In seiner Paraderolle als Walter White in der Kultserie „Breaking Bad“ vollzog Schauspieler Bryan Cranston spektakulär die Entwicklung einer bürgerlichen Existenz zum Drogenboss. In der 10-teiligen Serie „Your Honor“ macht er nun eine ähnliche Entwicklung durch, wenn auch nicht ganz so tiefgreifend. Denn anders als für Cranstons Alter Ego in „Breaking Bad“, das mit immer mehr Gusto vom einfachen Chemielehrer Walter zum Crime-Lord „Heisenberg“ wurde, gilt es für ihn in seiner neuen Rolle als Vertreter der Justiz an einem Gericht der US-Stadt New Orleans, das Bild des Vorzeigebürgers Michael Desatio unbedingt aufrechtzuerhalten. Was, wie sich herausstellt, nicht einfach sein wird.
Aus einer Fahrerflucht wird eine Abwärtsspirale schuldhafter Verstrickung
Grund dafür sind diesmal nicht seine eigenen Verfehlungen, sondern die seines Sohnes Adam (Hunter Doohan). Der ist eines Tages im Auto unterwegs und überfährt in einer unglücklichen, beinahe schicksalhaften Situation einen gleichaltrigen Jungen auf dem Motorrad. Adam begeht Fahrerflucht und droht damit seine Existenz sowie den guten Ruf seines Vaters zu zerstören. Der Richter rät dem Sohn, sich den Behörden zu stellen; als Michael jedoch herausfindet, wen sein Zögling bei dem Unfall getötet hat, ändert er in der Polizeistation schlagartig den Kurs und beschließt gemeinsam mit Adam, das Desaster zu vertuschen. Der Tote Rocco ist nämlich niemand Geringeres als der Sohn des örtlichen Mafia-Bosses Jimmy Baxter (Michael Stuhlbarg). Ein Name wie aus einem Film noir. Und ein Clan, der New Orleans in seinen Händen zu haben scheint.
Der Richter und sein Sohn beschließen angesichts dieser Bedrohungslage, das Tatfahrzeug klammheimlich verschwinden zu lassen. Michael Desatio setzt hierbei ganz auf seine politisch äußerst zweifelhaften Verbindungen. Tatsächlich ist der Familienwagen am nächsten Tag aus der Einfahrt des Richterhauses verschwunden. Kurz darauf wird der junge Schwarze Kofi Jones wegen Diebstahls verhaftet. Da er im Tatfahrzeug aufgegriffen wird, gilt er umgehend auch als verdächtig, den Sohn der Verbrecherfamilie Baxter niedergefahren haben.
Im Visier: Gesellschaftliche Ungerechtigkeit
Die Serie „Your Honor“ legt an dem Punkt den Finger in die gesellschaftliche Wunde der Diskriminierung von Afroamerikanern in den USA. Ein mehr als deutliches soziales Gefälle wird offenbar: Anstelle des in privilegierten Verhältnissen groß gewordenen Adam muss ein junger Schwarzer für seine Taten geradestehen. Die Thematisierung weißer Privilegien in Verbindung mit einem in dieser Hinsicht dysfunktionalen amerikanischen Justizsystem ist in US-Serien gerade ein viel bearbeitetes Thema. Prominent und erzählerisch auf hohem Niveau wurde es zuletzt in der HBO-Krimiserie „The Undoing“ mit Nicole Kidman und Hugh Grant verhandelt.
Eine Szene in „Your Honor“ bleibt in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung: Bei seiner Verhandlung soll sich Kofi Jones (Lamar Johnson) auf richterliches Geheiß vor einem mit Zuschauern gefüllten Gerichtssaal entkleiden, um so auf seinem Oberkörper tätowierte Gangabzeichen zu offenbaren. Die Ausstellung des jungen Schwarzen zeigt sich hier in Form einer öffentlichen Fleischbeschau, in welcher der nackte afroamerikanische Körper zur Projektionsfläche diverser (weißer) bürgerlicher Ängste wird. Es ist eine beklemmende Szene, die auch aufgrund ihrer historischen Aufladung lange nachwirkt.
Eine etwas schwache Neuinterpretation einer israelischen Originalserie
Leider zeigt sich die Produktion nur stellenweise auf solch hohem Inszenierungs-Niveau. Die Adaption der intelligenten und komplexen israelischen Originalserie „Kvodo“ erlaubt sich inhaltliche Vereinfachungen und gerät unter dem Showrunner Peter Moffat bisweilen allzu schematisch und vorhersehbar. Daran ändert leider auch eine herausragende Besetzung wenig. Im Gegenteil. Bryan Cranston wirkt über weite Strecken unentschlossen und fahrig; Michael Stuhlbarg in seiner Rolle als Gangsterboss seltsam überfordert, deplatziert und milde. Seine Ehefrau, gespielt von Hope Davis, wiegt die unbewegte Gleichmut des Familienoberhauptes auf. In der Rolle von Gina Baxter, der trauernden Mutter des toten Jungen, spielt sie das skrupellose, von Rachedurst erfüllte Biest präzise und furchteinflößend. Manche Handlungsentwicklungen dagegen wirken unmotiviert und konfus. Was vielversprechend als kurzweilig-spannendes Kriminal- und Gesellschaftsstück beginnt, erschöpft sich schnell in einer einfallslosen und unterkühlten Inszenierung, der selbst ihr Handlungsort, das bewegte New Orleans, nicht wirklich Leben einzuhauchen vermag.