Jeong-yeon (Lee Yeong-ae) und ihr Mann Myeong-guk (Park Hae-joon) leben in einer Art Koma. Die sozialen, gesellschaftlichen und alltäglichen Verpflichtungen spult das Paar noch mit stoischer Routine ab, das Leben selbst aber verharrt im Stillstand. Allein eine radikale Hoffnung hält die Beziehung am Leben: die Hoffnung, den verschwundenen Sohn Yun-su vielleicht doch eines Tages wieder in die Arme schließen zu können. Seit nunmehr sechs Jahren hält das Paar die permanente Suche aufrecht. Sechs Jahre, in denen der Vater, im Auto übernachtend, wieder und wieder die Großstädte und Provinzen Südkoreas absucht.
Die Suche zieht sich bereits so lange hin, dass sich Jeong-yeon als Mutter fragt, ob es überhaupt eine Rückkehr zu dem Familienleben geben kann, an dessen Erinnerung sich die Eltern noch klammern. Vater Myeong-guk glaubt fest daran. Dann stirbt er durch einen Autounfall. Nicht das Glück weckt Jeong-yeon aus dem Wachkoma der anhaltenden Trauer, sondern ein weiterer Verlust. Der Tod des Mannes bedeutet jedoch nicht nur den nächsten Schicksalsschlag, sondern auch ein landesweites Medienecho, das die Mutter erneut zur Hoffnung zwingt: In einem abgelegenen Fischerdorf wird ein Junge gesichtet, der ihrem Sohn sehr ähnlich sieht.
Ein Wechselspiel des Leidens
Bevor Jeong-yeon in besagtes Dorf aufbricht, ist der Film längst dort angekommen. Die ersten Bilder des Jungen, der Yun-su zum Verwechseln ähnlich sieht, zeichnen bereits das nächste Trauma vor, dass die Mutter erwartet. In einer lokalen Zweckgemeinschaft wird der Junge tagsüber an einer Angelstelle zum Arbeiten gezwungen, während er nachts schutzlos dem Sadismus der anderen Arbeiter ausgesetzt ist. Im Wechsel zwischen dem schweren Weg der suchenden Mutter und den Qualen des gesuchten Kindes, etabliert Regisseur Kim Seung-woo eine Art Suspense des Leids. Jeder Schmerz, den das Kind erleben muss, steht auch der Mutter noch bevor. Ein beklemmendes Wechselspiel, das sich immer wieder symbolisch in den Gezeiten spiegelt: Die Ödnis des Watts, das bei Ebbe zur Wüste auszutrocknen scheint, verwandelt sich in nur wenigen Stunden in eine tödlich brodelnde Flut.
Mitnichten ist das Zentrum des Thrillers jedoch die von der Flut angedeutete Konfrontation zwischen der Dorfgemeinschaft und der von Lee Yeong-ae gespielten Protagonistin. Die als „Lady Vengeance“ in Park Chan-wooks gleichnamigem Film international bekannt gewordene Schauspielerin kehrt nach 15 Jahren nicht nur zum Film, sondern auch zu ihrem damaligen Rollen-Prototyp zurück. Anders als Parks Film, der mit ästhetisierter Grausamkeit das Phänomen der Rache aus weiblicher beziehungsweise mütterlicher Perspektive seziert, bleibt „Bring Me Home“ immer ein Film des Verlusts.
Die Gewalt ist der permanente Begleiter
Mit der im zeitgenössischen koreanischen Kino üblichen, für einen Debütfilm aber durchaus überraschend rigiden Trostlosigkeit zeichnet Kim Seung-woo das fortwährende Trauma nach. Visuell ist das weniger ästhetisiert als bei den Genreverwandten aus dem Rache-Segment, aber in seiner Brutalität nicht weniger konsequent. Die Gewalt kommt nicht in Eruptionen, sondern als permanenter Begleiter. Entsprechend verstört der Film weniger dadurch, dass er explizit zur Schau stellt, als vielmehr durch die gnadenlose Beiläufigkeit seiner Grausamkeit. „Bring Me Home“ ist mit systematischer, geradezu autoritärer Unerbittlichkeit auf Effekt getrimmt. Eine Konstruktion, die nicht plötzlich, sondern langsam und schmerzvoll die Schrauben des Schicksals anzieht.
Das gilt nicht allein für die traumatisierte Protagonistin und ihren angeblichen Sohn. Kindesentführung ist im Film auch immer als ein gesellschaftliches Problem spürbar. Das dazugehörige Korea erscheint als tristes Abbild eines von Abhängigkeitsverhältnissen und pathologischer Vereinzelung geprägten Sozialgefüges. Das Ausmaß der Tragödie bleibt entsprechend nicht auf die Verlies-artigen Container begrenzt, in denen die Küstenort-Gemeinschaft unter der Führung des korrupten Polizisten Hong (Yoo Jae-myung) die von ihr versklavten Kinder vor der immer wieder auftauchenden Jeong-yeon versteckt. Der Sadismus im Fischerdorf ist kein erschreckender Einzelfall: Er hat Geschichte, ist gewachsen – inmitten einer Gemeinschaft, die über Jahrzehnte weggesehen hat.