Komödie | USA/Spanien 2020 | 82 Minuten

Regie: Amalia Ulman

Eine junge spanische Stylistin und ihre Mutter ringen mit den Nachwirkungen der Finanzkrise und dem Tod des Familienvaters: Da die Stylistin ihren Job in London verloren hat, zieht sie zurück in ihre Heimatstadt Gijón. Beide versuchen, den sozialen Absturz zu verdrängen und sich in allerlei (Selbst-)Betrügereien einzurichten; die Situation macht sie zu Dieben. Zurückhaltende Komödie über Armut in der modernen Arbeitswelt, Liebe im digitalen Zeitalter und Familienbande. Inhaltlich nicht übermäßig ambitioniert, tonal etwas gleichförmig, aber dank bewusst alberner Formspielereien und trockenem Humor durchaus charmant. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL PLANETA
Produktionsland
USA/Spanien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Holga's Meow/Memory/Operator Media
Regie
Amalia Ulman
Buch
Amalia Ulman
Kamera
Carlos Rigo Bellver
Musik
Chicken
Schnitt
Katharine McQuerrey · Anthony Valdez
Darsteller
Amalia Ulman (Leonor Jimenez) · Ale Ulman (María Rendueles) · Nacho Vigalondo (Älterer Mann) · Zhou Chen (Jüngerer Mann) · Saoirse Bertram (Moderedakteurin)
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie | Satire | Sozialdrama
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Eine absurde Dramödie rund ums gesellschaftliche Klima in Spanien im Zuge der Auswirkungen der internationalen Finanzkrise ab 2008/2009, festgemacht an einem Mutter-Tochter-Gespann.

Diskussion

Leonor ist gleichzeitig arm und reich, gefangen und frei, umstellt und einsam. Nicht erst seit der Popularisierung der sozialen Medien strahlen viele Menschen angestrengt Erfolg und Sicherheit aus, gerade, wenn das eigene Leben in Trümmern liegt. Die großen Besitztümer haben sich virtualisiert, die Mängel bleiben ärgerlich materiell. Die neue digitale, kosmopolitische Bohème hat bis heute keinen klaren Platz in der Welt, keine politische Heimat und eine unsichere Zukunft. Leonor Jimenez, die Protagonistin von Amalia Ulmans „El Planeta“ – gespielt von der Regisseurin selbst – führt genau diese Art von Leben. An einem Tag wird ihr ein Job bei einem Covershooting mit Christina Aguilera angeboten, am nächsten der Strom abgestellt in der Wohnung, die sie mit ihrer Mutter María teilt. Ihr bleibt nicht einmal das Bewusstsein für das eigene Scheitern, nur eine ewige, hinterhältige Hoffnung.

Mit „Exposure“ lässt sich schlecht die Miete bezahlen

Leonor und María (gespielt von Ale Ulman, der Mutter der Regisseurin) durchleben die spanische Finanzkrise im asturischen Gijón. Der Familienvater ist tot, doch die beiden vermissen eher die ebenfalls verstorbene Katze Holga. Sie schlagen sich durch, notfalls auch mit unkonventionellen Methoden. In einer der ersten Szenen des Films zieht Leonor Prostitution in Erwägung, doch der potenzielle Freier (gespielt von „Timecrime“-Regisseur Nacho Vigalondo) schreckt sie schnell wieder ab. Gerade María stiehlt oft. Nicht unbedingt nur um zu überleben, sondern vor allem, um das eigene Selbstbild zu beschützen. Um weiter zu konsumieren, was zu einem guten Leben dazugehört: Moschino, Dior, und so weiter.

Leonor ist Designerin, Stylistin und Influencerin, ihre Existenz sichert sie so allerdings nicht. „Je größer der Name, desto weniger Geld ist im Spiel. Aber das gibt viel Aufmerksamkeit!“, sagt man ihr zu dem Aguilera-Job. Mit „Exposure“ lässt sich allerdings schlecht die Miete, geschweige denn Balenciaga bezahlen.

Auf den Spuren der Indie-Welle der 1990er

Die Geschichte basiert lose auf einem tatsächlichen Mutter-/Tochter-Diebespaar und wird von der Regisseurin in das gleichgültige Schwarz-weiß von Studenten- und Großstadtfilmen gekleidet. Der Sundance-Erfolg stellt mit der Bildsprache die Grenzen der eigenen finanziellen Möglichkeiten offen aus und orientiert sich so an der amerikanischen Indie-Welle rund um Figuren wie Kevin Smith oder Jim Jarmusch. Dialoge kann sich jeder leisten, und mindestens eine Geschichte hat auch jeder – die eigene.

