Die letzten Reporter

Dokumentarfilm | Deutschland 2020 | 98 Minuten

Regie: Jean Boué

Der Dokumentarfilm begleitet drei Lokaljournalisten aus Norddeutschland in ihrem Berufsalltag bei Fußballspielen am Wochenende, Reportagen, Interviews und dem Redaktionsalltag, der durch die Digitalisierung nicht einfacher geworden ist. Die Journalisten sollen neben Texten und Fotos jetzt auch kleine Videos abliefern und die Regeln des „Digital Storytelling“ berücksichtigen. In ihren Statements geben die Zeitungsleute wenig Privates preis, sondern sprechen vorwiegend über ihren Beruf. Zum Unterhaltungswert des aufschlussreichen, aber wenig spektakulären Films tragen vor allem realsatirische Sequenzen aus dem Berufsalltag bei. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
JABfilm
Regie
Jean Boué
Buch
Jean Boué
Kamera
Anne Misselwitz
Musik
Fredrik Kinbom · Hans-Jörn Brandenburg
Schnitt
Thomas Wellmann
Länge
98 Minuten
Kinostart
24.06.2021
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Doku über drei Lokaljournalisten und die Herausforderungen ihres Berufsstamdes durch die Digitalisierung.

Diskussion

Thomas Willmann muss es wissen. Wie die Zeiten genau gewesen seien, fragt er die vier Jugendlichen, die gerade einen Staffellauf bei einem Sportfest gewonnen haben. Dann kritzelt er die Zahlen in ein Notizbuch. Papier und Stift sind noch immer die Hauptarbeitsgeräte des Journalisten. Bei der Schweriner Volkszeitung (SVZ) ist Willmann für den Lokalsport zuständig. Wenn andere ihr Wochenende genießen, ist er auf den Fußballplätzen unterwegs, um anschließend in der Redaktion Spielberichte zu verfassen. Mit den meisten Trainern und Betreuern ist der Reporter per Du; es würde Willmann auch nie einfallen, einen Spieler wegen eines Fehlschusses namentlich zu rügen. Da schreibe er lieber, dass der Angriff nicht optimal zu Ende gespielt worden sei, sagt er. Die Fotos für seine Berichte macht Willmann überdies selbst.

„Print hat keine Zukunft“

Die Arbeitsbedingungen seiner jüngeren Kollegin Anna Petersen von der Landeszeitung Lüneburg (LZ) sind gegenüber denen von Willmann fast luxuriös. Wenn sie über eine neue Nutzpflanze berichtet und dazu mit einem Bauern über den Acker geht, hat sie einen Fotografen dabei, der den Landwirt zu ein paar Posen animiert. Die Journalistin interessiert sich vor allem für die Menschen in ihrer Region, über die sie einfühlsame Porträts verfasst.

Werner Hülsmann von den Osnabrücker Nachrichten (ON) hingegen ist so etwas wie der Baby Schimmerlos von Osnabrück. Auch wenn sich das glamouröse (Nacht-)Leben in der niedersächsischen Stadt in Grenzen hält, schafft er es dennoch seit 30 Jahren, seine Klatsch-Kolumne zu füllen, worüber er selbst zu einer Art Szenegröße geworden ist.

Ein Blick in den Arbeitsalltag

Der Dokumentarfilm „Die letzten Reporter“ folgt den drei Journalisten durch ihren Arbeitsalltag, wobei sie auf unterschiedliche Weise vor derselben Herausforderung stehen. „Print hat keine Zukunft“, erklärt ein Referent gleich zu Beginn des Films. Auch viele Lokalzeitungen sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Denn selbst wenn sie sich dem Online-Journalismus öffnen, erreichen sie damit nicht ihre oft betagten Stammleserschaft, die ihnen schlicht wegzusterben droht.

Doch von den soziologischen und ökonomischen Hintergründen der Krise ist im Film kaum die Rede. Man erfährt nicht, wem die Zeitungen gehören, noch wie sich die Auflagenzahlen entwickelt haben. Der Filmemacher Jean Boué konzentriert sich auf die drei Protagonisten, die er in ihren Job begleitet oder sie ihre Sicht der Dinge bisweilen direkt in die Kamera sagen lässt.

So erklärt Werner Hülsmann, dass er sich wie ein Fossil fühle. Er macht kein Hehl daraus, dass er kurz vor der Rente keine Lust mehr verspüre, sich auf neue Formen des Journalismus einzulassen. Als er innerhalb der Redaktion umziehen muss, schleppt er seine Aktenordner mit, in denen er all seine Artikel der letzten Jahrzehnte gesammelt hat.

Dem Sportreporter Willmann geht es ähnlich, aber er gibt sich zumindest halbwegs interessiert, wenn zwei junge Frauen ihn und seine Kollegen für „Digital Storytelling“ begeistern wollen. Anna Petersen in Lüneburg steht der Entwicklung schon auf Grund ihres Alters wesentlich positiver gegenüber. Schließlich ist es in der Landeszeitung Lüneburg längst üblich, dass in der morgendlichen Redaktionssitzung die Klickzahlen der Online-Artikel referiert werden.

Bei Kaffee und Kuchen

Der Alltag der drei Journalisten wird hier in Passagen von unterschiedlicher Länge ohne Off-Kommentar in Parallelmontage gezeigt. In den Statements der Protagonisten dreht sich nahezu alles um ihr Berufsleben. Wenn Willmann durchblicken lässt, dass seine Ehe unter den ständigen Wochenenddiensten leide, ist das schon das Privateste, was man hier erfährt. Dafür hat der Film viel Realsatire zu bieten, für die meist der Klatschreporter Hülsmann zuständig ist. Wenn er eine in die Jahre gekommene Sopranistin bei Kaffee und Kuchen in deren Garten in Osnabrück interviewt, die von ihren großen Erfolgen berichtet und zwischendurch ihr Hundchen herzt, nimmt sich der simulierte Glamour schlicht grotesk aus. Und wenn Anna Petersen am Lesertelefon erklären soll, wo denn die Weihnachtsbeleuchtung bleibe oder was es mit den neuen Verkehrsschildern auf sich habe, sieht man ihr an, dass dieser Leserservice nicht unbedingt zu ihren journalistischen Lieblingsbeschäftigungen gehört.

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