Die Zähmung der Bäume - Taming the Garden

Dokumentarfilm | Schweiz/Deutschland/Georgien 2021 | 91 Minuten

Regie: Salomé Jashi

Im Auftrag eines Milliardärs wird ein riesiger, einhundert Jahre alter Tulpenbaum von einem Küstenort an der georgischen Schwarzmeerküste in den Norden des Landes transportiert, wo er in einem modernen Baumgarten als Symbol von Geld und Macht sein weiteres Dasein fristen soll. Der dokumentarische Film verfolgt in bestechend klaren, verstörend schönen Bildern diese Aktion und überlässt es den Zuschauern, sich darauf einen Reim zu machen. Ein beeindruckender Film über die Verwerfungen und Ambivalenzen der Gegenwart, der das Verhältnis der Moderne zu ihrer Umwelt bestechend vor Augen führt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TAMING THE GARDEN
Produktionsland
Schweiz/Deutschland/Georgien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Mira Film/Sakdoc Film/Corso Film
Regie
Salomé Jashi
Buch
Salomé Jashi
Kamera
Goga Devdariani · Salomé Jashi
Schnitt
Chris Wright
Länge
91 Minuten
Kinostart
02.12.2021
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Die Verpflanzung eines Tulpenbaums aus einer Küstenstadt an der georgischen Schwarzmeerküste in den künstlichen Garten eines Superreichen enthüllt Macht und Ohnmacht im Zeitalter des Anthropozän.

Diskussion

Es ist ein Bild, das sich einprägt: ein von einem Schlepper gezogenes Transportschiff mitten im blauen Meer. Die Ladung besteht aus einem einzigen Baum, einem Tulpenbaum. Heimisch ist seine Art in Nordamerika. Gepflanzt wurde er vor etwa hundert Jahren in der georgischen Küstenstadt Zichisdsiri. Die Reise über das Schwarze Meer führt den Tulpenbaum etwa 20 Kilometer nordwärts. Dort soll er in einem künstlich angelegten Baumgarten eine neue Heimat finden.

Der Glaube ans Kapital versetzt Bäume

Der Baumgarten ist ein Projekt des Milliardärs Bidsina Iwanischwili, eine Art Freiluft-Ausstellung von Bäumen und Macht. Iwanischwili gründete 2012 die Bürgerbewegung „Georgischer Traum“ und war danach für ein Jahr Regierungschef des Landes. Er verfügt über außerordentliche Macht in Georgien. Unter den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sind ihm viele recht, auch die, die nicht rechtens sind. Auf der unrühmlichen Personenliste der „Pandora Papers“ wird auch Iwanischwili geführt. Er ist gewillt, Bürger, Geld und Bäume zu bewegen, koste es, was es wolle.

Die georgische Regisseurin Salomé Jashi hat eines seiner wahnwitzigen Projekte mit der Kamera beobachtet. Protagonist ist der Tulpenbaum. Seine imposante Mächtigkeit, der enorme Umfang seines Stammes und das gigantische Wurzelwerk, steht im krassen Kontrast zur einfältigen Macht desjenigen, der ihn an einen anderen Ort verfrachten lässt.

Auch die Menschen, die in Zichisdsiri leben, müssen machtlos mit ansehen, wie ihr pflanzlicher Mitbewohner seine Heimat verliert. Sie werden mit temporären Arbeitsplätzen und scheinbar großzügigen Entschädigungen abgespeist.

Immer wieder gibt es Szenen, die davon erzählen, wie schwer es den Menschen fällt, darüber zu sprechen, was sie zu tun genötigt werden. Die Angst vor den Konsequenzen, der Druck, der auf ihnen lastet, ist immer wieder zu spüren. Einige halten auch lieber den Spatzen in der Hand als die Taube auf dem Dach und begrüßen die großzügigen Zuwendungen, die ihnen zuteilwerden; ihr Leben ist doch schon beschwerlich genug.

Letztlich überwiegt jedoch die Trauer. Als der Baum abtransportiert wird, steht eine alte Frau auf der Straße und schlägt ein Kreuz, während ein Mädchen neben ihr das bizarre Geschehen mit dem Smartphone filmt. Menschen schreiten schweigend hinter dem Baum her, als werde er zu Grabe getragen.

Bilder des Anthropozän

Salomé Jashi, die mit Goga Devdariani auch für die Kamera verantwortlich zeichnete, zeigt die Arbeiten am Baum und den Transport bis zur Küste und dann über das Meer mit Bildern von betörend-verstörender Schönheit. Wenn die Metallrohre in die Erde eindringen, die das Wurzelwerk des Baumes umgibt, um ihn für den Transport vorzubereiten, ist dies wie eine gewalttätige Penetration gefilmt.

Jashi lässt allein die Bilder sprechen. Beurteilt wird das Gezeigte nicht. Auch die Arbeit der Menschen, die sich an dem Baum zu schaffen machen, bleibt der Einschätzung der Betrachter überlassen. Haben wir Mitleid mit dem Baum? Oder bewundern wir den Kraftakt von Mensch und Maschine, der den Baum in die Knie zwingt? Wird dem Baum andererseits vielleicht eine besondere Ehre zuteil?

Immerhin müssen ihm viele andere Bäume weichen, um Platz für den Transport über die Straße zu schaffen. Ist der Baum etwa Protagonist einer Exzellenzinitiative? Kann er sich rühmen, zu wenigen Auserwählten zu zählen?

In einem Interview erklärt Salomé Jashi, dass sie es genossen habe, lauter Puzzleteile zu liefern, die das Publikum auf der Basis seiner eigenen Erfahrung, des eigenen Wissens und des eigenen emotionalen Zustands zusammensetzen muss. Dies macht „Die Zähmung der Bäume“ zu einer besonderen Herausforderung. Der Film ist ein mustergültiges Werk über das Zeitalter des Anthropozän, weil er die Verwerfungen und Ambivalenzen der Gegenwart bestechend und klar vor Augen führt.

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