Alles ist ein wenig zu grau, Tag und Nacht lassen sich manchmal schwer unterscheiden. Emotionaler Exzess wird tendenziell eingeebnet, man darbt, statt zu verbrennen. Das spiegelt auch das Sounddesign wider, dass selbst lärmiges Großstadtchaos immer ein wenig verloren und steril wirken lässt. Diese neue Armut verklärt sich selbst zum gleichförmigen Alltag ohne Katastrophe, nimmt Gestalt an als Durchhalteparole und Zwang zum Weitermachen. In einer Szene tanzt Leonor narzisstisch und traurig vor dem Spiegel, in immer neuen Outfits, abwechselnd mit Alkohol und ihrem Smartphone in der Hand. Instagram-Pantomime als das höchste der Gefühle. Einmal geht sie auf ein Date mit Amadeus (Zhou Chen). Als er sich am nächsten Morgen als verheirateter Mann herausstellt, glaubt man kurz einen Stich zu spüren. Doch auch das geht vorüber; jede Welle verendet an der Küste.

Wenn der kurze Film nach nicht einmal 80 Minuten dann trotzdem mit dem Unvermeidbaren schließt, dann ist man fast bei den knappen Menschheits-Parabeln eines Robert Bresson oder Aki Kaurismäki. Gerade das minimalistische Schauspiel, das den trockenen Humor eher vergräbt als betont, lädt zu diesem sonst vielleicht wenig hilfreichen Vergleich ein. Alles wirkt betäubt, als hätte sich ein Schleier über die Welt und die Herzen gelegt.

Ein Gefühl für die digitale Formbarkeit der Welt

Ästhetische Eigenständigkeit entwickelt Amalia Ulman aus kleinen formalen Kniffen. Am deutlichsten ist sicher der Schnitt, der mit kuriosen Trickblenden fast an Powerpoint-Präsentationen oder die Möglichkeiten von Windows Movie Maker oder iMovie erinnert. Bilder zerspringen dann etwa in vier Blöcke, die zu den Rändern der Leinwand gedrängt werden, oder werden umgeblättert wie die Seiten eines Buchs. Es entsteht ein Gefühl für die digitale Formbarkeit der Welt, vor allem aber bekommt der Film ein seltsam handgemachtes Gefühl. Das hemdsärmelige Geschnipsel ist den verrückten Outfits ähnlich, die Leonor aus gestohlenen Armbändern und Stoffresten zusammenfummelt. Gerade die offen ausgestellte Digitalität macht die Künstlerin, ihre Kollaborateure und Werkzeuge sichtbar. Ein Paradoxon des digitalen Kinos. Die manchmal sehr plötzlichen Schwarzblenden wirken, als wäre jetzt auch beim Schnitt der Strom ausgefallen. Und die Liebe ist ein kurzes, rumpelig eingeflochtenes Close-Up ohne Ton.

„El Planeta“ neigt zur bewussten Wiederholung, zu Echos und Serialität. Gleich mehrfach beklagen Männer, dass Frauen sich ihre Haare geschnitten haben. An verschiedenen Stellen übernimmt Musik den Film, um in einer rhythmischen Montage Gijón und seine Bewohner zu betrachten. Leerstehende Geschäfte, heruntergekommene Mehrfamilienhäuser, eilige und ziellose Passanten. Ein wenig soziale Wirklichkeit in der Welt-Illusion, die vor allem von der Verleugnung der Realität lebt.

Alle Figuren scheitern an sich selbst

Denn wichtig für den Film ist, dass alle Figuren an sich selbst scheitern. Bestimmte Pfade versperren ihnen nur der Stolz und der überall propagierte Zwang zur Selbstverwirklichung. „Wenn du einen anständigen Job hättest, hätten wir diese Probleme nicht“, schimpft María, nachdem wieder einmal kein Strom fließt. „Einen anständigen Job? Was soll ich denn arbeiten? Bei McDonald’s?“ Wie beim Betteladel, der mit geschwellter Brust und von Gott erwählt verhungerte, können sich auch die beiden Frauen ein anderes Leben kaum vorstellen. Maria hat sich eigentlich schon damit abgefunden, dass sie irgendwann hinter Gitter muss. „El Planeta“ verachtet sie dafür nicht, kommt aber nicht umhin, die Absurdität dieser Situation herauszuarbeiten.

Viel mehr als Widersprüche zu verdeutlichen, gelingt „El Planeta“ nicht. Aber wo der Film mit seinen Figuren scheitert, ist er zumindest an ihrer Seite.

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