Die Idee ist bestechend, wenngleich nicht neu: Was passiert, wenn die typischen Erzählelemente des Superheldenfilms mit denen des Jugendfilms vermischt werden? Wenn das Spiel mit Superkräften, übergroßen Helden und Schurken angereichert wird durch ganz alltägliche Themen? Mit seiner aus 144 Heften bestehenden Comic-Reihe „Invincible“ (2003 bis 2018) ist Robert Kirkman, auf dessen Vorlage bereits „The Walking Dead“ beruhte, in die Fußstapfen großer Vorbilder wie „Spider-Man‟ geschlüpft. Nun wurde der erste Handlungsbogen der Reihe als achtteilige Zeichentrickserie verfilmt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der 17-jährige Mark, der auf seine Erweckung wartet. Seit er klein ist, wird er von seinem Vater, der einst als Außerirdischer auf die Erde kam und dort als „Omni-Man‟ zu einem der wichtigsten Weltenretter wurde, auf seine Zukunft vorbereitet. Auch Mark wird einmal Superkräfte bekommen. Doch die Erwartungshaltung der Eltern macht Mark sichtlich zu schaffen. Verzweifelte Hüpfer in die Luft sehen eher lächerlich aus, bringen ihn aber nicht zum Fliegen. Erst als ein Müllsack, den er weggeworfen hat, versehentlich nicht in der Tonne landet, sondern als kleiner Punkt am Himmel verschwindet, ist Mark erleichtert: Seine übermenschliche Kraft ist endlich da!
Ein Teenager zwischen Erfolgsdruck und Versagensangst
Kontinuierlich fließen die großen Fragen des Erwachsenwerdens nachfolgend in die Handlung ein: Es geht um die Eltern – hier vor allem den erfolgreichen Vater – als Vorbilder und Mentoren, um die Angst, deren Erwartungen nicht zu erfüllen, um die Unsicherheit, mit den eigenen Kräften (oder Nicht-Kräften) umzugehen, um Erfolgsdruck und Versagensangst, und später sogar um die Frage, welche Mitschülerin das Herz mehr zum Schlagen bringt. In solchen Momenten ist „Invincible“ toll, weil die gesamte Geschichte damit geerdet wird und ganz nah an der Erfahrungswelt ihres Publikums ist.
Es gibt ein paar schöne Szenen, die es verstehen, dieses Zwischenmenschliche zu fassen – und die bemerkenswerterweise nicht aus dem Comic übernommen wurden. Da schwebt Mark einmal mit seinem Vater hoch über der Welt, ein Baseball wird zu Trainingszwecken mit selbstverständlicher Nebensächlichkeit einmal rund um den Globus geworfen, und sie unterhalten sich über die Angst und Unsicherheit, die mit Superkräften einhergeht. Oder Mark sitzt mit seiner Mutter im Garten vor dem Haus und redet mit ihr darüber, was sein Vater oder seine Mutter ihm bedeuten – eine differenzierte und sensible Passage.
Trotzdem stellt sich das Gefühl ein, dass die Serie von Anfang an die falschen Schwerpunkte setzt. Sie beginnt mit Omni-Man und den Guardians of the Globe, einem Superhelden-Verbund im Sinne der Avengers oder der Justice League. Mark aber, der zentrale Charakter, wird erst später als Nebenfigur eingeführt. Die Kämpfe von Superhelden mit außerirdischen Invasoren, die plötzlich einfach auftauchen und auch sonst keine Rolle mehr für die weitere Handlung spielen, werden ins Endlose gedehnt, anstatt sich auf Mark als zentralen Charakter zu konzentrieren.
Eine Hommage auf Comic-Klassiker
Robert Kirkman selbst bezeichnet seine Comic-Reihe als „Liebeserklärung an das Superhelden-Genre“, spielt aber auch mit der Comicform und nimmt die Comic-Nerd-Kultur auf die Schippe. Die flächigen, oft einfarbigen Hintergründe, die Art der Kolorierung, der Umgang mit Soundwörtern, manch ein klischeehaft abgedroschener Dialog sowie die Panelanordnung imitieren klassische Marvel-Superheldencomics und lassen die Hefte ein wenig aus der Zeit gefallen aussehen. Auch das Figurenpersonal ist vertraut: Omni-Man ist mit seinem gestählten Körper und dem blau-roten hautengen Anzug offensichtlich ein Abbild von Superman, ein anderer Superheld sieht in seinem grauen Anzug mit den spitzen Ohren aus wie der frühe Batman, ein dämonischer Detektiv mit feuerrotem Gesicht ist Mike Mignolas Hellboy nachempfunden.
Die Serie orientiert sich eng an dieser Gestaltung. Die ebenfalls flächig gehaltenen Figuren sehen ihren Vorbildern aus den Comics sehr ähnlich – was im Zusammenspiel mit der rauen, reduzierten „limited animation“ allerdings auch einen seltsamen Effekt hat: Die Serie kommt damit ästhetisch billig produzierten Nachmittags-Zeichentrickserien von der Stange gefährlich nahe – wären da nicht die derben Dialoge und die bisweilen irritierend blutrünstigen Gewaltexzesse, die mit explodierenden oder zerfetzten Körpern, abgerissenen Armen und abgetrennten Köpfen an den Stil von Mark Millar erinnern.
Die Serienadaption setzt mehr aufs Spektakel als die Comics
Vor allem aber unterscheidet sich die Serie in ihrem Tonfall von der Vorlage. Die Comics leben von der aberwitzigen Gegenüberstellung von Superheldenjob und normalem Leben, die mit allem Ernst durchgezogen wird – und gerade deshalb so komisch ist. Zwei Weltenretter beim profanen Abspülen, das sieht man selten. Aber auf solche Bilder lassen sich zumindest die ersten Folgen der Serie kaum ein. Dafür nehmen Superhelden-Einsätze, die im Comic mit aller Beiläufigkeit elliptisch eingestreut werden und oft nur so vor Selbstironie strotzen, in der Serienadaption einen größeren Raum ein, werden viel zu ernst genommen und zu langen Szenen gestreckt, die die Handlung weder voranbringen noch etwas zu erzählen haben. Die Serie kopiert, was sie karikieren sollte.
Nach den knapp 120 Minuten der ersten drei Episoden hat „Invincible“ sich vor allem in Nebenschauplätzen verloren, ohne die Handlung richtig anzukurbeln. Dabei stößt sie das Publikum durchaus vor den Kopf. Während der Abspann der ersten Episode an einem klassischen Entwicklungspunkt für Mark gesetzt ist, erweist er sich als Ablenkungsmanöver. Denn die lange Sequenz danach wechselt die Perspektive zu Omni-Man und bringt mit einer furiosen Szene die Handlung auf einen ganz neuen Weg. Ab diesem Zeitpunkt – der im Comic übrigens erst exakt in der Mitte des ersten, 13 Hefte umfassenden Handlungsbogens kommt – ist klar, dass alles auf einen großen Vater-Sohn-Konflikt zusteuern wird. Aber die Abnabelung von den Eltern ist ohnehin ein Kernthema vieler Coming-of-Age-Geschichten. Im Rahmen des Superheldengenres werden dafür nur andere Bilder und Situationen gefunden.