem Stoff seinerzeit den „terreur“ der Jakobiner unter Robespierre in Frankreich angeprangert haben, so eine mögliche Interpretation. Im Januar 2020 hat Volker Lösch diese Oper in einer bemerkenswerten Neuinszenierung für die Oper Bonn in expliziten Zusammenhang mit der Verfolgung von Kurden und politischen Gegnern in der Türkei gebracht.
In „Louis van Beethoven“ hört man zumeist nur musikalische Ausschnitte aus Beethovens Früh- und Spätzeit; für die meisten Szenen wurden sie sogar live beim Dreh aufgenommen. Als Bonner Hoforchester agierte das Czech Ensemble Baroque, das in hoher Qualität auf historischen Instrumenten spielt. Das macht den Film jedoch nicht zu einem Musikfilm, da große Teile der klassischen Werke von Beethoven ausgespart bleiben. Der Schwerpunkt der Filmerzählung liegt vielmehr auf der Lebensgeschichte eines Genies, dessen Anfang und Ende parallel zueinander erzählt werden.